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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band.

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War Kohlhase nicht völlig sicher, so waren die, denen er die Fehde an¬
gekündigt, es noch viel weniger. Wo ein Mord begangen wurde, wo ein Brand
aufging, kam er auf Kohlhasens Rechnung, und so stieg die Furcht vor ihm
ins Ungeheure. Ganz Kursachsen war in Verzweiflung. In Wittenberg, der
Hauptstadt, hütete man sich, Balken außerhalb der Mauer liegen zu lassen, weil
man meinte, Kohlhase könnte daraus Brücken über den Stadtgraben herstellen.
"Es schreien," schrieb Luther seinem Kurfürsten, "Euere Unterthanen hier im
Kurfürstenthum um Rath und Hilfe Wider die Fehde des Kohlhasen -- ich
hätte schier gesagt des Kurfürsten von Brandenburg, wenn der herrliche Name
auf der Person nicht schwebte. Es ist nur das Aergste, daß man irre wird
und das Volk in Zweifel geräth, ob Freund oder Feind mit einander um sie
mummschanzen." "Etliche machen's geringe, etliche groß, und gehet also durch¬
einander, daß niemand weiß, was oder wie man glauben soll. So lebet der
Teufel, und die Welt ist ihrer Arr nach voll List und Untreue."

Im April wurden wieder zwei Spießgesellen des Fedders gefangen ge¬
nommen: Paul Pfaff (eigentlich Stolz) in Mittenwalde und Jakob Schneider
(eigentlich PoÜtz) in Gransee, und wieder machten die brandenburgischen Be¬
hörden den Sachsen allerlei Schwierigkeiten, ehe sie das peinliche Verhör der¬
selben zuließen, wieder deinonstrirten nicht blos der Pöbel, sondern selbst Geist¬
liche in sehr bedenklicher Weise gegen die Hinrichtung der Burschen und gegen
diese Belästigung des Landes durch die sächsischen "Bluthunde". Kohlhase selbst
hatte jetzt den Plan, nach dem Voigtland überzusiedeln. Unter falschem Namen
trieb er sich in der Nachbarschaft Berlins umher, wo Bürgermeister, Müller
und Gastwirthe ihm Obdach und Versteck gewährten. Dann scheint er noch ein¬
mal an Einlenken gedacht zu haben. Sicher ist wenigstens, daß er im Mai 1539
unter dem Namen Jörg Platte im Fürstenthum Braunschweig Schutz suchte, um
dem Schauplatz seines bisherigen Thuns und vermuthlich' auch diesem Thun
selbst den Rücken zu kehren. Auch könnte der in Hases Chronik berichtete, von
Kleist in seine Novelle verwebte nächtliche Besuch bei Luther und dessen Ver¬
sprechen, zu vermitteln, auf Wahrheit beruhen, und zwar müßte dann derselbe
um die Mitte des Jahres 1539 stattgefunden haben. Quellenmäßige Beweise
indeß hat Burkhardt für dieses psychologisch wichtige Moment nicht aufzufinden
vermocht.

Auf jeden Fall war Luthers Verwendung ohne Erfolg beim Kurfürsten in
Wittenberg. Ebenso vergeblich nahte sich Kohlhases Frau Margarethe mit
ihren drei kleinen Kindern dem harten Sinne Johann Friedrichs mit der Bitte,
ihrem Mann das "unordentliche Fürnehmen unter Wiedererstattung seiner Schäden
zu verzeihen und die, welche den Schaden gestiftet, zur Schadloshaltung anzu¬
halten, während Kohlhase selbst um Verzeihung bitten werde." Sie wurde ab-
schlägig beschieden. wie kurz vorher die Kurfürstin von Brandenburg, als sie für


12*

War Kohlhase nicht völlig sicher, so waren die, denen er die Fehde an¬
gekündigt, es noch viel weniger. Wo ein Mord begangen wurde, wo ein Brand
aufging, kam er auf Kohlhasens Rechnung, und so stieg die Furcht vor ihm
ins Ungeheure. Ganz Kursachsen war in Verzweiflung. In Wittenberg, der
Hauptstadt, hütete man sich, Balken außerhalb der Mauer liegen zu lassen, weil
man meinte, Kohlhase könnte daraus Brücken über den Stadtgraben herstellen.
„Es schreien," schrieb Luther seinem Kurfürsten, „Euere Unterthanen hier im
Kurfürstenthum um Rath und Hilfe Wider die Fehde des Kohlhasen — ich
hätte schier gesagt des Kurfürsten von Brandenburg, wenn der herrliche Name
auf der Person nicht schwebte. Es ist nur das Aergste, daß man irre wird
und das Volk in Zweifel geräth, ob Freund oder Feind mit einander um sie
mummschanzen." „Etliche machen's geringe, etliche groß, und gehet also durch¬
einander, daß niemand weiß, was oder wie man glauben soll. So lebet der
Teufel, und die Welt ist ihrer Arr nach voll List und Untreue."

Im April wurden wieder zwei Spießgesellen des Fedders gefangen ge¬
nommen: Paul Pfaff (eigentlich Stolz) in Mittenwalde und Jakob Schneider
(eigentlich PoÜtz) in Gransee, und wieder machten die brandenburgischen Be¬
hörden den Sachsen allerlei Schwierigkeiten, ehe sie das peinliche Verhör der¬
selben zuließen, wieder deinonstrirten nicht blos der Pöbel, sondern selbst Geist¬
liche in sehr bedenklicher Weise gegen die Hinrichtung der Burschen und gegen
diese Belästigung des Landes durch die sächsischen „Bluthunde". Kohlhase selbst
hatte jetzt den Plan, nach dem Voigtland überzusiedeln. Unter falschem Namen
trieb er sich in der Nachbarschaft Berlins umher, wo Bürgermeister, Müller
und Gastwirthe ihm Obdach und Versteck gewährten. Dann scheint er noch ein¬
mal an Einlenken gedacht zu haben. Sicher ist wenigstens, daß er im Mai 1539
unter dem Namen Jörg Platte im Fürstenthum Braunschweig Schutz suchte, um
dem Schauplatz seines bisherigen Thuns und vermuthlich' auch diesem Thun
selbst den Rücken zu kehren. Auch könnte der in Hases Chronik berichtete, von
Kleist in seine Novelle verwebte nächtliche Besuch bei Luther und dessen Ver¬
sprechen, zu vermitteln, auf Wahrheit beruhen, und zwar müßte dann derselbe
um die Mitte des Jahres 1539 stattgefunden haben. Quellenmäßige Beweise
indeß hat Burkhardt für dieses psychologisch wichtige Moment nicht aufzufinden
vermocht.

Auf jeden Fall war Luthers Verwendung ohne Erfolg beim Kurfürsten in
Wittenberg. Ebenso vergeblich nahte sich Kohlhases Frau Margarethe mit
ihren drei kleinen Kindern dem harten Sinne Johann Friedrichs mit der Bitte,
ihrem Mann das „unordentliche Fürnehmen unter Wiedererstattung seiner Schäden
zu verzeihen und die, welche den Schaden gestiftet, zur Schadloshaltung anzu¬
halten, während Kohlhase selbst um Verzeihung bitten werde." Sie wurde ab-
schlägig beschieden. wie kurz vorher die Kurfürstin von Brandenburg, als sie für


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[0099] War Kohlhase nicht völlig sicher, so waren die, denen er die Fehde an¬ gekündigt, es noch viel weniger. Wo ein Mord begangen wurde, wo ein Brand aufging, kam er auf Kohlhasens Rechnung, und so stieg die Furcht vor ihm ins Ungeheure. Ganz Kursachsen war in Verzweiflung. In Wittenberg, der Hauptstadt, hütete man sich, Balken außerhalb der Mauer liegen zu lassen, weil man meinte, Kohlhase könnte daraus Brücken über den Stadtgraben herstellen. „Es schreien," schrieb Luther seinem Kurfürsten, „Euere Unterthanen hier im Kurfürstenthum um Rath und Hilfe Wider die Fehde des Kohlhasen — ich hätte schier gesagt des Kurfürsten von Brandenburg, wenn der herrliche Name auf der Person nicht schwebte. Es ist nur das Aergste, daß man irre wird und das Volk in Zweifel geräth, ob Freund oder Feind mit einander um sie mummschanzen." „Etliche machen's geringe, etliche groß, und gehet also durch¬ einander, daß niemand weiß, was oder wie man glauben soll. So lebet der Teufel, und die Welt ist ihrer Arr nach voll List und Untreue." Im April wurden wieder zwei Spießgesellen des Fedders gefangen ge¬ nommen: Paul Pfaff (eigentlich Stolz) in Mittenwalde und Jakob Schneider (eigentlich PoÜtz) in Gransee, und wieder machten die brandenburgischen Be¬ hörden den Sachsen allerlei Schwierigkeiten, ehe sie das peinliche Verhör der¬ selben zuließen, wieder deinonstrirten nicht blos der Pöbel, sondern selbst Geist¬ liche in sehr bedenklicher Weise gegen die Hinrichtung der Burschen und gegen diese Belästigung des Landes durch die sächsischen „Bluthunde". Kohlhase selbst hatte jetzt den Plan, nach dem Voigtland überzusiedeln. Unter falschem Namen trieb er sich in der Nachbarschaft Berlins umher, wo Bürgermeister, Müller und Gastwirthe ihm Obdach und Versteck gewährten. Dann scheint er noch ein¬ mal an Einlenken gedacht zu haben. Sicher ist wenigstens, daß er im Mai 1539 unter dem Namen Jörg Platte im Fürstenthum Braunschweig Schutz suchte, um dem Schauplatz seines bisherigen Thuns und vermuthlich' auch diesem Thun selbst den Rücken zu kehren. Auch könnte der in Hases Chronik berichtete, von Kleist in seine Novelle verwebte nächtliche Besuch bei Luther und dessen Ver¬ sprechen, zu vermitteln, auf Wahrheit beruhen, und zwar müßte dann derselbe um die Mitte des Jahres 1539 stattgefunden haben. Quellenmäßige Beweise indeß hat Burkhardt für dieses psychologisch wichtige Moment nicht aufzufinden vermocht. Auf jeden Fall war Luthers Verwendung ohne Erfolg beim Kurfürsten in Wittenberg. Ebenso vergeblich nahte sich Kohlhases Frau Margarethe mit ihren drei kleinen Kindern dem harten Sinne Johann Friedrichs mit der Bitte, ihrem Mann das „unordentliche Fürnehmen unter Wiedererstattung seiner Schäden zu verzeihen und die, welche den Schaden gestiftet, zur Schadloshaltung anzu¬ halten, während Kohlhase selbst um Verzeihung bitten werde." Sie wurde ab- schlägig beschieden. wie kurz vorher die Kurfürstin von Brandenburg, als sie für 12*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/99>, abgerufen am 28.09.2024.