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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band.

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rer, falls nicht ein gefälliger Gastfreund den Cicerone machte. In der Regel
versahen Priester oder Tempeldiener dieses Amt, und unter diesen ersteren sowie
unter den in großen Städten existirenden besonders angestellten Führern gab es
zuweilen gebildete Leute, die meisten aber betrieben ihr Geschäft handwerks¬
mäßig und wurden mit ihren auswendig gelernten Erklärungen und nach dem
Geschmack der Menge erfundenen Geschichten Besuchern von Bildung und Ver¬
stand nicht wenig lästig. In Griechenland und Kleinasien unterhielten die Füh¬
rer den Touristen fast durchweg mit Erinnerungen aus der Heroenzeit, die einem
großen Theil der Gebildeten näher lag als die historische. Hier wies der Be¬
gleiter auf Spuren von Gemäuer hin, welche das Gemach der Helena, der
Harmonia oder der Leda gewesen sein sollten; von diesem Aphroditetempel zu
Trözen hatte Phädra zugeschaut, als Hippolyt sich in der Rennbahn übte. Aus
jenem Stein am Hafen bei Salamis hatte der alte Telamon gesessen und dem
Schiffe nachgeblickt, welches seine Söhne nach Antis trug. In Antis wieder
zeigte man die Quelle, wo die Platane gestanden, auf der vor den Augen des ver¬
sammelten Griechenheeres die Schlange den Sperling mit seinen neun Jungen
fraß -- und so ließen sich die Beispiele bis ins Unendliche vermehren. Kein
Schritt fast, ohne daß man die Stätte eines denkwürdigen Ereignisses betrat,
kein Stein ohne Namen.

Natürlich fehlte es auch nicht an historischen Erinnerungen aus jüngern
Zeiten, vorzüglich an die Perserkriege und an die Züge und Thaten Alexanders
des Großen. Noch in Plutarchs Zeit zeigte man den Touristen die alte Eiche
am Kephissus, unter welcher bei der Schlacht von Charonea Alexanders Zelt
gestanden. Bei Tyrus wurden sie an die Quelle geführt, wo er von dem Fang
eines Satyrs geträumt, was die Traumdeuter auf die Einnahme der Stadt bezogen.
In Alexandria war die Gruft, in welcher ein gläserner Sarg seine Leiche barg.

In Italien und den westlichen Provinzen gab es, da dort eine Sagen¬
periode so gut wie ganz fehlte, fast nur historische Erinnerungen. bei Laurentum
z. B. die Stelle, wo das Lager des Aeneas gewesen, bei Liternum Oelbäume,
die Scipio der Aeltere gepflanzt, auf Capri den Ort, von welchem Tiberius
seine Opfer ins Meer gestürzt, bei Tibur das Haus des Horaz, Selbstverständ¬
lich ist, daß besonders Geschichtschreiber die Stätten der von ihnen darzustellen¬
den Ereignisse zu sehen suchten, vorzüglich gewissenhaft scheint hierbei Sueton
zu Werte gegangen zu sein.

Das Interesse an der Kunst trat gegen das historische bei den Touristen
des alten Rom entschieden zurück, doch braucht nicht hervorgehoben und begrün¬
det zu werden, daß die ernstlich um Bildung bemühten unter denselben nicht
versäumten, die Kunstwerke zu besichtigen, die namentlich Griechenland und Klein¬
asien selbst unter den Kaisern noch in Fülle besaßen, ja um ihretwillen wurden


rer, falls nicht ein gefälliger Gastfreund den Cicerone machte. In der Regel
versahen Priester oder Tempeldiener dieses Amt, und unter diesen ersteren sowie
unter den in großen Städten existirenden besonders angestellten Führern gab es
zuweilen gebildete Leute, die meisten aber betrieben ihr Geschäft handwerks¬
mäßig und wurden mit ihren auswendig gelernten Erklärungen und nach dem
Geschmack der Menge erfundenen Geschichten Besuchern von Bildung und Ver¬
stand nicht wenig lästig. In Griechenland und Kleinasien unterhielten die Füh¬
rer den Touristen fast durchweg mit Erinnerungen aus der Heroenzeit, die einem
großen Theil der Gebildeten näher lag als die historische. Hier wies der Be¬
gleiter auf Spuren von Gemäuer hin, welche das Gemach der Helena, der
Harmonia oder der Leda gewesen sein sollten; von diesem Aphroditetempel zu
Trözen hatte Phädra zugeschaut, als Hippolyt sich in der Rennbahn übte. Aus
jenem Stein am Hafen bei Salamis hatte der alte Telamon gesessen und dem
Schiffe nachgeblickt, welches seine Söhne nach Antis trug. In Antis wieder
zeigte man die Quelle, wo die Platane gestanden, auf der vor den Augen des ver¬
sammelten Griechenheeres die Schlange den Sperling mit seinen neun Jungen
fraß — und so ließen sich die Beispiele bis ins Unendliche vermehren. Kein
Schritt fast, ohne daß man die Stätte eines denkwürdigen Ereignisses betrat,
kein Stein ohne Namen.

Natürlich fehlte es auch nicht an historischen Erinnerungen aus jüngern
Zeiten, vorzüglich an die Perserkriege und an die Züge und Thaten Alexanders
des Großen. Noch in Plutarchs Zeit zeigte man den Touristen die alte Eiche
am Kephissus, unter welcher bei der Schlacht von Charonea Alexanders Zelt
gestanden. Bei Tyrus wurden sie an die Quelle geführt, wo er von dem Fang
eines Satyrs geträumt, was die Traumdeuter auf die Einnahme der Stadt bezogen.
In Alexandria war die Gruft, in welcher ein gläserner Sarg seine Leiche barg.

In Italien und den westlichen Provinzen gab es, da dort eine Sagen¬
periode so gut wie ganz fehlte, fast nur historische Erinnerungen. bei Laurentum
z. B. die Stelle, wo das Lager des Aeneas gewesen, bei Liternum Oelbäume,
die Scipio der Aeltere gepflanzt, auf Capri den Ort, von welchem Tiberius
seine Opfer ins Meer gestürzt, bei Tibur das Haus des Horaz, Selbstverständ¬
lich ist, daß besonders Geschichtschreiber die Stätten der von ihnen darzustellen¬
den Ereignisse zu sehen suchten, vorzüglich gewissenhaft scheint hierbei Sueton
zu Werte gegangen zu sein.

Das Interesse an der Kunst trat gegen das historische bei den Touristen
des alten Rom entschieden zurück, doch braucht nicht hervorgehoben und begrün¬
det zu werden, daß die ernstlich um Bildung bemühten unter denselben nicht
versäumten, die Kunstwerke zu besichtigen, die namentlich Griechenland und Klein¬
asien selbst unter den Kaisern noch in Fülle besaßen, ja um ihretwillen wurden


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[0300] rer, falls nicht ein gefälliger Gastfreund den Cicerone machte. In der Regel versahen Priester oder Tempeldiener dieses Amt, und unter diesen ersteren sowie unter den in großen Städten existirenden besonders angestellten Führern gab es zuweilen gebildete Leute, die meisten aber betrieben ihr Geschäft handwerks¬ mäßig und wurden mit ihren auswendig gelernten Erklärungen und nach dem Geschmack der Menge erfundenen Geschichten Besuchern von Bildung und Ver¬ stand nicht wenig lästig. In Griechenland und Kleinasien unterhielten die Füh¬ rer den Touristen fast durchweg mit Erinnerungen aus der Heroenzeit, die einem großen Theil der Gebildeten näher lag als die historische. Hier wies der Be¬ gleiter auf Spuren von Gemäuer hin, welche das Gemach der Helena, der Harmonia oder der Leda gewesen sein sollten; von diesem Aphroditetempel zu Trözen hatte Phädra zugeschaut, als Hippolyt sich in der Rennbahn übte. Aus jenem Stein am Hafen bei Salamis hatte der alte Telamon gesessen und dem Schiffe nachgeblickt, welches seine Söhne nach Antis trug. In Antis wieder zeigte man die Quelle, wo die Platane gestanden, auf der vor den Augen des ver¬ sammelten Griechenheeres die Schlange den Sperling mit seinen neun Jungen fraß — und so ließen sich die Beispiele bis ins Unendliche vermehren. Kein Schritt fast, ohne daß man die Stätte eines denkwürdigen Ereignisses betrat, kein Stein ohne Namen. Natürlich fehlte es auch nicht an historischen Erinnerungen aus jüngern Zeiten, vorzüglich an die Perserkriege und an die Züge und Thaten Alexanders des Großen. Noch in Plutarchs Zeit zeigte man den Touristen die alte Eiche am Kephissus, unter welcher bei der Schlacht von Charonea Alexanders Zelt gestanden. Bei Tyrus wurden sie an die Quelle geführt, wo er von dem Fang eines Satyrs geträumt, was die Traumdeuter auf die Einnahme der Stadt bezogen. In Alexandria war die Gruft, in welcher ein gläserner Sarg seine Leiche barg. In Italien und den westlichen Provinzen gab es, da dort eine Sagen¬ periode so gut wie ganz fehlte, fast nur historische Erinnerungen. bei Laurentum z. B. die Stelle, wo das Lager des Aeneas gewesen, bei Liternum Oelbäume, die Scipio der Aeltere gepflanzt, auf Capri den Ort, von welchem Tiberius seine Opfer ins Meer gestürzt, bei Tibur das Haus des Horaz, Selbstverständ¬ lich ist, daß besonders Geschichtschreiber die Stätten der von ihnen darzustellen¬ den Ereignisse zu sehen suchten, vorzüglich gewissenhaft scheint hierbei Sueton zu Werte gegangen zu sein. Das Interesse an der Kunst trat gegen das historische bei den Touristen des alten Rom entschieden zurück, doch braucht nicht hervorgehoben und begrün¬ det zu werden, daß die ernstlich um Bildung bemühten unter denselben nicht versäumten, die Kunstwerke zu besichtigen, die namentlich Griechenland und Klein¬ asien selbst unter den Kaisern noch in Fülle besaßen, ja um ihretwillen wurden

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/300>, abgerufen am 28.09.2024.