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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band.

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Sind Mitgift und anständige Fcunitie beisammen, das heißt, sobald die Alten
einig, werden es die Jungen zweifellos und sogleich, und hätten sie einander
nie gesehen. Auf so lockerem Grunde beruht die Ehe. Darf man sich wun¬
dern, wenn dies heilige Band hier häufig keines ist ? In Sicilien soll die Treue
bei Männern selten, in Neapel öfter bei Frauen zu finden sein. Gleichwohl
leben die Frauen aus den bessern Ständen eingeschlossen in den Zimmern: es
ist, als umfinge sie noch immer eine Scheu, öffentlich ihr Antlitz zu zeigen.
In Sicilien kehren sie sogar, wenn sie auf dem Altan sitzen, der Straße den
Rücken zu. Ins Haus kommen nur die Verwandten und allernächsten Freunde,
am häufigsten Geistliche, in denen man auch den Beruf des höheren Wissens
verehrt.

Und was thun nun die jungen Männer den Tag über? Ist der Vater
Kaufmann oder Advocat oder Arzt, so nimmt oder thut er den Sohn frühzeitig
ins Geschäft. Die juristische und medicinische Vorbildung ist jedoch so dürftig,
wie die kaufmännische. Denn die öffentlichen Schulen sind tief herabgekommen.
Die Lehrer in der Stadt verstehen vielleicht so viel, wie bei uns die Küster auf
dem Dorfe. Was Gymnasien und Universitäten leisten, ist kaum Zustutzen.
Das Beste muß eigener Witz und Uebung beschaffen. Daher die dicke Wolke
von Unwissenheit, welche auch den höheren Bürgerstand umfängt. Es herrscht
keineswegs Unlust, sich geistig zu beschäftigen, im Gegentheil stößt man häufig
auf rege Wißbegierde. Entsetzen aber erregt das Verlangen, ein Fach gründlich
zu betreiben. Wer die Dinge geistreich, leicht und witzig von oben her anfaßt,
meint, er habe genug gethan, um des Ruhmes sicher zu sein. Und die vor¬
nehmen Kreise? Verständniß für Poesie und Kunst, etwas antiquarisches Wissen,
leichter und vertraulicher Verkehr und ungezwungene Natürlichkeit im Umgang, --
das hat noch jeder der höheren Gesellschaft in Neapel nachgerühmt. Allein
woher kommt es, daß viele Fremde sie auf die Länge langweilig finden? Es
sind doch eine Menge geistreicher und gewandter Männer da, eine Menge rei¬
zender Frauen, deren schneeige Blässe wundervoll mit tief dunkelm Haar und
Auge harmonirt. Diese Südländerinnen sind voll Vertrauen und Herzens¬
güte, voll Witz, Feuer und Muth, sie plaudern mit der liebenswürdigsten
Freiheit über alle erschaffenen Dinge, -- allein, nicht wenige sind doch eben
nur reizende Naturkinder. Sie wollen Spaß und Vergnügen, nicht ernstere
Anregung des Geistes. Ihren Eltern schien es genug zu sein, im tiefen häus¬
lichen Schatten im Antlitz der Mädchen den weißen Glanz und in ihren Herzen
die Reinheit zu hüten, dann überließ man sie der lockern Welt und sich selbst.
Um die Bildung ihrer Brüder und Vettern kümmerte man sich noch weniger.
Irgendein alter Abbate hat sie Verse machen, schreiben und rechnen und bi¬
blische Geschichte gelehrt; mehr schien nicht nöthig. So ist der Durchschnitt, glän¬
zende Ausnahmen bestätigen die Regel.


Sind Mitgift und anständige Fcunitie beisammen, das heißt, sobald die Alten
einig, werden es die Jungen zweifellos und sogleich, und hätten sie einander
nie gesehen. Auf so lockerem Grunde beruht die Ehe. Darf man sich wun¬
dern, wenn dies heilige Band hier häufig keines ist ? In Sicilien soll die Treue
bei Männern selten, in Neapel öfter bei Frauen zu finden sein. Gleichwohl
leben die Frauen aus den bessern Ständen eingeschlossen in den Zimmern: es
ist, als umfinge sie noch immer eine Scheu, öffentlich ihr Antlitz zu zeigen.
In Sicilien kehren sie sogar, wenn sie auf dem Altan sitzen, der Straße den
Rücken zu. Ins Haus kommen nur die Verwandten und allernächsten Freunde,
am häufigsten Geistliche, in denen man auch den Beruf des höheren Wissens
verehrt.

Und was thun nun die jungen Männer den Tag über? Ist der Vater
Kaufmann oder Advocat oder Arzt, so nimmt oder thut er den Sohn frühzeitig
ins Geschäft. Die juristische und medicinische Vorbildung ist jedoch so dürftig,
wie die kaufmännische. Denn die öffentlichen Schulen sind tief herabgekommen.
Die Lehrer in der Stadt verstehen vielleicht so viel, wie bei uns die Küster auf
dem Dorfe. Was Gymnasien und Universitäten leisten, ist kaum Zustutzen.
Das Beste muß eigener Witz und Uebung beschaffen. Daher die dicke Wolke
von Unwissenheit, welche auch den höheren Bürgerstand umfängt. Es herrscht
keineswegs Unlust, sich geistig zu beschäftigen, im Gegentheil stößt man häufig
auf rege Wißbegierde. Entsetzen aber erregt das Verlangen, ein Fach gründlich
zu betreiben. Wer die Dinge geistreich, leicht und witzig von oben her anfaßt,
meint, er habe genug gethan, um des Ruhmes sicher zu sein. Und die vor¬
nehmen Kreise? Verständniß für Poesie und Kunst, etwas antiquarisches Wissen,
leichter und vertraulicher Verkehr und ungezwungene Natürlichkeit im Umgang, —
das hat noch jeder der höheren Gesellschaft in Neapel nachgerühmt. Allein
woher kommt es, daß viele Fremde sie auf die Länge langweilig finden? Es
sind doch eine Menge geistreicher und gewandter Männer da, eine Menge rei¬
zender Frauen, deren schneeige Blässe wundervoll mit tief dunkelm Haar und
Auge harmonirt. Diese Südländerinnen sind voll Vertrauen und Herzens¬
güte, voll Witz, Feuer und Muth, sie plaudern mit der liebenswürdigsten
Freiheit über alle erschaffenen Dinge, — allein, nicht wenige sind doch eben
nur reizende Naturkinder. Sie wollen Spaß und Vergnügen, nicht ernstere
Anregung des Geistes. Ihren Eltern schien es genug zu sein, im tiefen häus¬
lichen Schatten im Antlitz der Mädchen den weißen Glanz und in ihren Herzen
die Reinheit zu hüten, dann überließ man sie der lockern Welt und sich selbst.
Um die Bildung ihrer Brüder und Vettern kümmerte man sich noch weniger.
Irgendein alter Abbate hat sie Verse machen, schreiben und rechnen und bi¬
blische Geschichte gelehrt; mehr schien nicht nöthig. So ist der Durchschnitt, glän¬
zende Ausnahmen bestätigen die Regel.


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[0357] Sind Mitgift und anständige Fcunitie beisammen, das heißt, sobald die Alten einig, werden es die Jungen zweifellos und sogleich, und hätten sie einander nie gesehen. Auf so lockerem Grunde beruht die Ehe. Darf man sich wun¬ dern, wenn dies heilige Band hier häufig keines ist ? In Sicilien soll die Treue bei Männern selten, in Neapel öfter bei Frauen zu finden sein. Gleichwohl leben die Frauen aus den bessern Ständen eingeschlossen in den Zimmern: es ist, als umfinge sie noch immer eine Scheu, öffentlich ihr Antlitz zu zeigen. In Sicilien kehren sie sogar, wenn sie auf dem Altan sitzen, der Straße den Rücken zu. Ins Haus kommen nur die Verwandten und allernächsten Freunde, am häufigsten Geistliche, in denen man auch den Beruf des höheren Wissens verehrt. Und was thun nun die jungen Männer den Tag über? Ist der Vater Kaufmann oder Advocat oder Arzt, so nimmt oder thut er den Sohn frühzeitig ins Geschäft. Die juristische und medicinische Vorbildung ist jedoch so dürftig, wie die kaufmännische. Denn die öffentlichen Schulen sind tief herabgekommen. Die Lehrer in der Stadt verstehen vielleicht so viel, wie bei uns die Küster auf dem Dorfe. Was Gymnasien und Universitäten leisten, ist kaum Zustutzen. Das Beste muß eigener Witz und Uebung beschaffen. Daher die dicke Wolke von Unwissenheit, welche auch den höheren Bürgerstand umfängt. Es herrscht keineswegs Unlust, sich geistig zu beschäftigen, im Gegentheil stößt man häufig auf rege Wißbegierde. Entsetzen aber erregt das Verlangen, ein Fach gründlich zu betreiben. Wer die Dinge geistreich, leicht und witzig von oben her anfaßt, meint, er habe genug gethan, um des Ruhmes sicher zu sein. Und die vor¬ nehmen Kreise? Verständniß für Poesie und Kunst, etwas antiquarisches Wissen, leichter und vertraulicher Verkehr und ungezwungene Natürlichkeit im Umgang, — das hat noch jeder der höheren Gesellschaft in Neapel nachgerühmt. Allein woher kommt es, daß viele Fremde sie auf die Länge langweilig finden? Es sind doch eine Menge geistreicher und gewandter Männer da, eine Menge rei¬ zender Frauen, deren schneeige Blässe wundervoll mit tief dunkelm Haar und Auge harmonirt. Diese Südländerinnen sind voll Vertrauen und Herzens¬ güte, voll Witz, Feuer und Muth, sie plaudern mit der liebenswürdigsten Freiheit über alle erschaffenen Dinge, — allein, nicht wenige sind doch eben nur reizende Naturkinder. Sie wollen Spaß und Vergnügen, nicht ernstere Anregung des Geistes. Ihren Eltern schien es genug zu sein, im tiefen häus¬ lichen Schatten im Antlitz der Mädchen den weißen Glanz und in ihren Herzen die Reinheit zu hüten, dann überließ man sie der lockern Welt und sich selbst. Um die Bildung ihrer Brüder und Vettern kümmerte man sich noch weniger. Irgendein alter Abbate hat sie Verse machen, schreiben und rechnen und bi¬ blische Geschichte gelehrt; mehr schien nicht nöthig. So ist der Durchschnitt, glän¬ zende Ausnahmen bestätigen die Regel.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/357>, abgerufen am 28.09.2024.