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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band.

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begeben. Das will so'viel sagen, als sein Blut sei ein Eigenthum der May,
der Wattenwyl, der Tscharuer, der Stürler u. s. w., die allein das Recht haben,
es um holländische Ducaten zu verkaufen. Dieses Seelengewerb hat einigen
Familien einen außerordentlichen Reichthum abgeworfen. Med dem Blute vieler
tausend Landeskinder haben die May und Stürler soliantengroße Zinsbücher
vollgeschrieben, die Tscharner und Wattenwyl gassenlange Paläste aufge¬
führt. Im holländischen Dienst sind 24 Burgercompagnien, deren jede jährlich
12 -- Is,000 Pfund einträgt; es kommen also von dem Blut des Landes
ungefähr 2 bis 300,000 Pfund in die Familiensaale. Und wenn ein hollän¬
discher Oberst oder Hauptmann sein Regiment oder seine Compagnie gegen
30 Jahre benutzt, sich ein Capital von 2 -- 300,000 Pfund gemacht hat.
f" kommt er endlich heim und spricht ein Amt an von jährlich 30,000 Pfund
Einkommens. Ein Wattenwyl, ein Steiger kann den Grisler (Geßler) spielen,
und wir, weit entfernt, an die Regierung nur zu sinnen, sollen uns noch glück¬
lich schätzen, wenn sie uns nur bei Haus und Hos lassen. Gott gebe uns
Stärke, dieses Joch zu zerbrechen!"

Dieser Herzenserguß eines gewesenen Wcrbhauptmanns ist nicht blos in-
structiv über den Bestand des damaligen schweizerischen Capitulationswesens,
er dient vielmehr auch dazu, die historische Wahrheit jener schon besprochenen
Scenen in Nuoffs Elter Heini zu bekräftigen, in denen der von den Urcan-
toncn militärisch betriebene Menschenhandel pelsislirt ist. Drehte sich nun Henziö
Verschwörung ausführUch um Solcherlei Soldatenwesen, so war sie keineswegs
demokratisch gemeint oder hatte die bernische Landessreiheit nicht im mindesten
zum Zwecke. Hcnzi suchte, wie Lessing höchst richtig ihn beurtheilt, (Sämmtliche
Werke 3, ,344) nichts als die Freiheit der Vaterstadt bis zu ihren alten Gren¬
zen wieder zu erweitern. Dabei ging er, wie ein Docent der Nechtsantiquilä-
tcn, streng conservativ zu Werte und verlangte folgerecht, daß statt der Ge-
schlcchterherrschaft, statt der patricischcn Oligarchie, die Gesammtbürgerschast der
Stadt Bern regiere. Die Landschaft Bern war dabei noch gar nicht mit ein¬
gerechnet, vielmehr sollte diese künftighin wieder wie vor Alters allein der
Stadt Bern zu huldigen haben und nicht mehr dem ungeschichtlichen Stand
Bern. Eine nicht geringe Anzahl Unzufriedener war für diesen Plan gewon¬
nen, neben Subalternbeamten, Soldaten und Studenten auch der Sohn des
Thorberger Landvvgtes. Die beiden Hauptagenten waren der damalige berner
Polizeilicutenant Ein. Fucter und ein verarmter Geschäftsmann Wcrnicr.

Am 13. Juli 1749 sollte der Schlag geführt werden, man wollte Räthe
und Schultheiß gefangen nehmen, bereits hatte Fueter sich der Schlüssel zu
den Stadtthoren bemächtigt. Doch schon am 2. Juli vorher hatte ein mitver-
schworner Geistlicher, sein Name ist unbekannt geblieben, den Plan verrathen,
am dritten befanden sich die drei Häupter im Gefängniß. Fucter war durch


begeben. Das will so'viel sagen, als sein Blut sei ein Eigenthum der May,
der Wattenwyl, der Tscharuer, der Stürler u. s. w., die allein das Recht haben,
es um holländische Ducaten zu verkaufen. Dieses Seelengewerb hat einigen
Familien einen außerordentlichen Reichthum abgeworfen. Med dem Blute vieler
tausend Landeskinder haben die May und Stürler soliantengroße Zinsbücher
vollgeschrieben, die Tscharner und Wattenwyl gassenlange Paläste aufge¬
führt. Im holländischen Dienst sind 24 Burgercompagnien, deren jede jährlich
12 — Is,000 Pfund einträgt; es kommen also von dem Blut des Landes
ungefähr 2 bis 300,000 Pfund in die Familiensaale. Und wenn ein hollän¬
discher Oberst oder Hauptmann sein Regiment oder seine Compagnie gegen
30 Jahre benutzt, sich ein Capital von 2 — 300,000 Pfund gemacht hat.
f» kommt er endlich heim und spricht ein Amt an von jährlich 30,000 Pfund
Einkommens. Ein Wattenwyl, ein Steiger kann den Grisler (Geßler) spielen,
und wir, weit entfernt, an die Regierung nur zu sinnen, sollen uns noch glück¬
lich schätzen, wenn sie uns nur bei Haus und Hos lassen. Gott gebe uns
Stärke, dieses Joch zu zerbrechen!"

Dieser Herzenserguß eines gewesenen Wcrbhauptmanns ist nicht blos in-
structiv über den Bestand des damaligen schweizerischen Capitulationswesens,
er dient vielmehr auch dazu, die historische Wahrheit jener schon besprochenen
Scenen in Nuoffs Elter Heini zu bekräftigen, in denen der von den Urcan-
toncn militärisch betriebene Menschenhandel pelsislirt ist. Drehte sich nun Henziö
Verschwörung ausführUch um Solcherlei Soldatenwesen, so war sie keineswegs
demokratisch gemeint oder hatte die bernische Landessreiheit nicht im mindesten
zum Zwecke. Hcnzi suchte, wie Lessing höchst richtig ihn beurtheilt, (Sämmtliche
Werke 3, ,344) nichts als die Freiheit der Vaterstadt bis zu ihren alten Gren¬
zen wieder zu erweitern. Dabei ging er, wie ein Docent der Nechtsantiquilä-
tcn, streng conservativ zu Werte und verlangte folgerecht, daß statt der Ge-
schlcchterherrschaft, statt der patricischcn Oligarchie, die Gesammtbürgerschast der
Stadt Bern regiere. Die Landschaft Bern war dabei noch gar nicht mit ein¬
gerechnet, vielmehr sollte diese künftighin wieder wie vor Alters allein der
Stadt Bern zu huldigen haben und nicht mehr dem ungeschichtlichen Stand
Bern. Eine nicht geringe Anzahl Unzufriedener war für diesen Plan gewon¬
nen, neben Subalternbeamten, Soldaten und Studenten auch der Sohn des
Thorberger Landvvgtes. Die beiden Hauptagenten waren der damalige berner
Polizeilicutenant Ein. Fucter und ein verarmter Geschäftsmann Wcrnicr.

Am 13. Juli 1749 sollte der Schlag geführt werden, man wollte Räthe
und Schultheiß gefangen nehmen, bereits hatte Fueter sich der Schlüssel zu
den Stadtthoren bemächtigt. Doch schon am 2. Juli vorher hatte ein mitver-
schworner Geistlicher, sein Name ist unbekannt geblieben, den Plan verrathen,
am dritten befanden sich die drei Häupter im Gefängniß. Fucter war durch


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/232>, abgerufen am 28.09.2024.