Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

betrachten hat. Es fehlt ja leider nicht an Beispielen, wie dehnbar die von
Mächtigeren gegebenen Zustcherungen sind!

Ein Argument, welches als besonders wichtig für den Eisenbahnbau als
Staatssache angesehen wird, ist es, wenn man sagt, die Überlassung desselben
an Private würde die Folge haben, daß nur die eine angemessene Rente ver¬
sprechenden gewählt, alle übrigen aber unberücksichtigt bleiben würden; der
Staat sei aber in der Lage, allen seinen Angehörigen mit gleichem Maße zu
messen, und er werde daher die unfruchtbareren Tracte übernehmen müssen, ohne
dafür in den besseren eine Ausgleichung zur Seite zu haben. Wir könnten in
dieser Ansicht nur dann etwas Begründetes finden, wenn es wahr wäre, daß
für den Staat eine Verpflichtung vorläge, allen und jeden Wünschen und Bedürf¬
nissen dieser Art zu genügen. Diese Voraussetzung würde nothwendigerweise
erst recht zur vollen Verwirklichung der in einem vorhergehenden Satze aus¬
gesprochenen Befürchtung der unabsehbaren Consequenzen führen, die in der
Einmischung des Staates liegen. Wir läugnen aber entschieden, daß eine solche
Verpflichtung vorliegt; sie liegt ebensowenig vor als die, von jedem Dorfe zum
andern eine Chaussee herzustellen. Wo die Anlage einer Eisenbahn nicht einen Ver¬
kehr bereits findet, oder eben durch ihre Einwirkung in hinreichend sichere Aussicht
stellt, der eine angemessene Verzinsung ihres Baucapitales verspricht, da liegt
eine genügsame Veranlassung dazu zur Zeit überhaupt noch nicht vor. Irgend¬
eine. Grenze muß es jedenfalls geben, und diese ist die voraussichtliche Un¬
fruchtbarkeit. Immerhin lasse man Privatunternehmern, welche in der Regel
den Kreisen angehören, die das nächste Interesse dabei haben und die Verhält¬
nisse am genauesten zu beurtheilen wissen, die versprechendsten Linien aus¬
wählen und ausführen; sind die Resultate ungünstig, so liegt kein Grund vor
zu wünschen, daß der Staat den Irrthum jener hätte zu tragen haben sollen;
sind sie günstig, so werden sie eine Aufmunterung sein weiter zu gehen und
auch bis dahin vernachlässigte Richtungen in Angriff zu nehmen, die durch den
allgemeinen Aufschwung allein vielleicht schon zu besseren werden. Freilich
werden nicht alle, selbst nicht alle berechtigten Wünsche und Bedürfnisse mit
einem Male befriedigt werden können; aber dies stellt auch das Decret selbst
bei dem Einschreiten des Staates nicht in Aussicht, und keinenfalls würde der
letztere Weg schneller zum Ziele führen als der andere und wenn dieser dennoch
wider Erwarten sich als ungenügend erwiese, würde immer noch Zeit sein, ein
anderweites Vorschreiten zu erwägen.

Man stelle uns in der obenerwähnten Beziehung nicht einen Vergleich mit
den Postanstalten entgegen; er paßt in vielen hauptsächlichen Beziehungen nicht
-- und wie lange Zeit hat es erfordert, ehe jene zu der Stufe gelangten, die
sie jetzt einnehmen, und zu deren Erreichung die Einwirkungen des Eisenbahn¬
wesens wesentlich beigetragen haben. Auch ihre Fortschritte sind nur sehr, sehr


betrachten hat. Es fehlt ja leider nicht an Beispielen, wie dehnbar die von
Mächtigeren gegebenen Zustcherungen sind!

Ein Argument, welches als besonders wichtig für den Eisenbahnbau als
Staatssache angesehen wird, ist es, wenn man sagt, die Überlassung desselben
an Private würde die Folge haben, daß nur die eine angemessene Rente ver¬
sprechenden gewählt, alle übrigen aber unberücksichtigt bleiben würden; der
Staat sei aber in der Lage, allen seinen Angehörigen mit gleichem Maße zu
messen, und er werde daher die unfruchtbareren Tracte übernehmen müssen, ohne
dafür in den besseren eine Ausgleichung zur Seite zu haben. Wir könnten in
dieser Ansicht nur dann etwas Begründetes finden, wenn es wahr wäre, daß
für den Staat eine Verpflichtung vorläge, allen und jeden Wünschen und Bedürf¬
nissen dieser Art zu genügen. Diese Voraussetzung würde nothwendigerweise
erst recht zur vollen Verwirklichung der in einem vorhergehenden Satze aus¬
gesprochenen Befürchtung der unabsehbaren Consequenzen führen, die in der
Einmischung des Staates liegen. Wir läugnen aber entschieden, daß eine solche
Verpflichtung vorliegt; sie liegt ebensowenig vor als die, von jedem Dorfe zum
andern eine Chaussee herzustellen. Wo die Anlage einer Eisenbahn nicht einen Ver¬
kehr bereits findet, oder eben durch ihre Einwirkung in hinreichend sichere Aussicht
stellt, der eine angemessene Verzinsung ihres Baucapitales verspricht, da liegt
eine genügsame Veranlassung dazu zur Zeit überhaupt noch nicht vor. Irgend¬
eine. Grenze muß es jedenfalls geben, und diese ist die voraussichtliche Un¬
fruchtbarkeit. Immerhin lasse man Privatunternehmern, welche in der Regel
den Kreisen angehören, die das nächste Interesse dabei haben und die Verhält¬
nisse am genauesten zu beurtheilen wissen, die versprechendsten Linien aus¬
wählen und ausführen; sind die Resultate ungünstig, so liegt kein Grund vor
zu wünschen, daß der Staat den Irrthum jener hätte zu tragen haben sollen;
sind sie günstig, so werden sie eine Aufmunterung sein weiter zu gehen und
auch bis dahin vernachlässigte Richtungen in Angriff zu nehmen, die durch den
allgemeinen Aufschwung allein vielleicht schon zu besseren werden. Freilich
werden nicht alle, selbst nicht alle berechtigten Wünsche und Bedürfnisse mit
einem Male befriedigt werden können; aber dies stellt auch das Decret selbst
bei dem Einschreiten des Staates nicht in Aussicht, und keinenfalls würde der
letztere Weg schneller zum Ziele führen als der andere und wenn dieser dennoch
wider Erwarten sich als ungenügend erwiese, würde immer noch Zeit sein, ein
anderweites Vorschreiten zu erwägen.

Man stelle uns in der obenerwähnten Beziehung nicht einen Vergleich mit
den Postanstalten entgegen; er paßt in vielen hauptsächlichen Beziehungen nicht
— und wie lange Zeit hat es erfordert, ehe jene zu der Stufe gelangten, die
sie jetzt einnehmen, und zu deren Erreichung die Einwirkungen des Eisenbahn¬
wesens wesentlich beigetragen haben. Auch ihre Fortschritte sind nur sehr, sehr


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0055" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/189150"/>
          <p xml:id="ID_145" prev="#ID_144"> betrachten hat. Es fehlt ja leider nicht an Beispielen, wie dehnbar die von<lb/>
Mächtigeren gegebenen Zustcherungen sind!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_146"> Ein Argument, welches als besonders wichtig für den Eisenbahnbau als<lb/>
Staatssache angesehen wird, ist es, wenn man sagt, die Überlassung desselben<lb/>
an Private würde die Folge haben, daß nur die eine angemessene Rente ver¬<lb/>
sprechenden gewählt, alle übrigen aber unberücksichtigt bleiben würden; der<lb/>
Staat sei aber in der Lage, allen seinen Angehörigen mit gleichem Maße zu<lb/>
messen, und er werde daher die unfruchtbareren Tracte übernehmen müssen, ohne<lb/>
dafür in den besseren eine Ausgleichung zur Seite zu haben. Wir könnten in<lb/>
dieser Ansicht nur dann etwas Begründetes finden, wenn es wahr wäre, daß<lb/>
für den Staat eine Verpflichtung vorläge, allen und jeden Wünschen und Bedürf¬<lb/>
nissen dieser Art zu genügen. Diese Voraussetzung würde nothwendigerweise<lb/>
erst recht zur vollen Verwirklichung der in einem vorhergehenden Satze aus¬<lb/>
gesprochenen Befürchtung der unabsehbaren Consequenzen führen, die in der<lb/>
Einmischung des Staates liegen. Wir läugnen aber entschieden, daß eine solche<lb/>
Verpflichtung vorliegt; sie liegt ebensowenig vor als die, von jedem Dorfe zum<lb/>
andern eine Chaussee herzustellen. Wo die Anlage einer Eisenbahn nicht einen Ver¬<lb/>
kehr bereits findet, oder eben durch ihre Einwirkung in hinreichend sichere Aussicht<lb/>
stellt, der eine angemessene Verzinsung ihres Baucapitales verspricht, da liegt<lb/>
eine genügsame Veranlassung dazu zur Zeit überhaupt noch nicht vor. Irgend¬<lb/>
eine. Grenze muß es jedenfalls geben, und diese ist die voraussichtliche Un¬<lb/>
fruchtbarkeit. Immerhin lasse man Privatunternehmern, welche in der Regel<lb/>
den Kreisen angehören, die das nächste Interesse dabei haben und die Verhält¬<lb/>
nisse am genauesten zu beurtheilen wissen, die versprechendsten Linien aus¬<lb/>
wählen und ausführen; sind die Resultate ungünstig, so liegt kein Grund vor<lb/>
zu wünschen, daß der Staat den Irrthum jener hätte zu tragen haben sollen;<lb/>
sind sie günstig, so werden sie eine Aufmunterung sein weiter zu gehen und<lb/>
auch bis dahin vernachlässigte Richtungen in Angriff zu nehmen, die durch den<lb/>
allgemeinen Aufschwung allein vielleicht schon zu besseren werden. Freilich<lb/>
werden nicht alle, selbst nicht alle berechtigten Wünsche und Bedürfnisse mit<lb/>
einem Male befriedigt werden können; aber dies stellt auch das Decret selbst<lb/>
bei dem Einschreiten des Staates nicht in Aussicht, und keinenfalls würde der<lb/>
letztere Weg schneller zum Ziele führen als der andere und wenn dieser dennoch<lb/>
wider Erwarten sich als ungenügend erwiese, würde immer noch Zeit sein, ein<lb/>
anderweites Vorschreiten zu erwägen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_147" next="#ID_148"> Man stelle uns in der obenerwähnten Beziehung nicht einen Vergleich mit<lb/>
den Postanstalten entgegen; er paßt in vielen hauptsächlichen Beziehungen nicht<lb/>
&#x2014; und wie lange Zeit hat es erfordert, ehe jene zu der Stufe gelangten, die<lb/>
sie jetzt einnehmen, und zu deren Erreichung die Einwirkungen des Eisenbahn¬<lb/>
wesens wesentlich beigetragen haben. Auch ihre Fortschritte sind nur sehr, sehr</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0055] betrachten hat. Es fehlt ja leider nicht an Beispielen, wie dehnbar die von Mächtigeren gegebenen Zustcherungen sind! Ein Argument, welches als besonders wichtig für den Eisenbahnbau als Staatssache angesehen wird, ist es, wenn man sagt, die Überlassung desselben an Private würde die Folge haben, daß nur die eine angemessene Rente ver¬ sprechenden gewählt, alle übrigen aber unberücksichtigt bleiben würden; der Staat sei aber in der Lage, allen seinen Angehörigen mit gleichem Maße zu messen, und er werde daher die unfruchtbareren Tracte übernehmen müssen, ohne dafür in den besseren eine Ausgleichung zur Seite zu haben. Wir könnten in dieser Ansicht nur dann etwas Begründetes finden, wenn es wahr wäre, daß für den Staat eine Verpflichtung vorläge, allen und jeden Wünschen und Bedürf¬ nissen dieser Art zu genügen. Diese Voraussetzung würde nothwendigerweise erst recht zur vollen Verwirklichung der in einem vorhergehenden Satze aus¬ gesprochenen Befürchtung der unabsehbaren Consequenzen führen, die in der Einmischung des Staates liegen. Wir läugnen aber entschieden, daß eine solche Verpflichtung vorliegt; sie liegt ebensowenig vor als die, von jedem Dorfe zum andern eine Chaussee herzustellen. Wo die Anlage einer Eisenbahn nicht einen Ver¬ kehr bereits findet, oder eben durch ihre Einwirkung in hinreichend sichere Aussicht stellt, der eine angemessene Verzinsung ihres Baucapitales verspricht, da liegt eine genügsame Veranlassung dazu zur Zeit überhaupt noch nicht vor. Irgend¬ eine. Grenze muß es jedenfalls geben, und diese ist die voraussichtliche Un¬ fruchtbarkeit. Immerhin lasse man Privatunternehmern, welche in der Regel den Kreisen angehören, die das nächste Interesse dabei haben und die Verhält¬ nisse am genauesten zu beurtheilen wissen, die versprechendsten Linien aus¬ wählen und ausführen; sind die Resultate ungünstig, so liegt kein Grund vor zu wünschen, daß der Staat den Irrthum jener hätte zu tragen haben sollen; sind sie günstig, so werden sie eine Aufmunterung sein weiter zu gehen und auch bis dahin vernachlässigte Richtungen in Angriff zu nehmen, die durch den allgemeinen Aufschwung allein vielleicht schon zu besseren werden. Freilich werden nicht alle, selbst nicht alle berechtigten Wünsche und Bedürfnisse mit einem Male befriedigt werden können; aber dies stellt auch das Decret selbst bei dem Einschreiten des Staates nicht in Aussicht, und keinenfalls würde der letztere Weg schneller zum Ziele führen als der andere und wenn dieser dennoch wider Erwarten sich als ungenügend erwiese, würde immer noch Zeit sein, ein anderweites Vorschreiten zu erwägen. Man stelle uns in der obenerwähnten Beziehung nicht einen Vergleich mit den Postanstalten entgegen; er paßt in vielen hauptsächlichen Beziehungen nicht — und wie lange Zeit hat es erfordert, ehe jene zu der Stufe gelangten, die sie jetzt einnehmen, und zu deren Erreichung die Einwirkungen des Eisenbahn¬ wesens wesentlich beigetragen haben. Auch ihre Fortschritte sind nur sehr, sehr

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/55
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/55>, abgerufen am 28.09.2024.