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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band.

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"Köcher der Zeiten" entsprechenden künstlerischen Leben zu beschwören gewußt
hat, wie nie ein andrer vor ihm. Als Maler bei gewissenhaftester, solidester Ar¬
beit nie zur eigentlichen Poesie des Colorits und den großen Wirkungen der
Farbe durchdringend, ist er ein vollendeter Zeichner, der, wie kaum ein zweiter
unter den Modernen, bei der treusten Hingabe an die Natur, ja an das Mo¬
dell, nie die erlesene Vornehmheit verliert, die eben aus seiner eigensten Natur
quillt und so jene seltne Vereinigung eines consequenten Realismus mit Formen-
reinbeit und edlem Geschmack darstellt, die seine Schöpfungen kennzeichnet.
In den letzten Lebensjahren wendet sich sein immer ernstes, beinahe düster
gewordnes Gemüth ausschließlich religiösen Anschauungen zu; er wählt seine
Bildstoffe einzig aus der christlichen Legende und stellt mit seiner künstlerischen
Behandlung derselben ein neues und originelles Muster hin, das für das fol¬
gende Geschlecht nicht verloren geblieben ist. -- Zu dieser strengen, abgeschlossenen,
correcien Künstlergestalt steht die dritte , (diese Reihenfolge will nicht als
Gradbestimmung des Werthes gelten) der malerischen Größen jener Periode
im entschiedensten Gegensatz- Eugen Delacroix, der stürmische Revolutionär
in der Kunst, voll feuriger Phantasie, welche sich jedes Themas, das ihr Ge¬
schichte, Gegenwart, Religion. Mythe, Dichtung und Natur bieten, mit gleicher
Leidenschaftlichkeit bemächtigt, ein Genie des Kolorits, nie zögernd, der poetischen
Farbenwirkung jede Rücksicht auf reale Wahrheit und Möglichkeit der Er¬
scheinung, vor allem auf natürlich wahre Zeichnung zu opfern. Zwischen ihm
und Delaroche steht Robert Fleury, mäßiger und einseitiger an Phantasie und
Erfindung wie jener, an Kraft und Gluth der Farbe ihm nicht nachstehend,
an Weisheit ihrer Behandlung ihm entschieden voraus, in der Neigung zu
gewissen düstern Stoffen, dem starken Sinn für das historisch Charakteristische
und der Schärfe der Zeichnung Delaroche verwandt. Neben diesen Dccamps,
das originellste Talent der ganzen französischen Kunst, das sich jeder Einordnung
in die gewohnten Kategorien entzieht, von wunderbarer und unberechenbarer
Erfindungskraft, welcher der Stoff als solcher ziemlich gleichgiltig und der
scheinbar trivialste genügend ist, ihn zum ergreifendsten Bilde zu gestalten, wenn
sie sich gleichzeitig auch dem gewaltigsten Vorwurf gewachsen zeigt; ein Sinn des
Colorits und der Wirkung, eine Kunst, Größe und Kühnheit seiner Behand¬
lung, wie sie seit Rembrandt nicht Einer gezeigt hatte. Nie zu großen öffent¬
lichen Aufgaben berufen, seine Thätigkeit vielfach in kleinen Arbeiten, Lieb¬
habereien und Seltsamkeiten zersplitternd, statt sie auf die Durchführung der
Geräusch machenden großen künstlerischen Unternehmungen zu concentriren,
tritt er während jener Periode neben seinen viel gepriesenen Genossen einiger¬
maßen in den Schatten und erst im Beginn der gegenwärtigen, des zweiten
Kaiserreichs, hebt man ihn mit um so lauterer Begeisterung auf den Schild, als
den ersten und berechtigtsten Herrscher im Reich französischer Malerei. -- Ary


„Köcher der Zeiten" entsprechenden künstlerischen Leben zu beschwören gewußt
hat, wie nie ein andrer vor ihm. Als Maler bei gewissenhaftester, solidester Ar¬
beit nie zur eigentlichen Poesie des Colorits und den großen Wirkungen der
Farbe durchdringend, ist er ein vollendeter Zeichner, der, wie kaum ein zweiter
unter den Modernen, bei der treusten Hingabe an die Natur, ja an das Mo¬
dell, nie die erlesene Vornehmheit verliert, die eben aus seiner eigensten Natur
quillt und so jene seltne Vereinigung eines consequenten Realismus mit Formen-
reinbeit und edlem Geschmack darstellt, die seine Schöpfungen kennzeichnet.
In den letzten Lebensjahren wendet sich sein immer ernstes, beinahe düster
gewordnes Gemüth ausschließlich religiösen Anschauungen zu; er wählt seine
Bildstoffe einzig aus der christlichen Legende und stellt mit seiner künstlerischen
Behandlung derselben ein neues und originelles Muster hin, das für das fol¬
gende Geschlecht nicht verloren geblieben ist. — Zu dieser strengen, abgeschlossenen,
correcien Künstlergestalt steht die dritte , (diese Reihenfolge will nicht als
Gradbestimmung des Werthes gelten) der malerischen Größen jener Periode
im entschiedensten Gegensatz- Eugen Delacroix, der stürmische Revolutionär
in der Kunst, voll feuriger Phantasie, welche sich jedes Themas, das ihr Ge¬
schichte, Gegenwart, Religion. Mythe, Dichtung und Natur bieten, mit gleicher
Leidenschaftlichkeit bemächtigt, ein Genie des Kolorits, nie zögernd, der poetischen
Farbenwirkung jede Rücksicht auf reale Wahrheit und Möglichkeit der Er¬
scheinung, vor allem auf natürlich wahre Zeichnung zu opfern. Zwischen ihm
und Delaroche steht Robert Fleury, mäßiger und einseitiger an Phantasie und
Erfindung wie jener, an Kraft und Gluth der Farbe ihm nicht nachstehend,
an Weisheit ihrer Behandlung ihm entschieden voraus, in der Neigung zu
gewissen düstern Stoffen, dem starken Sinn für das historisch Charakteristische
und der Schärfe der Zeichnung Delaroche verwandt. Neben diesen Dccamps,
das originellste Talent der ganzen französischen Kunst, das sich jeder Einordnung
in die gewohnten Kategorien entzieht, von wunderbarer und unberechenbarer
Erfindungskraft, welcher der Stoff als solcher ziemlich gleichgiltig und der
scheinbar trivialste genügend ist, ihn zum ergreifendsten Bilde zu gestalten, wenn
sie sich gleichzeitig auch dem gewaltigsten Vorwurf gewachsen zeigt; ein Sinn des
Colorits und der Wirkung, eine Kunst, Größe und Kühnheit seiner Behand¬
lung, wie sie seit Rembrandt nicht Einer gezeigt hatte. Nie zu großen öffent¬
lichen Aufgaben berufen, seine Thätigkeit vielfach in kleinen Arbeiten, Lieb¬
habereien und Seltsamkeiten zersplitternd, statt sie auf die Durchführung der
Geräusch machenden großen künstlerischen Unternehmungen zu concentriren,
tritt er während jener Periode neben seinen viel gepriesenen Genossen einiger¬
maßen in den Schatten und erst im Beginn der gegenwärtigen, des zweiten
Kaiserreichs, hebt man ihn mit um so lauterer Begeisterung auf den Schild, als
den ersten und berechtigtsten Herrscher im Reich französischer Malerei. — Ary


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[0374] „Köcher der Zeiten" entsprechenden künstlerischen Leben zu beschwören gewußt hat, wie nie ein andrer vor ihm. Als Maler bei gewissenhaftester, solidester Ar¬ beit nie zur eigentlichen Poesie des Colorits und den großen Wirkungen der Farbe durchdringend, ist er ein vollendeter Zeichner, der, wie kaum ein zweiter unter den Modernen, bei der treusten Hingabe an die Natur, ja an das Mo¬ dell, nie die erlesene Vornehmheit verliert, die eben aus seiner eigensten Natur quillt und so jene seltne Vereinigung eines consequenten Realismus mit Formen- reinbeit und edlem Geschmack darstellt, die seine Schöpfungen kennzeichnet. In den letzten Lebensjahren wendet sich sein immer ernstes, beinahe düster gewordnes Gemüth ausschließlich religiösen Anschauungen zu; er wählt seine Bildstoffe einzig aus der christlichen Legende und stellt mit seiner künstlerischen Behandlung derselben ein neues und originelles Muster hin, das für das fol¬ gende Geschlecht nicht verloren geblieben ist. — Zu dieser strengen, abgeschlossenen, correcien Künstlergestalt steht die dritte , (diese Reihenfolge will nicht als Gradbestimmung des Werthes gelten) der malerischen Größen jener Periode im entschiedensten Gegensatz- Eugen Delacroix, der stürmische Revolutionär in der Kunst, voll feuriger Phantasie, welche sich jedes Themas, das ihr Ge¬ schichte, Gegenwart, Religion. Mythe, Dichtung und Natur bieten, mit gleicher Leidenschaftlichkeit bemächtigt, ein Genie des Kolorits, nie zögernd, der poetischen Farbenwirkung jede Rücksicht auf reale Wahrheit und Möglichkeit der Er¬ scheinung, vor allem auf natürlich wahre Zeichnung zu opfern. Zwischen ihm und Delaroche steht Robert Fleury, mäßiger und einseitiger an Phantasie und Erfindung wie jener, an Kraft und Gluth der Farbe ihm nicht nachstehend, an Weisheit ihrer Behandlung ihm entschieden voraus, in der Neigung zu gewissen düstern Stoffen, dem starken Sinn für das historisch Charakteristische und der Schärfe der Zeichnung Delaroche verwandt. Neben diesen Dccamps, das originellste Talent der ganzen französischen Kunst, das sich jeder Einordnung in die gewohnten Kategorien entzieht, von wunderbarer und unberechenbarer Erfindungskraft, welcher der Stoff als solcher ziemlich gleichgiltig und der scheinbar trivialste genügend ist, ihn zum ergreifendsten Bilde zu gestalten, wenn sie sich gleichzeitig auch dem gewaltigsten Vorwurf gewachsen zeigt; ein Sinn des Colorits und der Wirkung, eine Kunst, Größe und Kühnheit seiner Behand¬ lung, wie sie seit Rembrandt nicht Einer gezeigt hatte. Nie zu großen öffent¬ lichen Aufgaben berufen, seine Thätigkeit vielfach in kleinen Arbeiten, Lieb¬ habereien und Seltsamkeiten zersplitternd, statt sie auf die Durchführung der Geräusch machenden großen künstlerischen Unternehmungen zu concentriren, tritt er während jener Periode neben seinen viel gepriesenen Genossen einiger¬ maßen in den Schatten und erst im Beginn der gegenwärtigen, des zweiten Kaiserreichs, hebt man ihn mit um so lauterer Begeisterung auf den Schild, als den ersten und berechtigtsten Herrscher im Reich französischer Malerei. — Ary

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/374>, abgerufen am 28.09.2024.