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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band.

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raiur verdankte. War die Schilderung einer Gegend erst zum Lieblingsthema
deo Schriftsteller und Dichter geworden, dann vermehrten diese Schilderungen
gewiß die Zahl ihrer Besucher, und dies war auch bei einem großen Theil der
eben genannten Orte und Sehenswürdigkeiten der Fall. In der Beschreibung,
die Pomponius Mela von der korycischen Höhle in Cilicien giebt, klingen Re¬
miniscenzen an poetische Beschreibungen durch, ebenso in der Schilderung des
Tempethales bei Plinius, "zu dessen beiden Seiten sanft geneigte Wände in
unabsehbare Höhe hinausragten; die schmale Sohle durchströmte der Peneus,
zwischen grasigen Ufern inmitten eines schönen Hains. Vogelgesang ertönte aus
den Wipfeln der Bäume." "Das Reisen," sagt Seneca in seinen Briefen,
"wird dir Kenntniß von Völkern verschaffen, wird dir neue Gebirgsformen
zeigen, unbekannte Ausdehnungen von Ebenen, von unversiegbarer Wassern durch¬
rieselte Thäler oder die merkwürdige Natur irgendeines Flusses: möge er nun
wie der Nil in sommerlicher Anschwellung wachsen, oder wie der Tigris sich
dem Blick entziehen und nach unsichtbar vollbrachtem Lauf zu ungeschmälerter
Größe sich wiederherstellen oder wie der Mäander, ein Gegenstand für Spiel
und Uebungen sämmtlicher Dichter, sich in häusigen Windungen schlängeln und
oft, bis an sein eigenes Bett herangewunden, wieder umbiegen, bevor er in sich
selbst fließt." Man sieht, diese Flüsse sind genannt, nicht weil sie durch die
Schönheit ihrer Ufer, sondern weil sie durch ihre Berühmtheit und durch merk¬
würdige Phänomene interessiren.

Seltsamkeiten, von dem Gewöhnlichen abweichende Naturerscheinungen,
das Abnorme und Phänomenale in der Natur zog überhaupt das reisende Rom
besonders stark an. Römer und Griechen, die in den westlichen Provinzen sich
aufhielten, reisten nach Gades oder an den biscayischen Meerbusen, um den
atlantischen Ocean ebben und fluthen zusehen. Stravo, Apulejus und Cassius
Dio beschreiben einen Schlund bei Hierapolis in Phrygien. aus welchem Dünste
aufstiegen, die Menschen und Thiere, ausgenommen Eunuchen tödteten --wie
sehr der Ort besucht wurde, geht daraus hervor, daß man vor demselben einen
eignen Bau zum bequemeren Betrachten dieses Phänomenes errichtet hatte.

Indeß gab es doch auch Orte und Gegenden, welche nur wegen ihrer
Naturschönheit aufgesucht wurden. In erster Linie stehen hier die Seeufer.
Die antike Poesie und Sage bietet eine Fülle der beredtesten Zeugnisse für ein
tiefes und inniges Verständniß der Schönheit und Herrlichkeit des Meeres
(vgl. Catull 63, 271 ff.), die antike Kunst hat diesem Element die Motive zu
ihren anmuthigsten Darstellungen entnommen. Die Liebe der Römer zum Meere
ist vielfach durch ihre Literatur, weit mehr aber durch die Trümmer ihrer Villen und
Paläste bezeugt, die (man denke an Tibers Palast in Capri und an die Villa
des.Pollius Felix auf der Höhe von Sorrent) seine schönsten Ufer besäumten.


raiur verdankte. War die Schilderung einer Gegend erst zum Lieblingsthema
deo Schriftsteller und Dichter geworden, dann vermehrten diese Schilderungen
gewiß die Zahl ihrer Besucher, und dies war auch bei einem großen Theil der
eben genannten Orte und Sehenswürdigkeiten der Fall. In der Beschreibung,
die Pomponius Mela von der korycischen Höhle in Cilicien giebt, klingen Re¬
miniscenzen an poetische Beschreibungen durch, ebenso in der Schilderung des
Tempethales bei Plinius, „zu dessen beiden Seiten sanft geneigte Wände in
unabsehbare Höhe hinausragten; die schmale Sohle durchströmte der Peneus,
zwischen grasigen Ufern inmitten eines schönen Hains. Vogelgesang ertönte aus
den Wipfeln der Bäume." „Das Reisen," sagt Seneca in seinen Briefen,
„wird dir Kenntniß von Völkern verschaffen, wird dir neue Gebirgsformen
zeigen, unbekannte Ausdehnungen von Ebenen, von unversiegbarer Wassern durch¬
rieselte Thäler oder die merkwürdige Natur irgendeines Flusses: möge er nun
wie der Nil in sommerlicher Anschwellung wachsen, oder wie der Tigris sich
dem Blick entziehen und nach unsichtbar vollbrachtem Lauf zu ungeschmälerter
Größe sich wiederherstellen oder wie der Mäander, ein Gegenstand für Spiel
und Uebungen sämmtlicher Dichter, sich in häusigen Windungen schlängeln und
oft, bis an sein eigenes Bett herangewunden, wieder umbiegen, bevor er in sich
selbst fließt." Man sieht, diese Flüsse sind genannt, nicht weil sie durch die
Schönheit ihrer Ufer, sondern weil sie durch ihre Berühmtheit und durch merk¬
würdige Phänomene interessiren.

Seltsamkeiten, von dem Gewöhnlichen abweichende Naturerscheinungen,
das Abnorme und Phänomenale in der Natur zog überhaupt das reisende Rom
besonders stark an. Römer und Griechen, die in den westlichen Provinzen sich
aufhielten, reisten nach Gades oder an den biscayischen Meerbusen, um den
atlantischen Ocean ebben und fluthen zusehen. Stravo, Apulejus und Cassius
Dio beschreiben einen Schlund bei Hierapolis in Phrygien. aus welchem Dünste
aufstiegen, die Menschen und Thiere, ausgenommen Eunuchen tödteten —wie
sehr der Ort besucht wurde, geht daraus hervor, daß man vor demselben einen
eignen Bau zum bequemeren Betrachten dieses Phänomenes errichtet hatte.

Indeß gab es doch auch Orte und Gegenden, welche nur wegen ihrer
Naturschönheit aufgesucht wurden. In erster Linie stehen hier die Seeufer.
Die antike Poesie und Sage bietet eine Fülle der beredtesten Zeugnisse für ein
tiefes und inniges Verständniß der Schönheit und Herrlichkeit des Meeres
(vgl. Catull 63, 271 ff.), die antike Kunst hat diesem Element die Motive zu
ihren anmuthigsten Darstellungen entnommen. Die Liebe der Römer zum Meere
ist vielfach durch ihre Literatur, weit mehr aber durch die Trümmer ihrer Villen und
Paläste bezeugt, die (man denke an Tibers Palast in Capri und an die Villa
des.Pollius Felix auf der Höhe von Sorrent) seine schönsten Ufer besäumten.


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[0302] raiur verdankte. War die Schilderung einer Gegend erst zum Lieblingsthema deo Schriftsteller und Dichter geworden, dann vermehrten diese Schilderungen gewiß die Zahl ihrer Besucher, und dies war auch bei einem großen Theil der eben genannten Orte und Sehenswürdigkeiten der Fall. In der Beschreibung, die Pomponius Mela von der korycischen Höhle in Cilicien giebt, klingen Re¬ miniscenzen an poetische Beschreibungen durch, ebenso in der Schilderung des Tempethales bei Plinius, „zu dessen beiden Seiten sanft geneigte Wände in unabsehbare Höhe hinausragten; die schmale Sohle durchströmte der Peneus, zwischen grasigen Ufern inmitten eines schönen Hains. Vogelgesang ertönte aus den Wipfeln der Bäume." „Das Reisen," sagt Seneca in seinen Briefen, „wird dir Kenntniß von Völkern verschaffen, wird dir neue Gebirgsformen zeigen, unbekannte Ausdehnungen von Ebenen, von unversiegbarer Wassern durch¬ rieselte Thäler oder die merkwürdige Natur irgendeines Flusses: möge er nun wie der Nil in sommerlicher Anschwellung wachsen, oder wie der Tigris sich dem Blick entziehen und nach unsichtbar vollbrachtem Lauf zu ungeschmälerter Größe sich wiederherstellen oder wie der Mäander, ein Gegenstand für Spiel und Uebungen sämmtlicher Dichter, sich in häusigen Windungen schlängeln und oft, bis an sein eigenes Bett herangewunden, wieder umbiegen, bevor er in sich selbst fließt." Man sieht, diese Flüsse sind genannt, nicht weil sie durch die Schönheit ihrer Ufer, sondern weil sie durch ihre Berühmtheit und durch merk¬ würdige Phänomene interessiren. Seltsamkeiten, von dem Gewöhnlichen abweichende Naturerscheinungen, das Abnorme und Phänomenale in der Natur zog überhaupt das reisende Rom besonders stark an. Römer und Griechen, die in den westlichen Provinzen sich aufhielten, reisten nach Gades oder an den biscayischen Meerbusen, um den atlantischen Ocean ebben und fluthen zusehen. Stravo, Apulejus und Cassius Dio beschreiben einen Schlund bei Hierapolis in Phrygien. aus welchem Dünste aufstiegen, die Menschen und Thiere, ausgenommen Eunuchen tödteten —wie sehr der Ort besucht wurde, geht daraus hervor, daß man vor demselben einen eignen Bau zum bequemeren Betrachten dieses Phänomenes errichtet hatte. Indeß gab es doch auch Orte und Gegenden, welche nur wegen ihrer Naturschönheit aufgesucht wurden. In erster Linie stehen hier die Seeufer. Die antike Poesie und Sage bietet eine Fülle der beredtesten Zeugnisse für ein tiefes und inniges Verständniß der Schönheit und Herrlichkeit des Meeres (vgl. Catull 63, 271 ff.), die antike Kunst hat diesem Element die Motive zu ihren anmuthigsten Darstellungen entnommen. Die Liebe der Römer zum Meere ist vielfach durch ihre Literatur, weit mehr aber durch die Trümmer ihrer Villen und Paläste bezeugt, die (man denke an Tibers Palast in Capri und an die Villa des.Pollius Felix auf der Höhe von Sorrent) seine schönsten Ufer besäumten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/302>, abgerufen am 28.09.2024.