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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band.

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gleichzeitig der allerchristlichste ist. Heitre Sünden und Buße und Zerknirschung
schließen sich niemals aus und es ließ sich immer trefflich damit abwechseln.
So blüht denn auch heute die von oben her in frömmsten Schutz genommene
Kirchlichkeit und Heiligkeit im Paterlande Voltaires in voller Glorie und jedes
Wunder, das seine Verehrer hat, fand und findet auch seine Maler.

Daneben ist der gegenwärtige allgemeine Standpunkt des großen "kunstlie¬
benden Publicums" der Malerei gegenüber zu berücksichtigen. Wie das Kaiser¬
reich seine Herrschaft auf der Auflösung aller alten politischen Parteien gegrün¬
det hat, so findet die Malerei dieser Periode auch die ehemaligen ästhetischen,
künstlerischen Parteigruppirungen, deren erbitterter Kampf sich durch die vor¬
hergegangenen vier Jahrzehnte der französischen Kunst zieht, aufgelöst, zersplit¬
tert und verwirrt. Die entschiedene und ausschließliche Begeisterung für ein
bestimmtes Princip, für einen bestimmten Meister, der feste, überzeugte Glaube
an die alleinige oder doch überragende Wichtigkeit. Vorzüglichkeit oder Berech¬
tigung des einen oder des andern ist mehr und mehr abgeschwächt und verlo¬
ren gegangen. Das Gefühl für das eigentlich und wesentlich Künstlerische hat
sich jedenfalls verfeinert und verschärft, man weiß die intimeren Schönheiten
und Reize einer vollendeten Zeichnung und Malerei mehr um ihrer selbst wil¬
len zu schätzen, ist gegen den stofflichen Inhalt weit gleichgiltiger geworden,
so daß die gänzliche Nichtigkeit desselben dem Erfolg eines Werks nicht im Min¬
desten hinderlich wird, während man von den anspruchsvollen dramatischen und
romantischen Historien, die ehemals einem so großen Interesse zu begegnen
pflegten, wenig wissen mag; die "classischen und romantischen" Sympathien
und Antipathien existiren kaum mehr, die alten heftigen Fehden zwischen den
Verehrern der Linie und der Farbe, zwischen Idealisten und Realisten ruhen
fast gänzlich. Nicht nur der "Blocksberg und der deutsche Parnaß hat gar
einen breiten Gipfel", der der französischen Maler der Gegenwart jedenfalls
auch. Die liebevolle, sorgliche Pflege des Talents, die großartig gebotne Ge¬
legenheit zu seiner gründlichen und umfassenden Ausbildung, die Aufmunterung
und Förderung jeder künstlerischen Kraft, wo sie irgend über das Niveau des
Gewöhnlichen hervortritt -- das alles, worin die französischen Machthaber
seit manchem Jahrzehnt ihren ehrenden Stolz zu finden pflegten, hat unter
dem Kaiserreich eher noch einen kräftigeren Aufschwung als ein Nachlassen er¬
fahren. Für die Bewahrung. Ordnung, Vermehrung und Bereicherung der
Schätze von großen Mustern der Kunst in Museen und Galerien ist und wird
das Außerordentlichste gethan; für das Studium jeder Richtung und jeder Tech¬
nik gleich zweckentsprechend und freigebig gesorgt. Dem ehemaligen Jammer
um ein Local für die jährlichen Kunstausstellungen ist endlich und für immer
ein Ziel gesetzt. Während unter Louis Philipp in Ermanglung einer eigens
diesem Zweck dienenden Räumlichkeit alljährlich die unschätzbaren Meisterwerke


gleichzeitig der allerchristlichste ist. Heitre Sünden und Buße und Zerknirschung
schließen sich niemals aus und es ließ sich immer trefflich damit abwechseln.
So blüht denn auch heute die von oben her in frömmsten Schutz genommene
Kirchlichkeit und Heiligkeit im Paterlande Voltaires in voller Glorie und jedes
Wunder, das seine Verehrer hat, fand und findet auch seine Maler.

Daneben ist der gegenwärtige allgemeine Standpunkt des großen „kunstlie¬
benden Publicums" der Malerei gegenüber zu berücksichtigen. Wie das Kaiser¬
reich seine Herrschaft auf der Auflösung aller alten politischen Parteien gegrün¬
det hat, so findet die Malerei dieser Periode auch die ehemaligen ästhetischen,
künstlerischen Parteigruppirungen, deren erbitterter Kampf sich durch die vor¬
hergegangenen vier Jahrzehnte der französischen Kunst zieht, aufgelöst, zersplit¬
tert und verwirrt. Die entschiedene und ausschließliche Begeisterung für ein
bestimmtes Princip, für einen bestimmten Meister, der feste, überzeugte Glaube
an die alleinige oder doch überragende Wichtigkeit. Vorzüglichkeit oder Berech¬
tigung des einen oder des andern ist mehr und mehr abgeschwächt und verlo¬
ren gegangen. Das Gefühl für das eigentlich und wesentlich Künstlerische hat
sich jedenfalls verfeinert und verschärft, man weiß die intimeren Schönheiten
und Reize einer vollendeten Zeichnung und Malerei mehr um ihrer selbst wil¬
len zu schätzen, ist gegen den stofflichen Inhalt weit gleichgiltiger geworden,
so daß die gänzliche Nichtigkeit desselben dem Erfolg eines Werks nicht im Min¬
desten hinderlich wird, während man von den anspruchsvollen dramatischen und
romantischen Historien, die ehemals einem so großen Interesse zu begegnen
pflegten, wenig wissen mag; die „classischen und romantischen" Sympathien
und Antipathien existiren kaum mehr, die alten heftigen Fehden zwischen den
Verehrern der Linie und der Farbe, zwischen Idealisten und Realisten ruhen
fast gänzlich. Nicht nur der „Blocksberg und der deutsche Parnaß hat gar
einen breiten Gipfel", der der französischen Maler der Gegenwart jedenfalls
auch. Die liebevolle, sorgliche Pflege des Talents, die großartig gebotne Ge¬
legenheit zu seiner gründlichen und umfassenden Ausbildung, die Aufmunterung
und Förderung jeder künstlerischen Kraft, wo sie irgend über das Niveau des
Gewöhnlichen hervortritt — das alles, worin die französischen Machthaber
seit manchem Jahrzehnt ihren ehrenden Stolz zu finden pflegten, hat unter
dem Kaiserreich eher noch einen kräftigeren Aufschwung als ein Nachlassen er¬
fahren. Für die Bewahrung. Ordnung, Vermehrung und Bereicherung der
Schätze von großen Mustern der Kunst in Museen und Galerien ist und wird
das Außerordentlichste gethan; für das Studium jeder Richtung und jeder Tech¬
nik gleich zweckentsprechend und freigebig gesorgt. Dem ehemaligen Jammer
um ein Local für die jährlichen Kunstausstellungen ist endlich und für immer
ein Ziel gesetzt. Während unter Louis Philipp in Ermanglung einer eigens
diesem Zweck dienenden Räumlichkeit alljährlich die unschätzbaren Meisterwerke


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/440>, abgerufen am 28.09.2024.