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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band.

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in diesen Ländern die Vergangenheit den römischen Besucher fast überall weit
mehr als die Gegenwart. Neben diesem historischen Interesse waltete dann das
Streben ob, Merkwürdigkeiten und Sehenswürdigkeiten aller Art kennen zu
lernen, oft nicht weil man sich unmittelbar für den Gegenstand sehr interessirte,
sondern nur weil er berühmt oder in vielgelesenen Schriften erwähnt oder weil
er eine Rarität oder Monstrosität war. Inwiefern das Interesse für Kunst
wesentlich, das für Natur bis zu einem gewissen Grade sich nach diesem Ge¬
sichtspunkte bestimmte, werden wir mit dem Verfasser unsres Buchs zum Schluß
sehen.

Das historische Interesse fand zunächst Befriedigung durch den Besuch der
Tempel, die überall zugleich als Museen zu gelten hatten, weil sie reich an
Kostbarkeiten und Seltenheiten, Kunst- und Naturschätzen waren, die theils
die Frömmigkeit als Weihgeschenke hierher stiftete, theils die Unverletzlichkeit
des heiligen Ortes hier aufbewahren ließ. Sie enthielten bisweilen Kunstwerke
in solcher Menge wie moderne Galerien und Cabinete. Von Naturseltenheiten
wurden in ihnen Elephantenzähne, große Schlangen, Krokodile, Walfischrippen
Hörner von indischen Ameisen gezeigt. In griechischen Tempeln sah man Ko¬
kosnüsse, in einem Heiligthum des Palatinus war die Wurzel des Zimmetbaums
zu sehen, im Concordientempel zu Rom bewunderte man vier Elephanten aus
schwarzem spiegelnden Obsidian. In andern Heiligthümern wurden andere Ra¬
ritäten, ausländische Waffen und Geräthe, Sarmatenpanzer, linnene Harnische
u. d. aufbewahrt. Noch häufiger aber konnte man hier Gegenstände von histo¬
rischem Interesse und zwar aus allen Perioden der Geschichte, namentlich Re¬
liquien berühmter Männer bis zur Heroenzeit hinauf sehen. In einem Marstempel
wurde ein Schwert Cäsars, in dem der Glücksgöttin zu Rom ein Königsgewand
des Servius Tullius, in dem der Minerva zu Rhodus der Linnenpanzer des
Pharao Amasis, in einem Tempel zu Athen der Säbel des Mardonius, in
Sparta die Lanze des Agesilaos, in Gortys Speer und Rüstung Alexanders
des Großen gezeigt. In Sparta hing von der Decke eines Tempels das El
der Leda (vermuthlich ein Straußenei, welchem Zierrath man noch jetzt in
orientalischen und griechischen Kirchen oft begegnet) herab, im Minerventempel
zu Lindus gab es einen Kelch aus Elektron, der von Helena hierher gestiftet
und ein Maß ihres Busens sein sollte. Zu Panopeus in Phocis konnten die
Reisenden sogar Ueberbleibsel des Lehms, aus dem Prometheus Menschen formte,
zu Memphis das Haar bewundern, das Isis sich aus Schmerz über den Tod
des Osiris ausgerauft hatte. Joppe galt als Schauplatz der Befreiung An-
dromedas durch Perseus, und noch zur Zeit des Pausanias bezeichnete man
hier ein blutfarbiges Wasser als das, in welchem der Held sich nach dem Kampfe
mit dem Meerungeheuer gewaschen.

Bei den Tempeln fanden die Fremden für Bezahlung Führer und Erklä-


37*

in diesen Ländern die Vergangenheit den römischen Besucher fast überall weit
mehr als die Gegenwart. Neben diesem historischen Interesse waltete dann das
Streben ob, Merkwürdigkeiten und Sehenswürdigkeiten aller Art kennen zu
lernen, oft nicht weil man sich unmittelbar für den Gegenstand sehr interessirte,
sondern nur weil er berühmt oder in vielgelesenen Schriften erwähnt oder weil
er eine Rarität oder Monstrosität war. Inwiefern das Interesse für Kunst
wesentlich, das für Natur bis zu einem gewissen Grade sich nach diesem Ge¬
sichtspunkte bestimmte, werden wir mit dem Verfasser unsres Buchs zum Schluß
sehen.

Das historische Interesse fand zunächst Befriedigung durch den Besuch der
Tempel, die überall zugleich als Museen zu gelten hatten, weil sie reich an
Kostbarkeiten und Seltenheiten, Kunst- und Naturschätzen waren, die theils
die Frömmigkeit als Weihgeschenke hierher stiftete, theils die Unverletzlichkeit
des heiligen Ortes hier aufbewahren ließ. Sie enthielten bisweilen Kunstwerke
in solcher Menge wie moderne Galerien und Cabinete. Von Naturseltenheiten
wurden in ihnen Elephantenzähne, große Schlangen, Krokodile, Walfischrippen
Hörner von indischen Ameisen gezeigt. In griechischen Tempeln sah man Ko¬
kosnüsse, in einem Heiligthum des Palatinus war die Wurzel des Zimmetbaums
zu sehen, im Concordientempel zu Rom bewunderte man vier Elephanten aus
schwarzem spiegelnden Obsidian. In andern Heiligthümern wurden andere Ra¬
ritäten, ausländische Waffen und Geräthe, Sarmatenpanzer, linnene Harnische
u. d. aufbewahrt. Noch häufiger aber konnte man hier Gegenstände von histo¬
rischem Interesse und zwar aus allen Perioden der Geschichte, namentlich Re¬
liquien berühmter Männer bis zur Heroenzeit hinauf sehen. In einem Marstempel
wurde ein Schwert Cäsars, in dem der Glücksgöttin zu Rom ein Königsgewand
des Servius Tullius, in dem der Minerva zu Rhodus der Linnenpanzer des
Pharao Amasis, in einem Tempel zu Athen der Säbel des Mardonius, in
Sparta die Lanze des Agesilaos, in Gortys Speer und Rüstung Alexanders
des Großen gezeigt. In Sparta hing von der Decke eines Tempels das El
der Leda (vermuthlich ein Straußenei, welchem Zierrath man noch jetzt in
orientalischen und griechischen Kirchen oft begegnet) herab, im Minerventempel
zu Lindus gab es einen Kelch aus Elektron, der von Helena hierher gestiftet
und ein Maß ihres Busens sein sollte. Zu Panopeus in Phocis konnten die
Reisenden sogar Ueberbleibsel des Lehms, aus dem Prometheus Menschen formte,
zu Memphis das Haar bewundern, das Isis sich aus Schmerz über den Tod
des Osiris ausgerauft hatte. Joppe galt als Schauplatz der Befreiung An-
dromedas durch Perseus, und noch zur Zeit des Pausanias bezeichnete man
hier ein blutfarbiges Wasser als das, in welchem der Held sich nach dem Kampfe
mit dem Meerungeheuer gewaschen.

Bei den Tempeln fanden die Fremden für Bezahlung Führer und Erklä-


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[0299] in diesen Ländern die Vergangenheit den römischen Besucher fast überall weit mehr als die Gegenwart. Neben diesem historischen Interesse waltete dann das Streben ob, Merkwürdigkeiten und Sehenswürdigkeiten aller Art kennen zu lernen, oft nicht weil man sich unmittelbar für den Gegenstand sehr interessirte, sondern nur weil er berühmt oder in vielgelesenen Schriften erwähnt oder weil er eine Rarität oder Monstrosität war. Inwiefern das Interesse für Kunst wesentlich, das für Natur bis zu einem gewissen Grade sich nach diesem Ge¬ sichtspunkte bestimmte, werden wir mit dem Verfasser unsres Buchs zum Schluß sehen. Das historische Interesse fand zunächst Befriedigung durch den Besuch der Tempel, die überall zugleich als Museen zu gelten hatten, weil sie reich an Kostbarkeiten und Seltenheiten, Kunst- und Naturschätzen waren, die theils die Frömmigkeit als Weihgeschenke hierher stiftete, theils die Unverletzlichkeit des heiligen Ortes hier aufbewahren ließ. Sie enthielten bisweilen Kunstwerke in solcher Menge wie moderne Galerien und Cabinete. Von Naturseltenheiten wurden in ihnen Elephantenzähne, große Schlangen, Krokodile, Walfischrippen Hörner von indischen Ameisen gezeigt. In griechischen Tempeln sah man Ko¬ kosnüsse, in einem Heiligthum des Palatinus war die Wurzel des Zimmetbaums zu sehen, im Concordientempel zu Rom bewunderte man vier Elephanten aus schwarzem spiegelnden Obsidian. In andern Heiligthümern wurden andere Ra¬ ritäten, ausländische Waffen und Geräthe, Sarmatenpanzer, linnene Harnische u. d. aufbewahrt. Noch häufiger aber konnte man hier Gegenstände von histo¬ rischem Interesse und zwar aus allen Perioden der Geschichte, namentlich Re¬ liquien berühmter Männer bis zur Heroenzeit hinauf sehen. In einem Marstempel wurde ein Schwert Cäsars, in dem der Glücksgöttin zu Rom ein Königsgewand des Servius Tullius, in dem der Minerva zu Rhodus der Linnenpanzer des Pharao Amasis, in einem Tempel zu Athen der Säbel des Mardonius, in Sparta die Lanze des Agesilaos, in Gortys Speer und Rüstung Alexanders des Großen gezeigt. In Sparta hing von der Decke eines Tempels das El der Leda (vermuthlich ein Straußenei, welchem Zierrath man noch jetzt in orientalischen und griechischen Kirchen oft begegnet) herab, im Minerventempel zu Lindus gab es einen Kelch aus Elektron, der von Helena hierher gestiftet und ein Maß ihres Busens sein sollte. Zu Panopeus in Phocis konnten die Reisenden sogar Ueberbleibsel des Lehms, aus dem Prometheus Menschen formte, zu Memphis das Haar bewundern, das Isis sich aus Schmerz über den Tod des Osiris ausgerauft hatte. Joppe galt als Schauplatz der Befreiung An- dromedas durch Perseus, und noch zur Zeit des Pausanias bezeichnete man hier ein blutfarbiges Wasser als das, in welchem der Held sich nach dem Kampfe mit dem Meerungeheuer gewaschen. Bei den Tempeln fanden die Fremden für Bezahlung Führer und Erklä- 37*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/299>, abgerufen am 28.09.2024.