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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band.

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liebe Geiz, welcher das erhaschte Goldstück gleich in Koffer und Kisten verschwin¬
den läßt, statt es fruchtbar zu machen? Sicilien und Neapel scheinen geldarm.
und sind doch reich an verstecktem, aber todtem Capital.

Schon zu Ende des dreizehnten Jahrhunderts begann für die Sicilianer
die spanische Einwirkung. Die Neapolitaner hatten erst noch die französische
Zeit durchzumachen, und unverkennbar ist auch aus dieser manches hängen
geblieben.

Doch wurde der französische Nücklaß hoch überdeckt durch das spanische
Wesen, das am tiefsten in Sicilien einwurzelte. Ihm entspricht das anständige,
etwas förmliche Benehmen in Verkehr und Rede, die äußere Gesetzlichkeit, die
Freude an glanzvollen Auftreten, aber auch der Bettelstolz und die Leidenschaft
fürs Spiel, die in allen Kolonien der Spanier zu finden. Höfischer Ton durch¬
zieht die höhere Gesellschaft: Kammerherr ist der höchste Titel, und Ordens¬
ritterschaft gilt mehr als niederer Adel. Damit verbindet sich ein tief mon¬
archisches Gefühl. Im übrigen Italien stößt man bei Männern, die sich ganz
besonnen äußern, leicht auf den Hintergedanken: für das italienische Volk passe
am besten ein Bund von Stcibterepubliken. Was sich dagegen an republika¬
nischen Ideen in Sicilien und Neapel findet, fließt alles aus fremden Büchern
und Zeitungen. In Spanien ist das gerade so. Entschieden spanisch ist auch
die Leidenschaft für Wagen und Fahren. Man kann das Volt in zwei große
Elassen theilen: der eine Theil trägt Hüte, der andere Zipfelmützen. Wer nun
einen Hut hat, meint, der Wagen gehöre nothwendig dazu.

All diese Charakterzüge werden von der Neuzeit, welche auf den Eisen¬
bahnen jetzt an beiden Seiten des Appennins heranbrauset, mehr und mehr
zersetzt. Schon ist der Fremde, welchen der Italiener sonst nur als reisendes
Geldsäckchen ansah, hier und da Vorbild geworden. Gewiß aber wird noch ge¬
raume Zeit die orientalische Gewöhnung der Frauen festsitzen: sie ist mit Natur
und Geschichte des Landes zu tief verknüpft.

Wie. wird ein Mädchen aus besserem Bürgerstand erzogen? Sie lernt in
der Klosterschule Gebete hersagen, nähen und vielleicht etwas lesen. Dann
kehrt sie ins Vaterhaus zurück, und zu ihrer Bildung kommt kein Jota hinzu,
als was der angeborne Mutterwitz der Südländerin aus dem täglichen Leben
anspielt. Fragt man sie, worin die Madonna in dieser und jener Kirche eins
und verschieden, so zeigt sich die vollständigste Verwirrung. Die Mutter trägt
unterdessen nur zwei Dinge im Sinn: wie sie die Tochter streng bewache und
Wie sie die Tochter rasch verheirathe. Nicht eine Minute läßt sie ihr Kind mit
einem Manne allein, und diese Vorsicht übt man so kurios und ängstlich, als
wäre jedes Mädchen ein armes Hühnchen, das die Geier fressen wollten. Unter
der Hand jedoch spricht die Frau mit einem erfahrenen Manne: sie nennt die
Mitgift der Tochter, und er sucht aus anständiger Familie den Bräutigam.


liebe Geiz, welcher das erhaschte Goldstück gleich in Koffer und Kisten verschwin¬
den läßt, statt es fruchtbar zu machen? Sicilien und Neapel scheinen geldarm.
und sind doch reich an verstecktem, aber todtem Capital.

Schon zu Ende des dreizehnten Jahrhunderts begann für die Sicilianer
die spanische Einwirkung. Die Neapolitaner hatten erst noch die französische
Zeit durchzumachen, und unverkennbar ist auch aus dieser manches hängen
geblieben.

Doch wurde der französische Nücklaß hoch überdeckt durch das spanische
Wesen, das am tiefsten in Sicilien einwurzelte. Ihm entspricht das anständige,
etwas förmliche Benehmen in Verkehr und Rede, die äußere Gesetzlichkeit, die
Freude an glanzvollen Auftreten, aber auch der Bettelstolz und die Leidenschaft
fürs Spiel, die in allen Kolonien der Spanier zu finden. Höfischer Ton durch¬
zieht die höhere Gesellschaft: Kammerherr ist der höchste Titel, und Ordens¬
ritterschaft gilt mehr als niederer Adel. Damit verbindet sich ein tief mon¬
archisches Gefühl. Im übrigen Italien stößt man bei Männern, die sich ganz
besonnen äußern, leicht auf den Hintergedanken: für das italienische Volk passe
am besten ein Bund von Stcibterepubliken. Was sich dagegen an republika¬
nischen Ideen in Sicilien und Neapel findet, fließt alles aus fremden Büchern
und Zeitungen. In Spanien ist das gerade so. Entschieden spanisch ist auch
die Leidenschaft für Wagen und Fahren. Man kann das Volt in zwei große
Elassen theilen: der eine Theil trägt Hüte, der andere Zipfelmützen. Wer nun
einen Hut hat, meint, der Wagen gehöre nothwendig dazu.

All diese Charakterzüge werden von der Neuzeit, welche auf den Eisen¬
bahnen jetzt an beiden Seiten des Appennins heranbrauset, mehr und mehr
zersetzt. Schon ist der Fremde, welchen der Italiener sonst nur als reisendes
Geldsäckchen ansah, hier und da Vorbild geworden. Gewiß aber wird noch ge¬
raume Zeit die orientalische Gewöhnung der Frauen festsitzen: sie ist mit Natur
und Geschichte des Landes zu tief verknüpft.

Wie. wird ein Mädchen aus besserem Bürgerstand erzogen? Sie lernt in
der Klosterschule Gebete hersagen, nähen und vielleicht etwas lesen. Dann
kehrt sie ins Vaterhaus zurück, und zu ihrer Bildung kommt kein Jota hinzu,
als was der angeborne Mutterwitz der Südländerin aus dem täglichen Leben
anspielt. Fragt man sie, worin die Madonna in dieser und jener Kirche eins
und verschieden, so zeigt sich die vollständigste Verwirrung. Die Mutter trägt
unterdessen nur zwei Dinge im Sinn: wie sie die Tochter streng bewache und
Wie sie die Tochter rasch verheirathe. Nicht eine Minute läßt sie ihr Kind mit
einem Manne allein, und diese Vorsicht übt man so kurios und ängstlich, als
wäre jedes Mädchen ein armes Hühnchen, das die Geier fressen wollten. Unter
der Hand jedoch spricht die Frau mit einem erfahrenen Manne: sie nennt die
Mitgift der Tochter, und er sucht aus anständiger Familie den Bräutigam.


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[0356] liebe Geiz, welcher das erhaschte Goldstück gleich in Koffer und Kisten verschwin¬ den läßt, statt es fruchtbar zu machen? Sicilien und Neapel scheinen geldarm. und sind doch reich an verstecktem, aber todtem Capital. Schon zu Ende des dreizehnten Jahrhunderts begann für die Sicilianer die spanische Einwirkung. Die Neapolitaner hatten erst noch die französische Zeit durchzumachen, und unverkennbar ist auch aus dieser manches hängen geblieben. Doch wurde der französische Nücklaß hoch überdeckt durch das spanische Wesen, das am tiefsten in Sicilien einwurzelte. Ihm entspricht das anständige, etwas förmliche Benehmen in Verkehr und Rede, die äußere Gesetzlichkeit, die Freude an glanzvollen Auftreten, aber auch der Bettelstolz und die Leidenschaft fürs Spiel, die in allen Kolonien der Spanier zu finden. Höfischer Ton durch¬ zieht die höhere Gesellschaft: Kammerherr ist der höchste Titel, und Ordens¬ ritterschaft gilt mehr als niederer Adel. Damit verbindet sich ein tief mon¬ archisches Gefühl. Im übrigen Italien stößt man bei Männern, die sich ganz besonnen äußern, leicht auf den Hintergedanken: für das italienische Volk passe am besten ein Bund von Stcibterepubliken. Was sich dagegen an republika¬ nischen Ideen in Sicilien und Neapel findet, fließt alles aus fremden Büchern und Zeitungen. In Spanien ist das gerade so. Entschieden spanisch ist auch die Leidenschaft für Wagen und Fahren. Man kann das Volt in zwei große Elassen theilen: der eine Theil trägt Hüte, der andere Zipfelmützen. Wer nun einen Hut hat, meint, der Wagen gehöre nothwendig dazu. All diese Charakterzüge werden von der Neuzeit, welche auf den Eisen¬ bahnen jetzt an beiden Seiten des Appennins heranbrauset, mehr und mehr zersetzt. Schon ist der Fremde, welchen der Italiener sonst nur als reisendes Geldsäckchen ansah, hier und da Vorbild geworden. Gewiß aber wird noch ge¬ raume Zeit die orientalische Gewöhnung der Frauen festsitzen: sie ist mit Natur und Geschichte des Landes zu tief verknüpft. Wie. wird ein Mädchen aus besserem Bürgerstand erzogen? Sie lernt in der Klosterschule Gebete hersagen, nähen und vielleicht etwas lesen. Dann kehrt sie ins Vaterhaus zurück, und zu ihrer Bildung kommt kein Jota hinzu, als was der angeborne Mutterwitz der Südländerin aus dem täglichen Leben anspielt. Fragt man sie, worin die Madonna in dieser und jener Kirche eins und verschieden, so zeigt sich die vollständigste Verwirrung. Die Mutter trägt unterdessen nur zwei Dinge im Sinn: wie sie die Tochter streng bewache und Wie sie die Tochter rasch verheirathe. Nicht eine Minute läßt sie ihr Kind mit einem Manne allein, und diese Vorsicht übt man so kurios und ängstlich, als wäre jedes Mädchen ein armes Hühnchen, das die Geier fressen wollten. Unter der Hand jedoch spricht die Frau mit einem erfahrenen Manne: sie nennt die Mitgift der Tochter, und er sucht aus anständiger Familie den Bräutigam.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/356>, abgerufen am 28.09.2024.