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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band.

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schlackn. Im Jahre 70 w Chr. ferner sollen letztere unter Norik Boghs mit
den Dänen unter König Rolf gekämpft haben. Um 260 n. Chr., so erzählen
die Chroniken weiter, bekriegte der friesische Kriegsheld Ubbo den jütischen König
Harald Hulsetand. Dann nahmen die Friesen an dem Eroberungszuge der Angeln
und Sachsen nach Britannien theil, und die Gründlichkeit der Chronisten weih
sogar, daß Hengist und Horsa eigentlich Westfriesen waren, und daß sie sich zu
jenem Zuge bei Wcndingstedt auf Sylt einschifften-

Für uns sind das Fabeln. Wir wissen nur, daß die Friesen in jenen
Zeiten und noch lange nachher ein wildes Volk von großer Liede zur Seefahrt
waren, welches wie die nordischen Wikinger das Meer nach Raub durchschweifte,
daheim ein Land voll Moräste und fette Marschen bewohnte und seine Freiheit
gegen allerhand Feinde vom Norden und Süden kräftig zu wahren verstand,
später aber allmälig in Abhängigkeit von den dänischen Königen geriet!), die
ihnen indeß einen Theil ihrer Freiheit lassen mußten. Formell wie die übrigen
Schleswiger Unterthanen der dänischen Krone, factisch ein Bund lose zusammen¬
hängender Bauernrepubliken, führten sie dann vom dreizehnten bis zum fünf¬
zehnten Jahrhundert wiederholt theils für sich, theils mit den Holsteinern ver¬
bunden, glückliche Kriege mit den nordischen Nachbarn sowie mit den Ditmarschern
und erwehrten sich der beabsichtigten Anlegung von Zwingburgen in ihrem
Lande, bis Waldemar Atterdag sie durch die Schlacht bei Lcmgstoft für einige
Zeit gefügiger machte. Aber wie sie früher, ihrem-alten Wahlspruch getreu
"Lcwcr duad us Siao" den Nacken nicht lange unter das Joch gebeugt und
in der großen Schlacht auf dem Königskamp den Sieg gewonnen, so rissen sie
sich auch jetzt bald wieder los und erfochten sich, von Holsteincrn unter Adolf
von Schauenburg unterstützt, auf der sollcruper Haide von Neuem die Freiheit.

Unaufhörliche innere Zwistigkeiten, Fehden zwischen den einzelnen Harden,
schwachem das Golf indeß. Dazu kamen miedcrhvlt große Fluthen, welche
Massen von Menschen verschlangen und außerordentliches Elend anrichteten, und
die Einfälle der Ditmarscher, die jetzt meist Sieger blieben, und so wurde die
alte Unabhängigkeit der Friesen in der ersten Hälfte des fünfzehnten Jahrhunderts
endlich gebrochen. Aufstände und Gewaltthaten gegen die ihnen gesetzten Amt¬
leute und Staller wurden blutig bestraft, die Neigung des Volkes zu Seeraub
und innern Privatfchdcn mußte sich der Herrschaft des Gesetzes beugen, und es
gab fortan keine andern Kämpfe als mit dem Meere, dem man durch mächtige
Deichbauten weite Strecken fruchtbaren Marschbodens abgewann. Mußte man
sich so der Gewalt der Fürsten beugen, so hat es doch bis auf den heutigen
Tag niemals im Friesenlande eine Adelsherrschaft gegeben, auch erinnern
mancherlei werthvolle Gerechtsame noch jetzt an die Periode der Unabhängigkeit
des Volkes.

In den neuesten Kämpfen Schleswig-Holsteins mit Dänemark haben viele


schlackn. Im Jahre 70 w Chr. ferner sollen letztere unter Norik Boghs mit
den Dänen unter König Rolf gekämpft haben. Um 260 n. Chr., so erzählen
die Chroniken weiter, bekriegte der friesische Kriegsheld Ubbo den jütischen König
Harald Hulsetand. Dann nahmen die Friesen an dem Eroberungszuge der Angeln
und Sachsen nach Britannien theil, und die Gründlichkeit der Chronisten weih
sogar, daß Hengist und Horsa eigentlich Westfriesen waren, und daß sie sich zu
jenem Zuge bei Wcndingstedt auf Sylt einschifften-

Für uns sind das Fabeln. Wir wissen nur, daß die Friesen in jenen
Zeiten und noch lange nachher ein wildes Volk von großer Liede zur Seefahrt
waren, welches wie die nordischen Wikinger das Meer nach Raub durchschweifte,
daheim ein Land voll Moräste und fette Marschen bewohnte und seine Freiheit
gegen allerhand Feinde vom Norden und Süden kräftig zu wahren verstand,
später aber allmälig in Abhängigkeit von den dänischen Königen geriet!), die
ihnen indeß einen Theil ihrer Freiheit lassen mußten. Formell wie die übrigen
Schleswiger Unterthanen der dänischen Krone, factisch ein Bund lose zusammen¬
hängender Bauernrepubliken, führten sie dann vom dreizehnten bis zum fünf¬
zehnten Jahrhundert wiederholt theils für sich, theils mit den Holsteinern ver¬
bunden, glückliche Kriege mit den nordischen Nachbarn sowie mit den Ditmarschern
und erwehrten sich der beabsichtigten Anlegung von Zwingburgen in ihrem
Lande, bis Waldemar Atterdag sie durch die Schlacht bei Lcmgstoft für einige
Zeit gefügiger machte. Aber wie sie früher, ihrem-alten Wahlspruch getreu
„Lcwcr duad us Siao" den Nacken nicht lange unter das Joch gebeugt und
in der großen Schlacht auf dem Königskamp den Sieg gewonnen, so rissen sie
sich auch jetzt bald wieder los und erfochten sich, von Holsteincrn unter Adolf
von Schauenburg unterstützt, auf der sollcruper Haide von Neuem die Freiheit.

Unaufhörliche innere Zwistigkeiten, Fehden zwischen den einzelnen Harden,
schwachem das Golf indeß. Dazu kamen miedcrhvlt große Fluthen, welche
Massen von Menschen verschlangen und außerordentliches Elend anrichteten, und
die Einfälle der Ditmarscher, die jetzt meist Sieger blieben, und so wurde die
alte Unabhängigkeit der Friesen in der ersten Hälfte des fünfzehnten Jahrhunderts
endlich gebrochen. Aufstände und Gewaltthaten gegen die ihnen gesetzten Amt¬
leute und Staller wurden blutig bestraft, die Neigung des Volkes zu Seeraub
und innern Privatfchdcn mußte sich der Herrschaft des Gesetzes beugen, und es
gab fortan keine andern Kämpfe als mit dem Meere, dem man durch mächtige
Deichbauten weite Strecken fruchtbaren Marschbodens abgewann. Mußte man
sich so der Gewalt der Fürsten beugen, so hat es doch bis auf den heutigen
Tag niemals im Friesenlande eine Adelsherrschaft gegeben, auch erinnern
mancherlei werthvolle Gerechtsame noch jetzt an die Periode der Unabhängigkeit
des Volkes.

In den neuesten Kämpfen Schleswig-Holsteins mit Dänemark haben viele


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/27>, abgerufen am 28.09.2024.