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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band.

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mögliche, lohnende Verkehr erzielt wird, da nur durch einen solchen der größte
Vortheil erlangt werden kann. Wir können auch nicht zugeben, daß sie in
dieser Beziehung, sowie in aufmerksamer, rücksichtsvoller Behandlung des Publi¬
kums, hinter den Staatsbahnverwaltungen irgend zurückgeblieben wären, und
jedenfalls giebt das Obcraufsichtsrecht der Negierung hinreichende Mittel an die
Hand, um etwa vorkommenden Ausschreitungen zu begegnen, und zwar um so
mehr, wenn sie selbst uninteressirt dasteht.

Zu den vorstehenden Betrachtungen treten aber noch andere, vielleicht noch
mehr ins Gewicht fallende. Wenn der Eisenbahnbau zur Sache des Staates
gemacht wird, so entsteht zu allernächst die Frage -- welche Linie soll er aus¬
führen? -- Wie uns das Decret selbst belehrt, liegen Anträge in großer Zahl
vor, und es ist unzweifelhaft, daß mit dem Eintritt jener Eventualität
diese Zahl sich ungemein steigern wird, da jeder Bezirk des Landes
den gleichen Anspruch zu haben glaubt -- und in der That in einiger Beziehung
mindestens auch hat -- indem er, der etwa Vernachlässigte gleichmäßig mit
an den Lasten zu tragen habe, die aus dem Vorzuge entspringen, der Anderen
zu Theil wird. Wer es auch über sich nehmen will, die schwierige Entscheidung
zu treffen -- sei es die Regierung oder die Stände -- er kann im Voraus
sicher sein, daß eine weit verbreitete; tief einschneidende Unzufriedenheit aller
derer, die zurückgewiesen werden, die unausbleibliche Folge sein wird, und
ein unaufhörliches Drängen und Treiben um die schließliche Gewährung.
Wenn der Staat den Eisenbahnbau zu seiner Sache macht, begiebt er sich auf
eine schiefe Ebene auf der kein Stillstand mehr denkbar ist, und die Folgen
in finanzieller Beziehung werden unberechenbar sein, da alsdann die Schul¬
den in rapider Weise steigen müssen. Man möge sich vorsehen, ehe es zu
spät ist.

Angenommen, daß aus einer so löblichen Vorsicht, wie sie in dem Decrete
selbst angedeutet ist, man sich vorerst auf einige wenige Linien beschränkt, so
werden selbstverständlich diejenigen zunächst gewählt werden, welche die allgemein
wichtigsten sind oder scheinen; wie kommen aber die Uebrigen dazu, daß sie mit
ihren von ihrem Standpunkte aus vielleicht ebensosehr oder noch mehr be¬
rechtigten Wünschen zurückstehen sollen, bis, möglicherweise nach langer Zeit erst,
die Reihe an sie kommt, während sie vielleicht weit früher zu dem ersehnten
Ziele gelangten, wenn alles der Privatindustrie überlassen bliebe. Wenigstens
hätte letzteren Falls niemand Ursache zu einer Beschwerde über unbillige Zurück¬
setzung. Man möge dabei nicht einwenden, daß es ja, wo der Staat es nicht
will oder kann, der Privatindustrie immerhin frei stehe, einzutreten. Diese
wird notwendigerweise abgeschreckt werden, irgend etwas zu unternehmen, wenn
sie befürchten muß, daß der Staat früher oder später als Concurrent ihr in
den Weg tritt und sie sich der überlegenen Gewalt gegenüber als schutzlos zu


mögliche, lohnende Verkehr erzielt wird, da nur durch einen solchen der größte
Vortheil erlangt werden kann. Wir können auch nicht zugeben, daß sie in
dieser Beziehung, sowie in aufmerksamer, rücksichtsvoller Behandlung des Publi¬
kums, hinter den Staatsbahnverwaltungen irgend zurückgeblieben wären, und
jedenfalls giebt das Obcraufsichtsrecht der Negierung hinreichende Mittel an die
Hand, um etwa vorkommenden Ausschreitungen zu begegnen, und zwar um so
mehr, wenn sie selbst uninteressirt dasteht.

Zu den vorstehenden Betrachtungen treten aber noch andere, vielleicht noch
mehr ins Gewicht fallende. Wenn der Eisenbahnbau zur Sache des Staates
gemacht wird, so entsteht zu allernächst die Frage — welche Linie soll er aus¬
führen? — Wie uns das Decret selbst belehrt, liegen Anträge in großer Zahl
vor, und es ist unzweifelhaft, daß mit dem Eintritt jener Eventualität
diese Zahl sich ungemein steigern wird, da jeder Bezirk des Landes
den gleichen Anspruch zu haben glaubt — und in der That in einiger Beziehung
mindestens auch hat — indem er, der etwa Vernachlässigte gleichmäßig mit
an den Lasten zu tragen habe, die aus dem Vorzuge entspringen, der Anderen
zu Theil wird. Wer es auch über sich nehmen will, die schwierige Entscheidung
zu treffen — sei es die Regierung oder die Stände — er kann im Voraus
sicher sein, daß eine weit verbreitete; tief einschneidende Unzufriedenheit aller
derer, die zurückgewiesen werden, die unausbleibliche Folge sein wird, und
ein unaufhörliches Drängen und Treiben um die schließliche Gewährung.
Wenn der Staat den Eisenbahnbau zu seiner Sache macht, begiebt er sich auf
eine schiefe Ebene auf der kein Stillstand mehr denkbar ist, und die Folgen
in finanzieller Beziehung werden unberechenbar sein, da alsdann die Schul¬
den in rapider Weise steigen müssen. Man möge sich vorsehen, ehe es zu
spät ist.

Angenommen, daß aus einer so löblichen Vorsicht, wie sie in dem Decrete
selbst angedeutet ist, man sich vorerst auf einige wenige Linien beschränkt, so
werden selbstverständlich diejenigen zunächst gewählt werden, welche die allgemein
wichtigsten sind oder scheinen; wie kommen aber die Uebrigen dazu, daß sie mit
ihren von ihrem Standpunkte aus vielleicht ebensosehr oder noch mehr be¬
rechtigten Wünschen zurückstehen sollen, bis, möglicherweise nach langer Zeit erst,
die Reihe an sie kommt, während sie vielleicht weit früher zu dem ersehnten
Ziele gelangten, wenn alles der Privatindustrie überlassen bliebe. Wenigstens
hätte letzteren Falls niemand Ursache zu einer Beschwerde über unbillige Zurück¬
setzung. Man möge dabei nicht einwenden, daß es ja, wo der Staat es nicht
will oder kann, der Privatindustrie immerhin frei stehe, einzutreten. Diese
wird notwendigerweise abgeschreckt werden, irgend etwas zu unternehmen, wenn
sie befürchten muß, daß der Staat früher oder später als Concurrent ihr in
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/54>, abgerufen am 28.09.2024.