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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band.

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Erlösers, der Apostel Paulus und Petrus, der Evangelisten in der mittleren
Abside, und einer zusammenhängenden Reihe christlich-symbolischer Compositio-
nen auf den angrenzenden Wandflächen der Basilika, hat sich dasselbe in seiner
Vollen Schönheit und Eigenthümlichkeit bewährt. Eine ganz sreie Originalität,
welche mit Kühnheit aus neuen, selbst gebrochnen Bahnen vordränge, offenbart
sich freilich in diesen auf Goldgrund ausgeführten, getreulich dem altflorenti-
nischen Stilprincip sich anschließenden Malereien so wenig, als in den späte-
ren ganz in die neueste Periode fallenden umfangreichen Darstellungen, mit
welchen er das Schiff von Se. Germain des Prof schmückte; so wenig freilich
wie in der ganzen kirchlichen Malerei der Gegenwart. Diese letzteren. 1860
vollendeten Bilder der Geschichte Christi, sind von einer seltnen, erlesenen
Reinheit der Zeichnung in einem sehr mäßig und kühl gestimmten fein harmo¬
nischen Ton der Farbe durchgeführt. Der zarteste und lauterste, ernste und
edle Sinn, eine strenge und gründliche künstlerische Bildung, eine unbedingte
Gewissenhaftigkeit, prägt sich in ihnen aus, -- das Schwanken zwischen der un¬
entrinnbaren Erinnerung der klassischen Muster und dem modernen "gebildeten"
Wollen, Anschaun und Empfinden verläugnet sich dennoch auch in ihnen nicht.

Wo sich Flandrin Stoffen der (symbolisch behandelten) Profangeschichte hin¬
gegeben hat, wie in einigen Saaldecorationen des Luxembourg, oder wo er als
Bildnißmaler auftritt, immer hat er sich jenen Adel der Auffassung, jenen
Idealismus des Stils bewahrt, welche, seiner innersten Natur entquellend, durch
die großen monumentalen Hauptarbeiten seines Lebens zu ihrer vollen und
schönen Entwicklung gelangt sind. In dieser Hinsicht war das im Salon des
vorigen Jahres erschienene große Portrait des jetzigen Kaisers sein mit vollem
Recht gefeiertes Meisterwerk. Keine Aufgabe konnte dieser Art der Behandlung
widerstrebender sein, und mit bewundernswerther Kunst hatte er es dennoch
vermocht, die Wirklichkeit derselben zu unterwerfen und so über sich selbst hinaus
zu erheben, ohne ihrer charakteristischen Eigenthümlichkeit Zwang anzuthun.
Dies Bild war einer seiner letzten künstlerischen Triumphe: vor wenig Monaten
ist der liebenswürdige Meister seinem Volk und der Kunst entrissen, überlebt
von seinem dreiundachtzigjährigen väterlichen Lehrer Ingres.

Mit Flandrin können sich auf dem Gebiet religiöser Kunst, am wenigsten
der monumentalen, kaum andre unter seinen zeitgenössischen französischen Col-
legen messen. Was Delacroix noch im letzten Jahrzehnt in verschiedenen Kapellen
von pariser Kirchen in der Art geleistet hat, ist -- bei aller Anerkennung von
seinem in andern Richtungen so mächtigen Talent und Können muß man es
sich gestehn -- eigentlich wüstes Zeug, ebenso fern von religiöser Würde der
Empfindung, wie .von der von monumentalen Werken vor allem zu fordernden
Würde der Wirkung. Ary Scheffers letzte der christlichen Mythe entlehnte Bil-
der sind in ihrer transparenten Vergeistigung doch recht herzlich unwahr und


Erlösers, der Apostel Paulus und Petrus, der Evangelisten in der mittleren
Abside, und einer zusammenhängenden Reihe christlich-symbolischer Compositio-
nen auf den angrenzenden Wandflächen der Basilika, hat sich dasselbe in seiner
Vollen Schönheit und Eigenthümlichkeit bewährt. Eine ganz sreie Originalität,
welche mit Kühnheit aus neuen, selbst gebrochnen Bahnen vordränge, offenbart
sich freilich in diesen auf Goldgrund ausgeführten, getreulich dem altflorenti-
nischen Stilprincip sich anschließenden Malereien so wenig, als in den späte-
ren ganz in die neueste Periode fallenden umfangreichen Darstellungen, mit
welchen er das Schiff von Se. Germain des Prof schmückte; so wenig freilich
wie in der ganzen kirchlichen Malerei der Gegenwart. Diese letzteren. 1860
vollendeten Bilder der Geschichte Christi, sind von einer seltnen, erlesenen
Reinheit der Zeichnung in einem sehr mäßig und kühl gestimmten fein harmo¬
nischen Ton der Farbe durchgeführt. Der zarteste und lauterste, ernste und
edle Sinn, eine strenge und gründliche künstlerische Bildung, eine unbedingte
Gewissenhaftigkeit, prägt sich in ihnen aus, — das Schwanken zwischen der un¬
entrinnbaren Erinnerung der klassischen Muster und dem modernen „gebildeten"
Wollen, Anschaun und Empfinden verläugnet sich dennoch auch in ihnen nicht.

Wo sich Flandrin Stoffen der (symbolisch behandelten) Profangeschichte hin¬
gegeben hat, wie in einigen Saaldecorationen des Luxembourg, oder wo er als
Bildnißmaler auftritt, immer hat er sich jenen Adel der Auffassung, jenen
Idealismus des Stils bewahrt, welche, seiner innersten Natur entquellend, durch
die großen monumentalen Hauptarbeiten seines Lebens zu ihrer vollen und
schönen Entwicklung gelangt sind. In dieser Hinsicht war das im Salon des
vorigen Jahres erschienene große Portrait des jetzigen Kaisers sein mit vollem
Recht gefeiertes Meisterwerk. Keine Aufgabe konnte dieser Art der Behandlung
widerstrebender sein, und mit bewundernswerther Kunst hatte er es dennoch
vermocht, die Wirklichkeit derselben zu unterwerfen und so über sich selbst hinaus
zu erheben, ohne ihrer charakteristischen Eigenthümlichkeit Zwang anzuthun.
Dies Bild war einer seiner letzten künstlerischen Triumphe: vor wenig Monaten
ist der liebenswürdige Meister seinem Volk und der Kunst entrissen, überlebt
von seinem dreiundachtzigjährigen väterlichen Lehrer Ingres.

Mit Flandrin können sich auf dem Gebiet religiöser Kunst, am wenigsten
der monumentalen, kaum andre unter seinen zeitgenössischen französischen Col-
legen messen. Was Delacroix noch im letzten Jahrzehnt in verschiedenen Kapellen
von pariser Kirchen in der Art geleistet hat, ist — bei aller Anerkennung von
seinem in andern Richtungen so mächtigen Talent und Können muß man es
sich gestehn — eigentlich wüstes Zeug, ebenso fern von religiöser Würde der
Empfindung, wie .von der von monumentalen Werken vor allem zu fordernden
Würde der Wirkung. Ary Scheffers letzte der christlichen Mythe entlehnte Bil-
der sind in ihrer transparenten Vergeistigung doch recht herzlich unwahr und


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[0442] Erlösers, der Apostel Paulus und Petrus, der Evangelisten in der mittleren Abside, und einer zusammenhängenden Reihe christlich-symbolischer Compositio- nen auf den angrenzenden Wandflächen der Basilika, hat sich dasselbe in seiner Vollen Schönheit und Eigenthümlichkeit bewährt. Eine ganz sreie Originalität, welche mit Kühnheit aus neuen, selbst gebrochnen Bahnen vordränge, offenbart sich freilich in diesen auf Goldgrund ausgeführten, getreulich dem altflorenti- nischen Stilprincip sich anschließenden Malereien so wenig, als in den späte- ren ganz in die neueste Periode fallenden umfangreichen Darstellungen, mit welchen er das Schiff von Se. Germain des Prof schmückte; so wenig freilich wie in der ganzen kirchlichen Malerei der Gegenwart. Diese letzteren. 1860 vollendeten Bilder der Geschichte Christi, sind von einer seltnen, erlesenen Reinheit der Zeichnung in einem sehr mäßig und kühl gestimmten fein harmo¬ nischen Ton der Farbe durchgeführt. Der zarteste und lauterste, ernste und edle Sinn, eine strenge und gründliche künstlerische Bildung, eine unbedingte Gewissenhaftigkeit, prägt sich in ihnen aus, — das Schwanken zwischen der un¬ entrinnbaren Erinnerung der klassischen Muster und dem modernen „gebildeten" Wollen, Anschaun und Empfinden verläugnet sich dennoch auch in ihnen nicht. Wo sich Flandrin Stoffen der (symbolisch behandelten) Profangeschichte hin¬ gegeben hat, wie in einigen Saaldecorationen des Luxembourg, oder wo er als Bildnißmaler auftritt, immer hat er sich jenen Adel der Auffassung, jenen Idealismus des Stils bewahrt, welche, seiner innersten Natur entquellend, durch die großen monumentalen Hauptarbeiten seines Lebens zu ihrer vollen und schönen Entwicklung gelangt sind. In dieser Hinsicht war das im Salon des vorigen Jahres erschienene große Portrait des jetzigen Kaisers sein mit vollem Recht gefeiertes Meisterwerk. Keine Aufgabe konnte dieser Art der Behandlung widerstrebender sein, und mit bewundernswerther Kunst hatte er es dennoch vermocht, die Wirklichkeit derselben zu unterwerfen und so über sich selbst hinaus zu erheben, ohne ihrer charakteristischen Eigenthümlichkeit Zwang anzuthun. Dies Bild war einer seiner letzten künstlerischen Triumphe: vor wenig Monaten ist der liebenswürdige Meister seinem Volk und der Kunst entrissen, überlebt von seinem dreiundachtzigjährigen väterlichen Lehrer Ingres. Mit Flandrin können sich auf dem Gebiet religiöser Kunst, am wenigsten der monumentalen, kaum andre unter seinen zeitgenössischen französischen Col- legen messen. Was Delacroix noch im letzten Jahrzehnt in verschiedenen Kapellen von pariser Kirchen in der Art geleistet hat, ist — bei aller Anerkennung von seinem in andern Richtungen so mächtigen Talent und Können muß man es sich gestehn — eigentlich wüstes Zeug, ebenso fern von religiöser Würde der Empfindung, wie .von der von monumentalen Werken vor allem zu fordernden Würde der Wirkung. Ary Scheffers letzte der christlichen Mythe entlehnte Bil- der sind in ihrer transparenten Vergeistigung doch recht herzlich unwahr und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/442>, abgerufen am 28.09.2024.