Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

im schlimmen Sinne modern französisch, wie fest ihr Autor und seine Verehrer
auch davon überzeugt gewesen find, daß sie in einem kaum geringeren Gegen¬
satz, in strenger, reiner geistiger Schöne der Gegenwart und der Kunst des
Tages gegenüber ständen, wie ehedem Lesueur der seines Jahrhunderts, des
Zeitalters Ludwig des Vierzehnten. Paul Delaroche fand, wie schon erwähnt,
noch in seinen letzten Lebensjahren für die immer ernster und düstrer werdende
religiöse Richtung seiner Seele einen originellen künstlerischen Ausdruck, von
zuweilen tief ergreifender Gewalt in jenen Darstellungen, welche die christliche
Leidensgeschichte, ihrer Wunder entkleidet, nur von ihrer rein menschlichen Seite
aufgefaßt zeigen, Bildern von Nebenscenen der göttlichen Tragödie, die unserem
Empfinden möglichst nahe gerückt, einer tiefen nachhaltigen Wirkung nicht ent¬
behren. In seinem Schüler Jalabert hat er einen begabten und tüchtigen Nach¬
folger in verwandter Richtung gefunden.

Zu einer schönen Reinheit und edeln Größe des Stils in kirchlichen
Bilder" erhebt sich Gendrvn, der ehedem seine ersten Lorbeeren auf ganz anderm
Gebiet, dem des antiken Genres pflückte. Das Bild der heiligen Katharina,
die im Tempel des Jupiter zu Alexandrien vor Kaiser Maximin und den
heidnischen Gelehrten die christliche Religion vertheidigt, ein Theil der Dekora¬
tion einer Kapelle der Kirche Se. Gervais, das im vorjährigen Salon aus¬
gestellt war, vereinigte mit einer echt monumentalen Simplicität der Zeichnung
eine ungemein bedeutende Wirkung der Farbe, in welcher der geistig poetische
Gebalt des Ganzen sich nicht minder rein ausgeprägt zeigte, wie in der Compo-
sitio". Zu den ernsten durchaus tüchtigen Malern religiöser Gegenstände zähle
ich ferner Michel Dumas, dessen gekreuzigter Christus sich würdig den besten
Behandlungen desselben Stoffs anreiht. Das ewige Thema der Gottesmutter,
der heiligen Familie, wird natürlich auf Bestellung wie aus eignem Drang von
der heutigen französischen Malerei so oft und vielfach behandelt wie nur je.
Keines aber entzieht sich wohl mehr der innersten Geistes- und Gemüthsrichtung
der heutigen Franzosen wie dieses; und selbst die Besten können, wo sie nicht
blos das längst Dagewesene zu wiederholen sich begnügen, sondern selbständig
ihre eignen Wege gehen wollen, sich davon nicht so freihalten, daß ihre der¬
artigen Bilder nicht den Beweis der Unmöglichkeit führten, ihrerseits solcher
Aufgabe wahrhaft gerecht zu werden. Die moderne französische Madonne (nur
die junge mit dem Christusknaben habe ich hier im Sinn) ist immer eine mehr
oder weniger süßliche, mit ihrer Unschuld und Frömmigkeit kokettirende junge
Dame, von bester Pensionserziehung, und doch einem Wesen und einer Er¬
scheinung, daß sie aus ihrer Umgebung nicht eben herausfallen würde, wenn
sie ihre Andacht in der elegantesten Kapelle der Kirche Notre Dame de Lorette
verrichtete. Von diesem Grundcharakter entfernt sich denn auch nicht das be¬
rühmte Bild der Madonna mit Christus und Johannes des trefflichen Bougereau;


SS"

im schlimmen Sinne modern französisch, wie fest ihr Autor und seine Verehrer
auch davon überzeugt gewesen find, daß sie in einem kaum geringeren Gegen¬
satz, in strenger, reiner geistiger Schöne der Gegenwart und der Kunst des
Tages gegenüber ständen, wie ehedem Lesueur der seines Jahrhunderts, des
Zeitalters Ludwig des Vierzehnten. Paul Delaroche fand, wie schon erwähnt,
noch in seinen letzten Lebensjahren für die immer ernster und düstrer werdende
religiöse Richtung seiner Seele einen originellen künstlerischen Ausdruck, von
zuweilen tief ergreifender Gewalt in jenen Darstellungen, welche die christliche
Leidensgeschichte, ihrer Wunder entkleidet, nur von ihrer rein menschlichen Seite
aufgefaßt zeigen, Bildern von Nebenscenen der göttlichen Tragödie, die unserem
Empfinden möglichst nahe gerückt, einer tiefen nachhaltigen Wirkung nicht ent¬
behren. In seinem Schüler Jalabert hat er einen begabten und tüchtigen Nach¬
folger in verwandter Richtung gefunden.

Zu einer schönen Reinheit und edeln Größe des Stils in kirchlichen
Bilder» erhebt sich Gendrvn, der ehedem seine ersten Lorbeeren auf ganz anderm
Gebiet, dem des antiken Genres pflückte. Das Bild der heiligen Katharina,
die im Tempel des Jupiter zu Alexandrien vor Kaiser Maximin und den
heidnischen Gelehrten die christliche Religion vertheidigt, ein Theil der Dekora¬
tion einer Kapelle der Kirche Se. Gervais, das im vorjährigen Salon aus¬
gestellt war, vereinigte mit einer echt monumentalen Simplicität der Zeichnung
eine ungemein bedeutende Wirkung der Farbe, in welcher der geistig poetische
Gebalt des Ganzen sich nicht minder rein ausgeprägt zeigte, wie in der Compo-
sitio». Zu den ernsten durchaus tüchtigen Malern religiöser Gegenstände zähle
ich ferner Michel Dumas, dessen gekreuzigter Christus sich würdig den besten
Behandlungen desselben Stoffs anreiht. Das ewige Thema der Gottesmutter,
der heiligen Familie, wird natürlich auf Bestellung wie aus eignem Drang von
der heutigen französischen Malerei so oft und vielfach behandelt wie nur je.
Keines aber entzieht sich wohl mehr der innersten Geistes- und Gemüthsrichtung
der heutigen Franzosen wie dieses; und selbst die Besten können, wo sie nicht
blos das längst Dagewesene zu wiederholen sich begnügen, sondern selbständig
ihre eignen Wege gehen wollen, sich davon nicht so freihalten, daß ihre der¬
artigen Bilder nicht den Beweis der Unmöglichkeit führten, ihrerseits solcher
Aufgabe wahrhaft gerecht zu werden. Die moderne französische Madonne (nur
die junge mit dem Christusknaben habe ich hier im Sinn) ist immer eine mehr
oder weniger süßliche, mit ihrer Unschuld und Frömmigkeit kokettirende junge
Dame, von bester Pensionserziehung, und doch einem Wesen und einer Er¬
scheinung, daß sie aus ihrer Umgebung nicht eben herausfallen würde, wenn
sie ihre Andacht in der elegantesten Kapelle der Kirche Notre Dame de Lorette
verrichtete. Von diesem Grundcharakter entfernt sich denn auch nicht das be¬
rühmte Bild der Madonna mit Christus und Johannes des trefflichen Bougereau;


SS"
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0443" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/189538"/>
          <p xml:id="ID_1719" prev="#ID_1718"> im schlimmen Sinne modern französisch, wie fest ihr Autor und seine Verehrer<lb/>
auch davon überzeugt gewesen find, daß sie in einem kaum geringeren Gegen¬<lb/>
satz, in strenger, reiner geistiger Schöne der Gegenwart und der Kunst des<lb/>
Tages gegenüber ständen, wie ehedem Lesueur der seines Jahrhunderts, des<lb/>
Zeitalters Ludwig des Vierzehnten. Paul Delaroche fand, wie schon erwähnt,<lb/>
noch in seinen letzten Lebensjahren für die immer ernster und düstrer werdende<lb/>
religiöse Richtung seiner Seele einen originellen künstlerischen Ausdruck, von<lb/>
zuweilen tief ergreifender Gewalt in jenen Darstellungen, welche die christliche<lb/>
Leidensgeschichte, ihrer Wunder entkleidet, nur von ihrer rein menschlichen Seite<lb/>
aufgefaßt zeigen, Bildern von Nebenscenen der göttlichen Tragödie, die unserem<lb/>
Empfinden möglichst nahe gerückt, einer tiefen nachhaltigen Wirkung nicht ent¬<lb/>
behren. In seinem Schüler Jalabert hat er einen begabten und tüchtigen Nach¬<lb/>
folger in verwandter Richtung gefunden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1720" next="#ID_1721"> Zu einer schönen Reinheit und edeln Größe des Stils in kirchlichen<lb/>
Bilder» erhebt sich Gendrvn, der ehedem seine ersten Lorbeeren auf ganz anderm<lb/>
Gebiet, dem des antiken Genres pflückte. Das Bild der heiligen Katharina,<lb/>
die im Tempel des Jupiter zu Alexandrien vor Kaiser Maximin und den<lb/>
heidnischen Gelehrten die christliche Religion vertheidigt, ein Theil der Dekora¬<lb/>
tion einer Kapelle der Kirche Se. Gervais, das im vorjährigen Salon aus¬<lb/>
gestellt war, vereinigte mit einer echt monumentalen Simplicität der Zeichnung<lb/>
eine ungemein bedeutende Wirkung der Farbe, in welcher der geistig poetische<lb/>
Gebalt des Ganzen sich nicht minder rein ausgeprägt zeigte, wie in der Compo-<lb/>
sitio». Zu den ernsten durchaus tüchtigen Malern religiöser Gegenstände zähle<lb/>
ich ferner Michel Dumas, dessen gekreuzigter Christus sich würdig den besten<lb/>
Behandlungen desselben Stoffs anreiht. Das ewige Thema der Gottesmutter,<lb/>
der heiligen Familie, wird natürlich auf Bestellung wie aus eignem Drang von<lb/>
der heutigen französischen Malerei so oft und vielfach behandelt wie nur je.<lb/>
Keines aber entzieht sich wohl mehr der innersten Geistes- und Gemüthsrichtung<lb/>
der heutigen Franzosen wie dieses; und selbst die Besten können, wo sie nicht<lb/>
blos das längst Dagewesene zu wiederholen sich begnügen, sondern selbständig<lb/>
ihre eignen Wege gehen wollen, sich davon nicht so freihalten, daß ihre der¬<lb/>
artigen Bilder nicht den Beweis der Unmöglichkeit führten, ihrerseits solcher<lb/>
Aufgabe wahrhaft gerecht zu werden. Die moderne französische Madonne (nur<lb/>
die junge mit dem Christusknaben habe ich hier im Sinn) ist immer eine mehr<lb/>
oder weniger süßliche, mit ihrer Unschuld und Frömmigkeit kokettirende junge<lb/>
Dame, von bester Pensionserziehung, und doch einem Wesen und einer Er¬<lb/>
scheinung, daß sie aus ihrer Umgebung nicht eben herausfallen würde, wenn<lb/>
sie ihre Andacht in der elegantesten Kapelle der Kirche Notre Dame de Lorette<lb/>
verrichtete. Von diesem Grundcharakter entfernt sich denn auch nicht das be¬<lb/>
rühmte Bild der Madonna mit Christus und Johannes des trefflichen Bougereau;</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> SS"</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0443] im schlimmen Sinne modern französisch, wie fest ihr Autor und seine Verehrer auch davon überzeugt gewesen find, daß sie in einem kaum geringeren Gegen¬ satz, in strenger, reiner geistiger Schöne der Gegenwart und der Kunst des Tages gegenüber ständen, wie ehedem Lesueur der seines Jahrhunderts, des Zeitalters Ludwig des Vierzehnten. Paul Delaroche fand, wie schon erwähnt, noch in seinen letzten Lebensjahren für die immer ernster und düstrer werdende religiöse Richtung seiner Seele einen originellen künstlerischen Ausdruck, von zuweilen tief ergreifender Gewalt in jenen Darstellungen, welche die christliche Leidensgeschichte, ihrer Wunder entkleidet, nur von ihrer rein menschlichen Seite aufgefaßt zeigen, Bildern von Nebenscenen der göttlichen Tragödie, die unserem Empfinden möglichst nahe gerückt, einer tiefen nachhaltigen Wirkung nicht ent¬ behren. In seinem Schüler Jalabert hat er einen begabten und tüchtigen Nach¬ folger in verwandter Richtung gefunden. Zu einer schönen Reinheit und edeln Größe des Stils in kirchlichen Bilder» erhebt sich Gendrvn, der ehedem seine ersten Lorbeeren auf ganz anderm Gebiet, dem des antiken Genres pflückte. Das Bild der heiligen Katharina, die im Tempel des Jupiter zu Alexandrien vor Kaiser Maximin und den heidnischen Gelehrten die christliche Religion vertheidigt, ein Theil der Dekora¬ tion einer Kapelle der Kirche Se. Gervais, das im vorjährigen Salon aus¬ gestellt war, vereinigte mit einer echt monumentalen Simplicität der Zeichnung eine ungemein bedeutende Wirkung der Farbe, in welcher der geistig poetische Gebalt des Ganzen sich nicht minder rein ausgeprägt zeigte, wie in der Compo- sitio». Zu den ernsten durchaus tüchtigen Malern religiöser Gegenstände zähle ich ferner Michel Dumas, dessen gekreuzigter Christus sich würdig den besten Behandlungen desselben Stoffs anreiht. Das ewige Thema der Gottesmutter, der heiligen Familie, wird natürlich auf Bestellung wie aus eignem Drang von der heutigen französischen Malerei so oft und vielfach behandelt wie nur je. Keines aber entzieht sich wohl mehr der innersten Geistes- und Gemüthsrichtung der heutigen Franzosen wie dieses; und selbst die Besten können, wo sie nicht blos das längst Dagewesene zu wiederholen sich begnügen, sondern selbständig ihre eignen Wege gehen wollen, sich davon nicht so freihalten, daß ihre der¬ artigen Bilder nicht den Beweis der Unmöglichkeit führten, ihrerseits solcher Aufgabe wahrhaft gerecht zu werden. Die moderne französische Madonne (nur die junge mit dem Christusknaben habe ich hier im Sinn) ist immer eine mehr oder weniger süßliche, mit ihrer Unschuld und Frömmigkeit kokettirende junge Dame, von bester Pensionserziehung, und doch einem Wesen und einer Er¬ scheinung, daß sie aus ihrer Umgebung nicht eben herausfallen würde, wenn sie ihre Andacht in der elegantesten Kapelle der Kirche Notre Dame de Lorette verrichtete. Von diesem Grundcharakter entfernt sich denn auch nicht das be¬ rühmte Bild der Madonna mit Christus und Johannes des trefflichen Bougereau; SS"

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/443
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/443>, abgerufen am 28.09.2024.