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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band.

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sich dem herrischen Zwang des Pfarrers und der Kirchenvorsteher fügen.
Zwanzig Lebensjahre lang hatte er dies erduldet, als ihn ein glücklicher Fall
aus dieser Lage befreite. Jakob Laurenz Custer im Löwenhof bei Rheineck, ein
reicher Industrieller, suchte einen Lehrer für seine kleine Stieftochter und nahm
Ambühl ins Haus. Hier fand sich nun alles nach Wunsch. Liebe zur Musik,
kleine Hausconcerte, Kenntniß der modernen Literatursprache. Bücher- und
Kartensammlungen, ein freundschaftlich liberaler Ton und Verkehr. Custer war
im Philanthropin zu Haldenstein erzogen worden und hatte sich als Chef der
alten Handelsfirma Heer in Verona in der Fremde gebildet. Seine großen
Reichthümer widmete er mit opferbereiter Liebe seiner Heimath; er gründete
Schulgenossenschaften, Lesebibliotheken, Unterstützungskassen für Lehrer, regelte
das Armenwesen und hinterließ bei seinem 1828 erfolgte" Tode dem Schul-
und Armenfvnds der rheinthalischen Gemeinden ein Vermächtniß von 58,500
Fi. (Vgl. Steinmüller, Pfarrer in Rheineck: Zum Andenken an I. L. Custer
1828. 4°) Hier lernte Ambühl die Sprachen und Werke der Franzosen und
Italiener kennen, mustcirte, zeichnete und malte, besah auf Lustreisen die Schön¬
heiten der Schweiz und begann seine historischen und statistischen Schriften, zu
denen Custer seit Jahren schon die Urkunden und historischen Hilfsmittel vor¬
gesammelt hatte. Dahin gehört Ambühls Geschichte des Se. Gallischen Rhein-
thales. Se. Gallen, Zollikofer 1805. Custer ließ zu dem Werkchen eine Special-
karte stechen, die er nach eignen Ausmessungen mit beträchtlichen Kosten hatte
aufnehmen lassen. Drei Jahre begleitete Ambühl seinen Zögling nach Stra߬
burg und Gens, später noch in Gesellschaft des Vaters nach Italien. Nach
der Heimkehr war seine pädagogische Thätigkeit beendigt, sein Herr überwies
ihm ein schönes Gut zu Altstätten und setzte ihn großmüthiger Weise in Stand,
ein gemächliches und unabhängiges Leben zu führen. Sein einziges Geschäft,
Custers Einkünfte in dieser Gegend zu verwalten, ließ ihm alle Muße zu seinen
mehrfachen Producten übrig. Bei der nachmaligen Unabhängigkeitserklärung
des toggenburger und rheinthaler Landes entzog sich Ambühl den Wahlen
und Stellen nicht, zu denen ihn das Vertrauen seiner Landsleute berief. Ais
Statthalter war er nachlässigen Untcrbeamteten und Districtsvorständcn ein
unerschütterlich strenger Gebieter. Als Erziehungsrath des Cantons Se. Gallen
Versäumte er bei schon andauernder Kränklichkeit und auch in der schlimmsten
Jahreszeit keine Amtssitzung, trotz der weiten Entfernung seines Wohnorts vom
Regierungssitze. Er starb 1800 an einem Leberleiden, gegen das er früherhin
weder Arzt noch Medicin hatte anwenden wollen. Sein Erbe siel dem Bruder,
seine hübsche Büchersammlung der rheinthaler Lesebibliothek zu. Noch am
Grabe des Freundes ließ Custer den Armen schöne Geldspenden vertheilen.

Ambühls Schriften sind außer den beiden schon genannten. (Gedichte und
Rheinthaler Geschichte) nachfolgende:


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sich dem herrischen Zwang des Pfarrers und der Kirchenvorsteher fügen.
Zwanzig Lebensjahre lang hatte er dies erduldet, als ihn ein glücklicher Fall
aus dieser Lage befreite. Jakob Laurenz Custer im Löwenhof bei Rheineck, ein
reicher Industrieller, suchte einen Lehrer für seine kleine Stieftochter und nahm
Ambühl ins Haus. Hier fand sich nun alles nach Wunsch. Liebe zur Musik,
kleine Hausconcerte, Kenntniß der modernen Literatursprache. Bücher- und
Kartensammlungen, ein freundschaftlich liberaler Ton und Verkehr. Custer war
im Philanthropin zu Haldenstein erzogen worden und hatte sich als Chef der
alten Handelsfirma Heer in Verona in der Fremde gebildet. Seine großen
Reichthümer widmete er mit opferbereiter Liebe seiner Heimath; er gründete
Schulgenossenschaften, Lesebibliotheken, Unterstützungskassen für Lehrer, regelte
das Armenwesen und hinterließ bei seinem 1828 erfolgte» Tode dem Schul-
und Armenfvnds der rheinthalischen Gemeinden ein Vermächtniß von 58,500
Fi. (Vgl. Steinmüller, Pfarrer in Rheineck: Zum Andenken an I. L. Custer
1828. 4°) Hier lernte Ambühl die Sprachen und Werke der Franzosen und
Italiener kennen, mustcirte, zeichnete und malte, besah auf Lustreisen die Schön¬
heiten der Schweiz und begann seine historischen und statistischen Schriften, zu
denen Custer seit Jahren schon die Urkunden und historischen Hilfsmittel vor¬
gesammelt hatte. Dahin gehört Ambühls Geschichte des Se. Gallischen Rhein-
thales. Se. Gallen, Zollikofer 1805. Custer ließ zu dem Werkchen eine Special-
karte stechen, die er nach eignen Ausmessungen mit beträchtlichen Kosten hatte
aufnehmen lassen. Drei Jahre begleitete Ambühl seinen Zögling nach Stra߬
burg und Gens, später noch in Gesellschaft des Vaters nach Italien. Nach
der Heimkehr war seine pädagogische Thätigkeit beendigt, sein Herr überwies
ihm ein schönes Gut zu Altstätten und setzte ihn großmüthiger Weise in Stand,
ein gemächliches und unabhängiges Leben zu führen. Sein einziges Geschäft,
Custers Einkünfte in dieser Gegend zu verwalten, ließ ihm alle Muße zu seinen
mehrfachen Producten übrig. Bei der nachmaligen Unabhängigkeitserklärung
des toggenburger und rheinthaler Landes entzog sich Ambühl den Wahlen
und Stellen nicht, zu denen ihn das Vertrauen seiner Landsleute berief. Ais
Statthalter war er nachlässigen Untcrbeamteten und Districtsvorständcn ein
unerschütterlich strenger Gebieter. Als Erziehungsrath des Cantons Se. Gallen
Versäumte er bei schon andauernder Kränklichkeit und auch in der schlimmsten
Jahreszeit keine Amtssitzung, trotz der weiten Entfernung seines Wohnorts vom
Regierungssitze. Er starb 1800 an einem Leberleiden, gegen das er früherhin
weder Arzt noch Medicin hatte anwenden wollen. Sein Erbe siel dem Bruder,
seine hübsche Büchersammlung der rheinthaler Lesebibliothek zu. Noch am
Grabe des Freundes ließ Custer den Armen schöne Geldspenden vertheilen.

Ambühls Schriften sind außer den beiden schon genannten. (Gedichte und
Rheinthaler Geschichte) nachfolgende:


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[0267] sich dem herrischen Zwang des Pfarrers und der Kirchenvorsteher fügen. Zwanzig Lebensjahre lang hatte er dies erduldet, als ihn ein glücklicher Fall aus dieser Lage befreite. Jakob Laurenz Custer im Löwenhof bei Rheineck, ein reicher Industrieller, suchte einen Lehrer für seine kleine Stieftochter und nahm Ambühl ins Haus. Hier fand sich nun alles nach Wunsch. Liebe zur Musik, kleine Hausconcerte, Kenntniß der modernen Literatursprache. Bücher- und Kartensammlungen, ein freundschaftlich liberaler Ton und Verkehr. Custer war im Philanthropin zu Haldenstein erzogen worden und hatte sich als Chef der alten Handelsfirma Heer in Verona in der Fremde gebildet. Seine großen Reichthümer widmete er mit opferbereiter Liebe seiner Heimath; er gründete Schulgenossenschaften, Lesebibliotheken, Unterstützungskassen für Lehrer, regelte das Armenwesen und hinterließ bei seinem 1828 erfolgte» Tode dem Schul- und Armenfvnds der rheinthalischen Gemeinden ein Vermächtniß von 58,500 Fi. (Vgl. Steinmüller, Pfarrer in Rheineck: Zum Andenken an I. L. Custer 1828. 4°) Hier lernte Ambühl die Sprachen und Werke der Franzosen und Italiener kennen, mustcirte, zeichnete und malte, besah auf Lustreisen die Schön¬ heiten der Schweiz und begann seine historischen und statistischen Schriften, zu denen Custer seit Jahren schon die Urkunden und historischen Hilfsmittel vor¬ gesammelt hatte. Dahin gehört Ambühls Geschichte des Se. Gallischen Rhein- thales. Se. Gallen, Zollikofer 1805. Custer ließ zu dem Werkchen eine Special- karte stechen, die er nach eignen Ausmessungen mit beträchtlichen Kosten hatte aufnehmen lassen. Drei Jahre begleitete Ambühl seinen Zögling nach Stra߬ burg und Gens, später noch in Gesellschaft des Vaters nach Italien. Nach der Heimkehr war seine pädagogische Thätigkeit beendigt, sein Herr überwies ihm ein schönes Gut zu Altstätten und setzte ihn großmüthiger Weise in Stand, ein gemächliches und unabhängiges Leben zu führen. Sein einziges Geschäft, Custers Einkünfte in dieser Gegend zu verwalten, ließ ihm alle Muße zu seinen mehrfachen Producten übrig. Bei der nachmaligen Unabhängigkeitserklärung des toggenburger und rheinthaler Landes entzog sich Ambühl den Wahlen und Stellen nicht, zu denen ihn das Vertrauen seiner Landsleute berief. Ais Statthalter war er nachlässigen Untcrbeamteten und Districtsvorständcn ein unerschütterlich strenger Gebieter. Als Erziehungsrath des Cantons Se. Gallen Versäumte er bei schon andauernder Kränklichkeit und auch in der schlimmsten Jahreszeit keine Amtssitzung, trotz der weiten Entfernung seines Wohnorts vom Regierungssitze. Er starb 1800 an einem Leberleiden, gegen das er früherhin weder Arzt noch Medicin hatte anwenden wollen. Sein Erbe siel dem Bruder, seine hübsche Büchersammlung der rheinthaler Lesebibliothek zu. Noch am Grabe des Freundes ließ Custer den Armen schöne Geldspenden vertheilen. Ambühls Schriften sind außer den beiden schon genannten. (Gedichte und Rheinthaler Geschichte) nachfolgende: 33*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/267>, abgerufen am 28.09.2024.