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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band.

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sehenden zu schmücken, traf seine Wahl bekanntlich eine Dame, deren jugend¬
liche Vergangenheit in jener Hinficht manche interessante Parallele mit seiner
eignen auszuweisen hatte. Auch die vertrauungsvollen früheren Genossen seines
Unglücks, seiner Verbannung und seiner Entbehrungen, welchen er nun dank¬
bar ihren vollen Antheil am gegenwärtigen Glück zuwies, befanden sich meist
bereits durch ihre Geburt in seltsamem Widerspruch und Gegensatz zu dem in
der gewöhnlichen bürgerlichen Welt Geschätzten, Giltigen und als berechtigt An¬
erkannten gesetzt, -- in einer der des Herrscherpaares sehr ähnlichen Lage.
Diese ganze zur höchsten Macht gelangte Gesellschaft kühner Glücksspicler und
Abenteurer war noch jung genug, um mit leidenschaftlicher Begierde für die
Entbehrungen der Vergangenheit in dem üppigen Vollgenus, der glücklicheren
Gegenwart Entschädigung zu suchen, und uoch durchaus keinen Trieb zu empfin¬
den. die Sünden und Tollheiten jener nun mit Neue, Buße und Kasteiung
zu sühnen. So hat das Hofleben des zweiten Kaiserreichs jenen eigenthüm¬
lichen Charakter erhallen, über welchen sich das moralische Europa so sehr
scandalisirt; jene fast cynische Freiheit des Tons, jene natürliche Nachahmung
der Sitten, Trachten, der Sprache und des Thuns der Demimondc, jene über¬
müthige und verschwenderische Pracht, in der es aufzutreten liebt, jene offen
zur Schau getragene, mantle Lüsternheit. In welchem Grade das gleiche Wesen,
aufgemuntert durch dies hohe Beispiel, in der tonangebenden pariser Gesellschaft
um sich gegriffen hat, ist bekannt genug. Bei Hofe in Fontainebleau tanzt
eine berühmte, geistreiche, reizende Fürstin und Gesandiin auf dem kaiserlichen
Liebhabertheater den Cancan, den ihr Nigolboche selbst einstudirte, zum Ent¬
zücken ihres Publicums mit so vollendeter Echtheit, daß der arme Lord Cooley
tief erschüttert das Local verläßt; ebendaselbst gruppirt der Kaiser eure große
Zahl der schönsten Weiber (und die vornehmsten haben es sich zur Ehre gerech¬
net) im Ballcostüm auf Teppichen am Boden unter dem concentrirten Licht von
Hunderten von Gasflammen, streut buchstäblich mit vollen Händen auf dies
verlockende Gewirr von üppigen Hälsen, Nacken und Busen, von wallendem
Haar und bauschenden schimmernden Stoffen, kostbaren Juwelenschmuck aller
Art, und weidet sich an dem von oben her bestrahlten, prächtigen, lebendigen
Bilde: -- wird nicht eine derartige excentrische Sinnlichkeit auch naturgemäß in
den andern Kreisen der Bevölkerung einziehn und Fuß fassen, wenn ihr dort
oben am Sitz der "zweiten Vorsehung" ein so glänzender Cultus bereitet ist?
Und wird nicht eine solche Sinnesrichtung vor allein bestimmend aus die Kunst
einwirken und getreuen Ausdruck in ihr suchen, die ihrer ganzen Natur nach
gar keine Veranlassung hat. sich feindlich gegen dieselbe zu verhalten?

Und noch eines dritten Elementes sei erwähnt, das mit jenem in nahem
Zusammenhange steht und in der französischen Malerei wenigstens seinen Ein¬
fluß deutlich genug geltend macht. Man weiß es, daß jener üppigste Hof auch


sehenden zu schmücken, traf seine Wahl bekanntlich eine Dame, deren jugend¬
liche Vergangenheit in jener Hinficht manche interessante Parallele mit seiner
eignen auszuweisen hatte. Auch die vertrauungsvollen früheren Genossen seines
Unglücks, seiner Verbannung und seiner Entbehrungen, welchen er nun dank¬
bar ihren vollen Antheil am gegenwärtigen Glück zuwies, befanden sich meist
bereits durch ihre Geburt in seltsamem Widerspruch und Gegensatz zu dem in
der gewöhnlichen bürgerlichen Welt Geschätzten, Giltigen und als berechtigt An¬
erkannten gesetzt, — in einer der des Herrscherpaares sehr ähnlichen Lage.
Diese ganze zur höchsten Macht gelangte Gesellschaft kühner Glücksspicler und
Abenteurer war noch jung genug, um mit leidenschaftlicher Begierde für die
Entbehrungen der Vergangenheit in dem üppigen Vollgenus, der glücklicheren
Gegenwart Entschädigung zu suchen, und uoch durchaus keinen Trieb zu empfin¬
den. die Sünden und Tollheiten jener nun mit Neue, Buße und Kasteiung
zu sühnen. So hat das Hofleben des zweiten Kaiserreichs jenen eigenthüm¬
lichen Charakter erhallen, über welchen sich das moralische Europa so sehr
scandalisirt; jene fast cynische Freiheit des Tons, jene natürliche Nachahmung
der Sitten, Trachten, der Sprache und des Thuns der Demimondc, jene über¬
müthige und verschwenderische Pracht, in der es aufzutreten liebt, jene offen
zur Schau getragene, mantle Lüsternheit. In welchem Grade das gleiche Wesen,
aufgemuntert durch dies hohe Beispiel, in der tonangebenden pariser Gesellschaft
um sich gegriffen hat, ist bekannt genug. Bei Hofe in Fontainebleau tanzt
eine berühmte, geistreiche, reizende Fürstin und Gesandiin auf dem kaiserlichen
Liebhabertheater den Cancan, den ihr Nigolboche selbst einstudirte, zum Ent¬
zücken ihres Publicums mit so vollendeter Echtheit, daß der arme Lord Cooley
tief erschüttert das Local verläßt; ebendaselbst gruppirt der Kaiser eure große
Zahl der schönsten Weiber (und die vornehmsten haben es sich zur Ehre gerech¬
net) im Ballcostüm auf Teppichen am Boden unter dem concentrirten Licht von
Hunderten von Gasflammen, streut buchstäblich mit vollen Händen auf dies
verlockende Gewirr von üppigen Hälsen, Nacken und Busen, von wallendem
Haar und bauschenden schimmernden Stoffen, kostbaren Juwelenschmuck aller
Art, und weidet sich an dem von oben her bestrahlten, prächtigen, lebendigen
Bilde: — wird nicht eine derartige excentrische Sinnlichkeit auch naturgemäß in
den andern Kreisen der Bevölkerung einziehn und Fuß fassen, wenn ihr dort
oben am Sitz der „zweiten Vorsehung" ein so glänzender Cultus bereitet ist?
Und wird nicht eine solche Sinnesrichtung vor allein bestimmend aus die Kunst
einwirken und getreuen Ausdruck in ihr suchen, die ihrer ganzen Natur nach
gar keine Veranlassung hat. sich feindlich gegen dieselbe zu verhalten?

Und noch eines dritten Elementes sei erwähnt, das mit jenem in nahem
Zusammenhange steht und in der französischen Malerei wenigstens seinen Ein¬
fluß deutlich genug geltend macht. Man weiß es, daß jener üppigste Hof auch


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[0439] sehenden zu schmücken, traf seine Wahl bekanntlich eine Dame, deren jugend¬ liche Vergangenheit in jener Hinficht manche interessante Parallele mit seiner eignen auszuweisen hatte. Auch die vertrauungsvollen früheren Genossen seines Unglücks, seiner Verbannung und seiner Entbehrungen, welchen er nun dank¬ bar ihren vollen Antheil am gegenwärtigen Glück zuwies, befanden sich meist bereits durch ihre Geburt in seltsamem Widerspruch und Gegensatz zu dem in der gewöhnlichen bürgerlichen Welt Geschätzten, Giltigen und als berechtigt An¬ erkannten gesetzt, — in einer der des Herrscherpaares sehr ähnlichen Lage. Diese ganze zur höchsten Macht gelangte Gesellschaft kühner Glücksspicler und Abenteurer war noch jung genug, um mit leidenschaftlicher Begierde für die Entbehrungen der Vergangenheit in dem üppigen Vollgenus, der glücklicheren Gegenwart Entschädigung zu suchen, und uoch durchaus keinen Trieb zu empfin¬ den. die Sünden und Tollheiten jener nun mit Neue, Buße und Kasteiung zu sühnen. So hat das Hofleben des zweiten Kaiserreichs jenen eigenthüm¬ lichen Charakter erhallen, über welchen sich das moralische Europa so sehr scandalisirt; jene fast cynische Freiheit des Tons, jene natürliche Nachahmung der Sitten, Trachten, der Sprache und des Thuns der Demimondc, jene über¬ müthige und verschwenderische Pracht, in der es aufzutreten liebt, jene offen zur Schau getragene, mantle Lüsternheit. In welchem Grade das gleiche Wesen, aufgemuntert durch dies hohe Beispiel, in der tonangebenden pariser Gesellschaft um sich gegriffen hat, ist bekannt genug. Bei Hofe in Fontainebleau tanzt eine berühmte, geistreiche, reizende Fürstin und Gesandiin auf dem kaiserlichen Liebhabertheater den Cancan, den ihr Nigolboche selbst einstudirte, zum Ent¬ zücken ihres Publicums mit so vollendeter Echtheit, daß der arme Lord Cooley tief erschüttert das Local verläßt; ebendaselbst gruppirt der Kaiser eure große Zahl der schönsten Weiber (und die vornehmsten haben es sich zur Ehre gerech¬ net) im Ballcostüm auf Teppichen am Boden unter dem concentrirten Licht von Hunderten von Gasflammen, streut buchstäblich mit vollen Händen auf dies verlockende Gewirr von üppigen Hälsen, Nacken und Busen, von wallendem Haar und bauschenden schimmernden Stoffen, kostbaren Juwelenschmuck aller Art, und weidet sich an dem von oben her bestrahlten, prächtigen, lebendigen Bilde: — wird nicht eine derartige excentrische Sinnlichkeit auch naturgemäß in den andern Kreisen der Bevölkerung einziehn und Fuß fassen, wenn ihr dort oben am Sitz der „zweiten Vorsehung" ein so glänzender Cultus bereitet ist? Und wird nicht eine solche Sinnesrichtung vor allein bestimmend aus die Kunst einwirken und getreuen Ausdruck in ihr suchen, die ihrer ganzen Natur nach gar keine Veranlassung hat. sich feindlich gegen dieselbe zu verhalten? Und noch eines dritten Elementes sei erwähnt, das mit jenem in nahem Zusammenhange steht und in der französischen Malerei wenigstens seinen Ein¬ fluß deutlich genug geltend macht. Man weiß es, daß jener üppigste Hof auch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/439>, abgerufen am 28.09.2024.