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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band.

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Aber auch die Gestade der Landseen und Flüsse, des Garda- und des Comcr-
sees, des Am" und des Tiber vor allen waren in der Zeit des Plinius dicht
mit Landhäusern vornehmer Römer bedeckt, und weit und breit, sagt Seneca,
gab es leinen See, an dem nicht die Dächer von Villen römischer Großen
ragten, keinen Fluß, dessen Ufer ihre Gebäude nicht einfaßten.

"Diese Vorliebe für Strandgegenden und Uferlandschaften ist im Su?en
durchaus natürlich," sagt unser Verfasser aus ^Erfahrung sprechend. "(5s w.ir
nicht blos der erquickende Blick auf die grenzenlose azurne Fläche des Meeres,
auf die blauen und grünen Spiegel der Seen, die silberhellen Windungen der
Bäche und Flüsse, die weißschäumenden Wasserstürze; es war auch die erfrischende
Kühlung, die von den Wassern herwehte, was ihre Nähe so begierig aufsuchen
ließ. Noch mehr, das Wasser ist der südlichen Landschaft das eigentlich be¬
lebende Element, wo es fehlt, herrscht Dürre und Oede. An seinen Ufern ist
das Grün am frischesten, das Laub am üppigsten, gewähren die Baumwipfel
den dichtesten Schatten. Den Blick auf dem "schweigenden Laube", dem vorüber¬
strömenden Flusse ruhen oder ihn in die Ferne schweifen zu lassen, dem Ge¬
sang der Vögel, dem Murmeln oder Brausen der Wellen zu lauschen, den
labenden Lufthauch zu athmen, in Einsamkeit und Stille die Stunden zu ver¬
träumen -- das waren die Naturgenusse, welche die römischen Dichter so be¬
redt preisen, solcher und verwandter Art die landschaftlichen Scenen, welche die
Freunde der Natur nächst den Seeufern am liebsten aufsuchten."

"Höchst bezeichnend für die hier angedeutete Richtung des römischen Natur-
gefühls ist. daß Anmuth (amoenitas) das häufigste Lob einer schönen Natur,
ja dasjenige Wort ist. das unserm "Naturschönheit" am nächsten kommt. Der
Begriff der Naturschönheit war den Römern ein viel enger begrenzter als uns.
Quinctilian sagt einmal, das Lob der Schönheit komme unter den Gegenden
"den ebenen, den anmuthigen, den am Meere gelegnen" zu. Rauhheit und
Wildheit, furchtbare Majestät, großartige, aber düstre Monotonie der Natur
schlossen dieses Lob nach römischer Empfindung aus; es war auf Thäler und
Hügellandschaften und aus die Abhänge der Vorberge beschränkt. Aus das
Hochgebirge erstreckte es sich so wenig wie auf Haiden, Moore und wasserlose
Wüsten. Für den Zauber, den auf uns der Anblick der Campagna Roms in
ihrer jetzigen Gestalt übt, war jene Zeit unempfänglich." "Für die Wunder
der Alpenwelt fehlte der damaligen Bildung das Verständniß völlig, die
Empfindungen, mit denen die Römer sie betrachteten, glichen etwa denen, die
neuern Reisenden die Eiswüsten des Nordpols erregen, nur ohne die jetzige
Bewunderung für die schauerliche Erhabenheit solcher Scenen." Die Besteigung
höherer Berge in der Absicht, weite Anblicke zu genießen, wird so gut wie nie
erwähnt. Nur Wenige hatten nach Strabo den mit ewigem Schnee bedeckten


Aber auch die Gestade der Landseen und Flüsse, des Garda- und des Comcr-
sees, des Am» und des Tiber vor allen waren in der Zeit des Plinius dicht
mit Landhäusern vornehmer Römer bedeckt, und weit und breit, sagt Seneca,
gab es leinen See, an dem nicht die Dächer von Villen römischer Großen
ragten, keinen Fluß, dessen Ufer ihre Gebäude nicht einfaßten.

„Diese Vorliebe für Strandgegenden und Uferlandschaften ist im Su?en
durchaus natürlich," sagt unser Verfasser aus ^Erfahrung sprechend. „(5s w.ir
nicht blos der erquickende Blick auf die grenzenlose azurne Fläche des Meeres,
auf die blauen und grünen Spiegel der Seen, die silberhellen Windungen der
Bäche und Flüsse, die weißschäumenden Wasserstürze; es war auch die erfrischende
Kühlung, die von den Wassern herwehte, was ihre Nähe so begierig aufsuchen
ließ. Noch mehr, das Wasser ist der südlichen Landschaft das eigentlich be¬
lebende Element, wo es fehlt, herrscht Dürre und Oede. An seinen Ufern ist
das Grün am frischesten, das Laub am üppigsten, gewähren die Baumwipfel
den dichtesten Schatten. Den Blick auf dem „schweigenden Laube", dem vorüber¬
strömenden Flusse ruhen oder ihn in die Ferne schweifen zu lassen, dem Ge¬
sang der Vögel, dem Murmeln oder Brausen der Wellen zu lauschen, den
labenden Lufthauch zu athmen, in Einsamkeit und Stille die Stunden zu ver¬
träumen — das waren die Naturgenusse, welche die römischen Dichter so be¬
redt preisen, solcher und verwandter Art die landschaftlichen Scenen, welche die
Freunde der Natur nächst den Seeufern am liebsten aufsuchten."

„Höchst bezeichnend für die hier angedeutete Richtung des römischen Natur-
gefühls ist. daß Anmuth (amoenitas) das häufigste Lob einer schönen Natur,
ja dasjenige Wort ist. das unserm „Naturschönheit" am nächsten kommt. Der
Begriff der Naturschönheit war den Römern ein viel enger begrenzter als uns.
Quinctilian sagt einmal, das Lob der Schönheit komme unter den Gegenden
„den ebenen, den anmuthigen, den am Meere gelegnen" zu. Rauhheit und
Wildheit, furchtbare Majestät, großartige, aber düstre Monotonie der Natur
schlossen dieses Lob nach römischer Empfindung aus; es war auf Thäler und
Hügellandschaften und aus die Abhänge der Vorberge beschränkt. Aus das
Hochgebirge erstreckte es sich so wenig wie auf Haiden, Moore und wasserlose
Wüsten. Für den Zauber, den auf uns der Anblick der Campagna Roms in
ihrer jetzigen Gestalt übt, war jene Zeit unempfänglich." „Für die Wunder
der Alpenwelt fehlte der damaligen Bildung das Verständniß völlig, die
Empfindungen, mit denen die Römer sie betrachteten, glichen etwa denen, die
neuern Reisenden die Eiswüsten des Nordpols erregen, nur ohne die jetzige
Bewunderung für die schauerliche Erhabenheit solcher Scenen." Die Besteigung
höherer Berge in der Absicht, weite Anblicke zu genießen, wird so gut wie nie
erwähnt. Nur Wenige hatten nach Strabo den mit ewigem Schnee bedeckten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/303>, abgerufen am 28.09.2024.