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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band.

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der alten Kunst in den Galerien des Louvre von den darübergehängten male¬
rischen Producten einer so viel armseligeren Gegenwart bedeckt und so während
der Ausstellungsdaucr von je zwei Monaten dem Genuß und Studium entzo¬
gen wurden; während später der "Salon" sich in einem Holzgebäude im Hos
des Palais Royal unterbringen lassen mußte, wurde ihm unter der kaiserlichen
Regierung in dem Palais de l'Exposition in den Champs Elyse-es ein dauern¬
des Haus, ein Kunstpalast von den allergroßartigsten Verhältnissen, von den
glücklichsten Raum- und Beleuchtungdispositionen und dem würdigsten Material
und Schmuck gegründet. Dieser mächtige Bau wurde im Jahre 1835 einge¬
weiht durch die allgemeine internationale Industrie- und Kunstausstellung, auf
welcher die nationale Malerei mit der Gesammtheit ihrer größten Leistungen
seit einem Vierteljahrhundert auftrat. Sie fand dort Gelegenheit, sich gleich¬
sam auf sich selbst zu besinnen, zu einem noch stolzerem Vollgefühl und Be¬
wußtsein ihrer Kraft zu gelangen, als es ihr ehedem schon eigen war. Sehen
wir nun, nachdem wir den ihr gegebenen gesellschaftlichen Boden skizzirt und
die von der Zeit, von den herrschenden Mächten, von öffentlichen Zuständen,
Sitten, Richtungen auf sie ausgeübten geistigen und materiellen Einwirkungen
in Kürze zu schildern versuchten, zu welchen Resultaten im Einzelnen diese
Kunst während der letzten Jahre auf solchem Grunde und unter solchem Ein¬
fluß gelangt ist; welche Meister und welche zukunftreichen Talente die franzö¬
sische Malerschule in dieser neuen Epoche des nationalen Lebens aus sich her¬
vorgehn sah.

Fremdartiger, unberührter von der ganzen geistigen Luft des kaiserlichen
modernen Frankreich steht wohl kaum eine andre Künstlergestalt da, als Hip-
Pvlyte Flandrin (geb. zu Lyon 1809). Der treuste Schüler Ingres, ist sein
ganzes künstlerisches Leben dem Cultus der reinen, idealen Form gewidmet ge¬
wesen, während eine glücklichere Begabung, ein weicheres Empfinden ihn von
der Trockenheit der Linie und der frostigen Kälte des Colorits frei machte, die
seinem gefeierten Meister eignen. Eine tiefe schwärmerische Frömmigkeit des
Gemüths, eine der Welt abgekehrte Geistesrichtung verband sich mit jenen künst¬
lerischen Eigenschaften und ließ ihn so zu dem ersten und reinsten Vertreter der
religiösen und kirchlich-monumentalen Malerei werden, welchen die moderne
französische Kunst überhaupt gehabt hat. Unter Louis Philipp war er in die¬
ser Richtung bereits vielfach thätig. In der mit Malereien sehr verschiedner
und widersprechender Art und Kunst erfüllten Kirche Se. Vincent de Paul, in
der einen Kapelle von Se. Severin, vor allem in dem hohen Chor der neu
restaurirten Abteikirche Se. Germain des Prof in Paris und in der neuen
Kirche Se. Paul zu N!mes durfte er sein großes Talent, seinen eigensten Lieb¬
lingsneigungen folgend, bethätigen.

Zumal in dem letztgenannten Darstellungscyklus, kolossalen Gestalten des


Grenzboten III. 1864, SS

der alten Kunst in den Galerien des Louvre von den darübergehängten male¬
rischen Producten einer so viel armseligeren Gegenwart bedeckt und so während
der Ausstellungsdaucr von je zwei Monaten dem Genuß und Studium entzo¬
gen wurden; während später der „Salon" sich in einem Holzgebäude im Hos
des Palais Royal unterbringen lassen mußte, wurde ihm unter der kaiserlichen
Regierung in dem Palais de l'Exposition in den Champs Elyse-es ein dauern¬
des Haus, ein Kunstpalast von den allergroßartigsten Verhältnissen, von den
glücklichsten Raum- und Beleuchtungdispositionen und dem würdigsten Material
und Schmuck gegründet. Dieser mächtige Bau wurde im Jahre 1835 einge¬
weiht durch die allgemeine internationale Industrie- und Kunstausstellung, auf
welcher die nationale Malerei mit der Gesammtheit ihrer größten Leistungen
seit einem Vierteljahrhundert auftrat. Sie fand dort Gelegenheit, sich gleich¬
sam auf sich selbst zu besinnen, zu einem noch stolzerem Vollgefühl und Be¬
wußtsein ihrer Kraft zu gelangen, als es ihr ehedem schon eigen war. Sehen
wir nun, nachdem wir den ihr gegebenen gesellschaftlichen Boden skizzirt und
die von der Zeit, von den herrschenden Mächten, von öffentlichen Zuständen,
Sitten, Richtungen auf sie ausgeübten geistigen und materiellen Einwirkungen
in Kürze zu schildern versuchten, zu welchen Resultaten im Einzelnen diese
Kunst während der letzten Jahre auf solchem Grunde und unter solchem Ein¬
fluß gelangt ist; welche Meister und welche zukunftreichen Talente die franzö¬
sische Malerschule in dieser neuen Epoche des nationalen Lebens aus sich her¬
vorgehn sah.

Fremdartiger, unberührter von der ganzen geistigen Luft des kaiserlichen
modernen Frankreich steht wohl kaum eine andre Künstlergestalt da, als Hip-
Pvlyte Flandrin (geb. zu Lyon 1809). Der treuste Schüler Ingres, ist sein
ganzes künstlerisches Leben dem Cultus der reinen, idealen Form gewidmet ge¬
wesen, während eine glücklichere Begabung, ein weicheres Empfinden ihn von
der Trockenheit der Linie und der frostigen Kälte des Colorits frei machte, die
seinem gefeierten Meister eignen. Eine tiefe schwärmerische Frömmigkeit des
Gemüths, eine der Welt abgekehrte Geistesrichtung verband sich mit jenen künst¬
lerischen Eigenschaften und ließ ihn so zu dem ersten und reinsten Vertreter der
religiösen und kirchlich-monumentalen Malerei werden, welchen die moderne
französische Kunst überhaupt gehabt hat. Unter Louis Philipp war er in die¬
ser Richtung bereits vielfach thätig. In der mit Malereien sehr verschiedner
und widersprechender Art und Kunst erfüllten Kirche Se. Vincent de Paul, in
der einen Kapelle von Se. Severin, vor allem in dem hohen Chor der neu
restaurirten Abteikirche Se. Germain des Prof in Paris und in der neuen
Kirche Se. Paul zu N!mes durfte er sein großes Talent, seinen eigensten Lieb¬
lingsneigungen folgend, bethätigen.

Zumal in dem letztgenannten Darstellungscyklus, kolossalen Gestalten des


Grenzboten III. 1864, SS
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[0441] der alten Kunst in den Galerien des Louvre von den darübergehängten male¬ rischen Producten einer so viel armseligeren Gegenwart bedeckt und so während der Ausstellungsdaucr von je zwei Monaten dem Genuß und Studium entzo¬ gen wurden; während später der „Salon" sich in einem Holzgebäude im Hos des Palais Royal unterbringen lassen mußte, wurde ihm unter der kaiserlichen Regierung in dem Palais de l'Exposition in den Champs Elyse-es ein dauern¬ des Haus, ein Kunstpalast von den allergroßartigsten Verhältnissen, von den glücklichsten Raum- und Beleuchtungdispositionen und dem würdigsten Material und Schmuck gegründet. Dieser mächtige Bau wurde im Jahre 1835 einge¬ weiht durch die allgemeine internationale Industrie- und Kunstausstellung, auf welcher die nationale Malerei mit der Gesammtheit ihrer größten Leistungen seit einem Vierteljahrhundert auftrat. Sie fand dort Gelegenheit, sich gleich¬ sam auf sich selbst zu besinnen, zu einem noch stolzerem Vollgefühl und Be¬ wußtsein ihrer Kraft zu gelangen, als es ihr ehedem schon eigen war. Sehen wir nun, nachdem wir den ihr gegebenen gesellschaftlichen Boden skizzirt und die von der Zeit, von den herrschenden Mächten, von öffentlichen Zuständen, Sitten, Richtungen auf sie ausgeübten geistigen und materiellen Einwirkungen in Kürze zu schildern versuchten, zu welchen Resultaten im Einzelnen diese Kunst während der letzten Jahre auf solchem Grunde und unter solchem Ein¬ fluß gelangt ist; welche Meister und welche zukunftreichen Talente die franzö¬ sische Malerschule in dieser neuen Epoche des nationalen Lebens aus sich her¬ vorgehn sah. Fremdartiger, unberührter von der ganzen geistigen Luft des kaiserlichen modernen Frankreich steht wohl kaum eine andre Künstlergestalt da, als Hip- Pvlyte Flandrin (geb. zu Lyon 1809). Der treuste Schüler Ingres, ist sein ganzes künstlerisches Leben dem Cultus der reinen, idealen Form gewidmet ge¬ wesen, während eine glücklichere Begabung, ein weicheres Empfinden ihn von der Trockenheit der Linie und der frostigen Kälte des Colorits frei machte, die seinem gefeierten Meister eignen. Eine tiefe schwärmerische Frömmigkeit des Gemüths, eine der Welt abgekehrte Geistesrichtung verband sich mit jenen künst¬ lerischen Eigenschaften und ließ ihn so zu dem ersten und reinsten Vertreter der religiösen und kirchlich-monumentalen Malerei werden, welchen die moderne französische Kunst überhaupt gehabt hat. Unter Louis Philipp war er in die¬ ser Richtung bereits vielfach thätig. In der mit Malereien sehr verschiedner und widersprechender Art und Kunst erfüllten Kirche Se. Vincent de Paul, in der einen Kapelle von Se. Severin, vor allem in dem hohen Chor der neu restaurirten Abteikirche Se. Germain des Prof in Paris und in der neuen Kirche Se. Paul zu N!mes durfte er sein großes Talent, seinen eigensten Lieb¬ lingsneigungen folgend, bethätigen. Zumal in dem letztgenannten Darstellungscyklus, kolossalen Gestalten des Grenzboten III. 1864, SS

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/441>, abgerufen am 28.09.2024.