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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

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Autorität und Tradition. Berief sich Paulus auf die innere Selbstgewißbeit
seines apostolischen Berufes, so hielten ihm seine Gegner ihren thatsächlichen
Zusammenhang mit Jesus entgegen und bemühten sich durch Emissäre, die mir
ihren Empfehlungsbriefen umherreisten, überall die Continuität dieser Tradition
zur Anerkennung zu bringen.

Aber das wahrhaft Tragische in diesem Kampfe war, daß der Apostel zum
Theil mit den stumpfen Waffen seiner Gegner hockt. In seinen Christusvisionen
sprach sich nicht blos die Unabhängigkeit seines apostolischen Bewußtseins aus,
sondern sie sollten zugleich ein vvllgiltiger Ersatz für seinen Mangel persönlichen
Zusammenhangs mit Jesus sein. Damit erkannte er aber selbst die Unerlä߬
lichkeit dieses persönlichen Zusammenhangs, das Princip der Tradition an, er
begab sich damit auf einen Boden, wo ihm die Gegner unstreitig überlegen
waren. Dasselbe war der Fall, wenn er sein Evangelium der Einheit aus
dem alten Bund, aus den Verheißungen an Abraham beweisen wollte und
damit diese selbst anerkannte. Wir wundern uns jetzt nicht mehr, daß die
Gegner fast überall siegreich blieben. Wir erkennen aber zugleich jetzt schon,
daß es im Paulinismus nicht an Elementen fehlte, welche eine Annäherung,
eine Ausgleichung des schroffen Gegensatzes ermöglichten. Der Apostel selbst
mußte, wenn er die Unbcsiegtichkcit des Widerstands ermaß, der ihm begegnete
zur Aenderung seiner Taktik sich aufgefordert fühlen.

Mit genialen Jnstinct richtete er nun seine Blicke nach Rom. Wenn
irgendwo, so mußten in dieser Gemeinde, die vorzugsweise aus Judenchnstcn
bestand, aber fern vom Mittelpunkt des Judenthums und außerhalb seines
Machtbereichs inmitten der Heidenwelt lag, die Elemente vorhanden sein, welche
über den Kampf, den Paulus bisher zu bestehen hatte, hinausführten. Hier
blieb alles Persönliche aus dem Spiel. Denn die römische Gemeinde war nicht
von Paulus gestiftet, aber auch von keinem der älteren Apostel. Sie war
weder von der jerusalemischcn Gemeinde abhängig, noch hatte Paulus hier
über Abfall zu klagen. Es war nur ganz natürlich, wenn hier Vorurtheile
gegen sein Evangelium bestanden und-die judenchristlichcn Gemüther bei deur
massenhaften Eindringen der Heiden in die Kirche bekümmert waren, was dann
aus den Verheißungen werde/ die Gott dem auserwählten Volke gegeben.
Wie läßt sich das Heldenclmstenthum mit der göttlichen Offenbarung an das
jüdische Volk vereinigen? Dies ist das Problem, das er in den Ausführungen
seines Briefs an die Römer behandelt, und hier, wo er keine judaistischen
Hetzer, keine persönlichen Gegner vor sich hat, bricht nun eine ganz neue Seite
an Paulus hervor, nämlich der bittere Schmerz, den es ihm kostet, mit seinem
eigenen Volke brechen zu müssen, dessen Hoffnungen er einst getheilt, dessen
religiöse Urkunden ihm noch immer theuer und verbindlich sind. Mit inniger
Sympathie sür seinen Volksgenossen sucht er ihnen die Wahrheit aufzuschließen,


Autorität und Tradition. Berief sich Paulus auf die innere Selbstgewißbeit
seines apostolischen Berufes, so hielten ihm seine Gegner ihren thatsächlichen
Zusammenhang mit Jesus entgegen und bemühten sich durch Emissäre, die mir
ihren Empfehlungsbriefen umherreisten, überall die Continuität dieser Tradition
zur Anerkennung zu bringen.

Aber das wahrhaft Tragische in diesem Kampfe war, daß der Apostel zum
Theil mit den stumpfen Waffen seiner Gegner hockt. In seinen Christusvisionen
sprach sich nicht blos die Unabhängigkeit seines apostolischen Bewußtseins aus,
sondern sie sollten zugleich ein vvllgiltiger Ersatz für seinen Mangel persönlichen
Zusammenhangs mit Jesus sein. Damit erkannte er aber selbst die Unerlä߬
lichkeit dieses persönlichen Zusammenhangs, das Princip der Tradition an, er
begab sich damit auf einen Boden, wo ihm die Gegner unstreitig überlegen
waren. Dasselbe war der Fall, wenn er sein Evangelium der Einheit aus
dem alten Bund, aus den Verheißungen an Abraham beweisen wollte und
damit diese selbst anerkannte. Wir wundern uns jetzt nicht mehr, daß die
Gegner fast überall siegreich blieben. Wir erkennen aber zugleich jetzt schon,
daß es im Paulinismus nicht an Elementen fehlte, welche eine Annäherung,
eine Ausgleichung des schroffen Gegensatzes ermöglichten. Der Apostel selbst
mußte, wenn er die Unbcsiegtichkcit des Widerstands ermaß, der ihm begegnete
zur Aenderung seiner Taktik sich aufgefordert fühlen.

Mit genialen Jnstinct richtete er nun seine Blicke nach Rom. Wenn
irgendwo, so mußten in dieser Gemeinde, die vorzugsweise aus Judenchnstcn
bestand, aber fern vom Mittelpunkt des Judenthums und außerhalb seines
Machtbereichs inmitten der Heidenwelt lag, die Elemente vorhanden sein, welche
über den Kampf, den Paulus bisher zu bestehen hatte, hinausführten. Hier
blieb alles Persönliche aus dem Spiel. Denn die römische Gemeinde war nicht
von Paulus gestiftet, aber auch von keinem der älteren Apostel. Sie war
weder von der jerusalemischcn Gemeinde abhängig, noch hatte Paulus hier
über Abfall zu klagen. Es war nur ganz natürlich, wenn hier Vorurtheile
gegen sein Evangelium bestanden und-die judenchristlichcn Gemüther bei deur
massenhaften Eindringen der Heiden in die Kirche bekümmert waren, was dann
aus den Verheißungen werde/ die Gott dem auserwählten Volke gegeben.
Wie läßt sich das Heldenclmstenthum mit der göttlichen Offenbarung an das
jüdische Volk vereinigen? Dies ist das Problem, das er in den Ausführungen
seines Briefs an die Römer behandelt, und hier, wo er keine judaistischen
Hetzer, keine persönlichen Gegner vor sich hat, bricht nun eine ganz neue Seite
an Paulus hervor, nämlich der bittere Schmerz, den es ihm kostet, mit seinem
eigenen Volke brechen zu müssen, dessen Hoffnungen er einst getheilt, dessen
religiöse Urkunden ihm noch immer theuer und verbindlich sind. Mit inniger
Sympathie sür seinen Volksgenossen sucht er ihnen die Wahrheit aufzuschließen,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/99>, abgerufen am 26.06.2024.