Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band.Unter diesen Religionsparteien ist es insbesondere die der Essäer. welche, Dieser Kreis von Bestrebungen, welche, dem Judenthum und Heidenthum Unter diesen Religionsparteien ist es insbesondere die der Essäer. welche, Dieser Kreis von Bestrebungen, welche, dem Judenthum und Heidenthum <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0426" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/189521"/> <p xml:id="ID_1686"> Unter diesen Religionsparteien ist es insbesondere die der Essäer. welche,<lb/> wenn von den Anfängen des Christenthums die Rede war, von jeher zu denken<lb/> gegeben hat, und es ist eine feine Bemerkung von Strauß, daß wir vielleicht<lb/> nur darum gerade von dieser Sekte in den Schriften des neuen Testaments<lb/> nichts lesen, weil ihr das erste Christenthum selbst zu nahe stand. In der<lb/> That begegnen wir hier einer Richtung, die mit dem ursprünglichen Geist des<lb/> Christenthums eng verwandt ist, und nur die Form des Gehcimbunds und der<lb/> asketische Charakter ihrer Frömmigkeit ist es, was einen namhaften Unterschied<lb/> begründet. Die Essäer waren vom levitischer Tempeldienst wie von den Pha¬<lb/> risäischen Satzungen unbefriedigt und übten dagegen eine geistigere, praktische<lb/> Religiosität. Sie machten es sich zur Aufgabe, die Seele von den Banden<lb/> des Körpers zu befreien, enthielten sich sinnlicher Genüsse, übten die Pflichten<lb/> der Menschenliebe, und wenn wir von ihnen lesen, daß sie Gütergemeinschaft<lb/> pflegten, sich des Eids enthielten, daß sie Waschungen hatten und gemeinsame<lb/> Mahlzeiten, daß sie die Armuth hochhielten, weil sie lieber in dieser Welt arm<lb/> sein wollten, um desto mehr Güter in der künftigen Welt zu besitzen, so sind<lb/> dies lauter Anklänge an das älteste Christenthum, die um so beachtenswerther sind,<lb/> als diese Sekte gerade in Galiläa, wo Jesus zuerst die Armen selig pries, be¬<lb/> sonders zahlreich war. Mit den Essäern aber, dieser dem Christenthum »ächst-<lb/> stehcnden Neligivnsgesellschaft. sind wir — und dies ist das Jnteressanteste, —<lb/> bereits an einem Punkte angelangt, wo jene beiden Linien, die des Juden-<lb/> thums und die des Heidenthums zusammenlaufen. Denn die Verwandtschaft<lb/> der Essäer mit den Therapeuten in Acgypten, die Gebräuche ihres Geheim¬<lb/> bunds, ihre Ansicht vom Wesen der Seele, ihre dualistische Lehre von Geist<lb/> und Materie, dies alles leitet mit Sicherheit zu dem Schlüsse, daß wir in ihnen<lb/> einen jüdischen Ableger der neupythagoräischen Schule haben, welche aus einer<lb/> Vermischung pythagoräischer Ueberlieferungen mit platonischen und stoischen<lb/> Speculationen entstanden, von Aegypten her Eingang in Palästina gefunden<lb/> hatte. Durch die Therapeuten hängen denn die Essäer mit der um dieselbe<lb/> Zeit blühenden alexandrinischen Religionsphilosophie zusammen, gleichfalls einem<lb/> Gemisch jüdischer und griechischer Speculationen, und mit dieser Erscheinung<lb/> kommen wir bereits über die das ursprüngliche Princip des Christenthums con-<lb/> stituirenden Elemente hinaus, wir treffen hier nämlich auf solche Theorien, welche,<lb/> wie die Lehre vom Logos, zur Bildung der späteren kirchlichen Lehre beigetra¬<lb/> gen haben.</p><lb/> <p xml:id="ID_1687" next="#ID_1688"> Dieser Kreis von Bestrebungen, welche, dem Judenthum und Heidenthum<lb/> eigenthümlich, später sich berühren, schließlich in eine gemeinsame Strömung ein¬<lb/> münden, ist die Geburtsstätte des Christenthums, sofern sich in ihm ein allge¬<lb/> meines religiöses Princip darstellt, welches von nun an an die Stelle der äl¬<lb/> teren religiösen Ideale trat. In ihnen erkennen wir eine Reihe von Entwick-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0426]
Unter diesen Religionsparteien ist es insbesondere die der Essäer. welche,
wenn von den Anfängen des Christenthums die Rede war, von jeher zu denken
gegeben hat, und es ist eine feine Bemerkung von Strauß, daß wir vielleicht
nur darum gerade von dieser Sekte in den Schriften des neuen Testaments
nichts lesen, weil ihr das erste Christenthum selbst zu nahe stand. In der
That begegnen wir hier einer Richtung, die mit dem ursprünglichen Geist des
Christenthums eng verwandt ist, und nur die Form des Gehcimbunds und der
asketische Charakter ihrer Frömmigkeit ist es, was einen namhaften Unterschied
begründet. Die Essäer waren vom levitischer Tempeldienst wie von den Pha¬
risäischen Satzungen unbefriedigt und übten dagegen eine geistigere, praktische
Religiosität. Sie machten es sich zur Aufgabe, die Seele von den Banden
des Körpers zu befreien, enthielten sich sinnlicher Genüsse, übten die Pflichten
der Menschenliebe, und wenn wir von ihnen lesen, daß sie Gütergemeinschaft
pflegten, sich des Eids enthielten, daß sie Waschungen hatten und gemeinsame
Mahlzeiten, daß sie die Armuth hochhielten, weil sie lieber in dieser Welt arm
sein wollten, um desto mehr Güter in der künftigen Welt zu besitzen, so sind
dies lauter Anklänge an das älteste Christenthum, die um so beachtenswerther sind,
als diese Sekte gerade in Galiläa, wo Jesus zuerst die Armen selig pries, be¬
sonders zahlreich war. Mit den Essäern aber, dieser dem Christenthum »ächst-
stehcnden Neligivnsgesellschaft. sind wir — und dies ist das Jnteressanteste, —
bereits an einem Punkte angelangt, wo jene beiden Linien, die des Juden-
thums und die des Heidenthums zusammenlaufen. Denn die Verwandtschaft
der Essäer mit den Therapeuten in Acgypten, die Gebräuche ihres Geheim¬
bunds, ihre Ansicht vom Wesen der Seele, ihre dualistische Lehre von Geist
und Materie, dies alles leitet mit Sicherheit zu dem Schlüsse, daß wir in ihnen
einen jüdischen Ableger der neupythagoräischen Schule haben, welche aus einer
Vermischung pythagoräischer Ueberlieferungen mit platonischen und stoischen
Speculationen entstanden, von Aegypten her Eingang in Palästina gefunden
hatte. Durch die Therapeuten hängen denn die Essäer mit der um dieselbe
Zeit blühenden alexandrinischen Religionsphilosophie zusammen, gleichfalls einem
Gemisch jüdischer und griechischer Speculationen, und mit dieser Erscheinung
kommen wir bereits über die das ursprüngliche Princip des Christenthums con-
stituirenden Elemente hinaus, wir treffen hier nämlich auf solche Theorien, welche,
wie die Lehre vom Logos, zur Bildung der späteren kirchlichen Lehre beigetra¬
gen haben.
Dieser Kreis von Bestrebungen, welche, dem Judenthum und Heidenthum
eigenthümlich, später sich berühren, schließlich in eine gemeinsame Strömung ein¬
münden, ist die Geburtsstätte des Christenthums, sofern sich in ihm ein allge¬
meines religiöses Princip darstellt, welches von nun an an die Stelle der äl¬
teren religiösen Ideale trat. In ihnen erkennen wir eine Reihe von Entwick-
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