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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band.

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sogar Reisen unternommen. In Ciceros Zeit besuchte man Thespiä lediglich,
um den Amor des Praxiteles zu sehen, und nach Plinius machten Viele die
Seereise nach Knidos einzig und allein wegen der dortigen Venus, die freilich
Manchen für das erste Kunstwerk der Welt galt. Indeß war das Kunstinteresse
bei den Reisen der Römer nur ausnahmsweise das leitende und meist nur ein
äußerliches und oberflächliches, gewöhnlich durch den Namen des Künstlers und
die Berühmtheit des Werkes bedingtes. Man sah, wie heutige englische Tou¬
risten, um gesehen zu haben. "Wer eine Statue oder ein Bild einmal beschaut
hat, der geht befriedigt von bannen und kehrt nicht wieder," heißt es in einer
taciteischen Schrift, und dies wird ohne Frage von der Mehrzahl der römischen
Reisenden gegolten haben.

Ungleich mehr als für die Kunst interessirte man sich für die Natur, doch
war dieses Interesse ein von dem Naturgefühl der Modernen sehr verschiedenes,
insofern es nur sehr selten ein unmittelbares, gewöhnlich dagegen durch Be¬
rühmtheit, Seltenheit und Ungewöhnliche'eit, vorzüglich aber durch Heüigkeit der
betreffenden Gegenstände und Erscheinungen hervorgerufen und bestimmt war.
"Das antike Naturgefühl unterscheidet sich." sagt der Verfasser schön und rich¬
tig, "von dem modernen am meisten durch seinen religiösen Charakter. Be¬
deutende Naturerscheinungen ergriffen die Gemüther der Alten mit einer andern
Macht als die der Neuern, sie fanden sich hier einem göttlichen oder dämo¬
nischen Walten gegenübergestellt, und zu Staunen und Bewunderung gesellte
sich immer religiöse Verehrung. Wie sehr auch der alte Götterglaube sich im
Laufe der Jahrhunderte gewandelt hatte, dies eine Gefühl war den Römern
jener Zeit so wenig als den Griechen verloren gegangen: blieben doch auch die
Erscheinungen, die es hervorriefen, immer dieselben und wirkten immer von
Neuem mit der alten Gewalt auf das menschliche Gemüth." So wurden Orte,
die sich durch eine großartige oder schöne Natur auszeichneten, nicht blos auf¬
gesucht, um sich an ihrem Anblick zu erfreuen, sondern zugleich, um die Gott¬
heit, der sie geweiht waren, zu verehren. So zog die Quelle des Clitumnus
in Umbrien die Besucher ebensosehr durch ihre Schönheit als durch ihre Heilig¬
keit an. So glaubte das Naturgefühl der Alten in der Höhle von Korykos
mit ihren kühnen Wölbungen und ihren seltsamen Twpfstcinbildungen eine
Wohnung der Nymphen zu erkennen und in dem Rauschen tief unten strömen¬
der Wasser und dem Fall der Tropfen von der Decke die Klänge einer dämo¬
nischen Musik zu vernehmen. Ebenso natürlich ist endlich, daß man Haine oder
Bäume, die sich durch Alter und riesigen Wuchs auszeichneten, mit Gottheiten
in Verbindung brachte.

"Ein zweites Moment, das auf den Ruf der Sehenswürdigkeit einer Loca-
lität wesentlichen Einfluß übte, war Berühmtheit, die sie der Poesie oder Lide-


sogar Reisen unternommen. In Ciceros Zeit besuchte man Thespiä lediglich,
um den Amor des Praxiteles zu sehen, und nach Plinius machten Viele die
Seereise nach Knidos einzig und allein wegen der dortigen Venus, die freilich
Manchen für das erste Kunstwerk der Welt galt. Indeß war das Kunstinteresse
bei den Reisen der Römer nur ausnahmsweise das leitende und meist nur ein
äußerliches und oberflächliches, gewöhnlich durch den Namen des Künstlers und
die Berühmtheit des Werkes bedingtes. Man sah, wie heutige englische Tou¬
risten, um gesehen zu haben. „Wer eine Statue oder ein Bild einmal beschaut
hat, der geht befriedigt von bannen und kehrt nicht wieder," heißt es in einer
taciteischen Schrift, und dies wird ohne Frage von der Mehrzahl der römischen
Reisenden gegolten haben.

Ungleich mehr als für die Kunst interessirte man sich für die Natur, doch
war dieses Interesse ein von dem Naturgefühl der Modernen sehr verschiedenes,
insofern es nur sehr selten ein unmittelbares, gewöhnlich dagegen durch Be¬
rühmtheit, Seltenheit und Ungewöhnliche'eit, vorzüglich aber durch Heüigkeit der
betreffenden Gegenstände und Erscheinungen hervorgerufen und bestimmt war.
„Das antike Naturgefühl unterscheidet sich." sagt der Verfasser schön und rich¬
tig, „von dem modernen am meisten durch seinen religiösen Charakter. Be¬
deutende Naturerscheinungen ergriffen die Gemüther der Alten mit einer andern
Macht als die der Neuern, sie fanden sich hier einem göttlichen oder dämo¬
nischen Walten gegenübergestellt, und zu Staunen und Bewunderung gesellte
sich immer religiöse Verehrung. Wie sehr auch der alte Götterglaube sich im
Laufe der Jahrhunderte gewandelt hatte, dies eine Gefühl war den Römern
jener Zeit so wenig als den Griechen verloren gegangen: blieben doch auch die
Erscheinungen, die es hervorriefen, immer dieselben und wirkten immer von
Neuem mit der alten Gewalt auf das menschliche Gemüth." So wurden Orte,
die sich durch eine großartige oder schöne Natur auszeichneten, nicht blos auf¬
gesucht, um sich an ihrem Anblick zu erfreuen, sondern zugleich, um die Gott¬
heit, der sie geweiht waren, zu verehren. So zog die Quelle des Clitumnus
in Umbrien die Besucher ebensosehr durch ihre Schönheit als durch ihre Heilig¬
keit an. So glaubte das Naturgefühl der Alten in der Höhle von Korykos
mit ihren kühnen Wölbungen und ihren seltsamen Twpfstcinbildungen eine
Wohnung der Nymphen zu erkennen und in dem Rauschen tief unten strömen¬
der Wasser und dem Fall der Tropfen von der Decke die Klänge einer dämo¬
nischen Musik zu vernehmen. Ebenso natürlich ist endlich, daß man Haine oder
Bäume, die sich durch Alter und riesigen Wuchs auszeichneten, mit Gottheiten
in Verbindung brachte.

„Ein zweites Moment, das auf den Ruf der Sehenswürdigkeit einer Loca-
lität wesentlichen Einfluß übte, war Berühmtheit, die sie der Poesie oder Lide-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/301>, abgerufen am 28.09.2024.