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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band.

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Henzis Leben und Schicksal ist so maßgebend für unsern ganzen Zweck,
daß wir dasselbe hier der Analyse seines Schauspiels voranstellen. Unsre An¬
gaben über diesen ungewöhnlichen Mann stützen sich auf Leonhard Meister,
(Helvet, Gesch. 3, 256). Balthasar (Helvetia 1. 401.), Fetscherin. KR,. (Aufsätze
in den Blättern des Bern. Literar. Vereines.)^

Samuel Henzi, der Sohn eines unbemittelten berner Pfarrers, that seit
seinem vierzehnten Lebensjahre Schreiberbienste bei der Salzvcrwaltung. Dieses
frühzeitig getragne Joch hielt ihn nicht zurück, eifrig an seiner geistigen Bildung
zu arbeiten. Er erlernte alte und neue Sprachen, so daß er seinen Briefwechsel
französisch und lateinisch, ja aus Vorsicht vor polizeilichen Spürern sogar
griechisch zu führen wußte. Er war eine kleine wohlgestaltete Figur von geist¬
reichem Gesichte. Fortdauerndes Mißgeschick trieb ihn in die Fremde. Es war
ihm geglückt, sich die Stelle eines Compagniechess in mvdcnesischcn Diensten
kaufen zu können; allein nach kurzer Zeit hatte er seine Hauptmannsstelle wieder
aufgeben müssen und dabei einen Theil seiner Ersparnisse eingebüßt. Heim¬
gekehrt unterzeichnete er im März 1744 mit etlichen zwanzig unzufriedenen Stadt¬
bürgern eine Bittschrift, worin die Negienuig in bescheidenem Tone angegangen
war, weniger schroff auf der Scheidung in regierende und regierte Stadtbürger
zu beharren, auch der letzteren Classe das Recht der Stellvertretung im Rathe
einzuräumen. Das damalige berncr Ncgicrungosystem ließ nicht mit sich
markten. Sechs von den Urhebern der Bittschrift wurden mit Verbannung
aus der gesammten Eidgenossenschaft, Hcnzl mit fünfjähriger aus dem Canton
bestraft. Er ging nach Neuenburg und ergab sich hier der französischen Lite¬
ratur, die er nach dem damaligen Geschmack der gebildeten. Stände aufs höchste
schätzte. Der deutsche Schweizer verwandelte sich in einen französischen Autor,
rasch nach einander schrieb er hier Couplets, Oden, Epigramme, den Misodem
und die Messagene du Pinde, wahrscheinlich zugleich auch seine Tragödie Grisler.
Als ihm ein Strafjahr in Gnaden erlassen war, kehrte er heim und bewarb
sich um ein Biblivthekarsamt, mußte aber diese Stelle einem jungen Patriciers-
svhne überlassen. Er war rathlos, seine Vermögensverhältmssc hatten sich
während des Exils abermals verschlechtert; in seiner mißlichen Lage immer mehr
sich verbitternd, sann er jetzt auf eine Staatsumänderung. Er entwarf dazu
einen ausführlichen Plan, eine Denkschrift, die in der oben erwähnten Zeitschrift
Balthasars abgedruckt ist. Hier beklagt er sich namentlich über das damals zu
Bern herrschende Familienregiment, in dessen Händen auch das ganze hollän¬
dische Capitulativnsgeschäft als Monopol lag. Bluttram hieß dasselbe beim
Volke. Henzi sagt darüber: "keine Obersten, keine Hauptleute, als nur die, so
von den Usurpatoren ein Patent haben, dürfen ein Landeskind auf die Schlacht¬
bank führen; ein Bürger darf nicht einmal für seine Person, ohne special^
erlaubniß der Bernischen Nelrutenlammer, sich in einen uut'apilulirten Solddienst


Henzis Leben und Schicksal ist so maßgebend für unsern ganzen Zweck,
daß wir dasselbe hier der Analyse seines Schauspiels voranstellen. Unsre An¬
gaben über diesen ungewöhnlichen Mann stützen sich auf Leonhard Meister,
(Helvet, Gesch. 3, 256). Balthasar (Helvetia 1. 401.), Fetscherin. KR,. (Aufsätze
in den Blättern des Bern. Literar. Vereines.)^

Samuel Henzi, der Sohn eines unbemittelten berner Pfarrers, that seit
seinem vierzehnten Lebensjahre Schreiberbienste bei der Salzvcrwaltung. Dieses
frühzeitig getragne Joch hielt ihn nicht zurück, eifrig an seiner geistigen Bildung
zu arbeiten. Er erlernte alte und neue Sprachen, so daß er seinen Briefwechsel
französisch und lateinisch, ja aus Vorsicht vor polizeilichen Spürern sogar
griechisch zu führen wußte. Er war eine kleine wohlgestaltete Figur von geist¬
reichem Gesichte. Fortdauerndes Mißgeschick trieb ihn in die Fremde. Es war
ihm geglückt, sich die Stelle eines Compagniechess in mvdcnesischcn Diensten
kaufen zu können; allein nach kurzer Zeit hatte er seine Hauptmannsstelle wieder
aufgeben müssen und dabei einen Theil seiner Ersparnisse eingebüßt. Heim¬
gekehrt unterzeichnete er im März 1744 mit etlichen zwanzig unzufriedenen Stadt¬
bürgern eine Bittschrift, worin die Negienuig in bescheidenem Tone angegangen
war, weniger schroff auf der Scheidung in regierende und regierte Stadtbürger
zu beharren, auch der letzteren Classe das Recht der Stellvertretung im Rathe
einzuräumen. Das damalige berncr Ncgicrungosystem ließ nicht mit sich
markten. Sechs von den Urhebern der Bittschrift wurden mit Verbannung
aus der gesammten Eidgenossenschaft, Hcnzl mit fünfjähriger aus dem Canton
bestraft. Er ging nach Neuenburg und ergab sich hier der französischen Lite¬
ratur, die er nach dem damaligen Geschmack der gebildeten. Stände aufs höchste
schätzte. Der deutsche Schweizer verwandelte sich in einen französischen Autor,
rasch nach einander schrieb er hier Couplets, Oden, Epigramme, den Misodem
und die Messagene du Pinde, wahrscheinlich zugleich auch seine Tragödie Grisler.
Als ihm ein Strafjahr in Gnaden erlassen war, kehrte er heim und bewarb
sich um ein Biblivthekarsamt, mußte aber diese Stelle einem jungen Patriciers-
svhne überlassen. Er war rathlos, seine Vermögensverhältmssc hatten sich
während des Exils abermals verschlechtert; in seiner mißlichen Lage immer mehr
sich verbitternd, sann er jetzt auf eine Staatsumänderung. Er entwarf dazu
einen ausführlichen Plan, eine Denkschrift, die in der oben erwähnten Zeitschrift
Balthasars abgedruckt ist. Hier beklagt er sich namentlich über das damals zu
Bern herrschende Familienregiment, in dessen Händen auch das ganze hollän¬
dische Capitulativnsgeschäft als Monopol lag. Bluttram hieß dasselbe beim
Volke. Henzi sagt darüber: „keine Obersten, keine Hauptleute, als nur die, so
von den Usurpatoren ein Patent haben, dürfen ein Landeskind auf die Schlacht¬
bank führen; ein Bürger darf nicht einmal für seine Person, ohne special^
erlaubniß der Bernischen Nelrutenlammer, sich in einen uut'apilulirten Solddienst


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[0231] Henzis Leben und Schicksal ist so maßgebend für unsern ganzen Zweck, daß wir dasselbe hier der Analyse seines Schauspiels voranstellen. Unsre An¬ gaben über diesen ungewöhnlichen Mann stützen sich auf Leonhard Meister, (Helvet, Gesch. 3, 256). Balthasar (Helvetia 1. 401.), Fetscherin. KR,. (Aufsätze in den Blättern des Bern. Literar. Vereines.)^ Samuel Henzi, der Sohn eines unbemittelten berner Pfarrers, that seit seinem vierzehnten Lebensjahre Schreiberbienste bei der Salzvcrwaltung. Dieses frühzeitig getragne Joch hielt ihn nicht zurück, eifrig an seiner geistigen Bildung zu arbeiten. Er erlernte alte und neue Sprachen, so daß er seinen Briefwechsel französisch und lateinisch, ja aus Vorsicht vor polizeilichen Spürern sogar griechisch zu führen wußte. Er war eine kleine wohlgestaltete Figur von geist¬ reichem Gesichte. Fortdauerndes Mißgeschick trieb ihn in die Fremde. Es war ihm geglückt, sich die Stelle eines Compagniechess in mvdcnesischcn Diensten kaufen zu können; allein nach kurzer Zeit hatte er seine Hauptmannsstelle wieder aufgeben müssen und dabei einen Theil seiner Ersparnisse eingebüßt. Heim¬ gekehrt unterzeichnete er im März 1744 mit etlichen zwanzig unzufriedenen Stadt¬ bürgern eine Bittschrift, worin die Negienuig in bescheidenem Tone angegangen war, weniger schroff auf der Scheidung in regierende und regierte Stadtbürger zu beharren, auch der letzteren Classe das Recht der Stellvertretung im Rathe einzuräumen. Das damalige berncr Ncgicrungosystem ließ nicht mit sich markten. Sechs von den Urhebern der Bittschrift wurden mit Verbannung aus der gesammten Eidgenossenschaft, Hcnzl mit fünfjähriger aus dem Canton bestraft. Er ging nach Neuenburg und ergab sich hier der französischen Lite¬ ratur, die er nach dem damaligen Geschmack der gebildeten. Stände aufs höchste schätzte. Der deutsche Schweizer verwandelte sich in einen französischen Autor, rasch nach einander schrieb er hier Couplets, Oden, Epigramme, den Misodem und die Messagene du Pinde, wahrscheinlich zugleich auch seine Tragödie Grisler. Als ihm ein Strafjahr in Gnaden erlassen war, kehrte er heim und bewarb sich um ein Biblivthekarsamt, mußte aber diese Stelle einem jungen Patriciers- svhne überlassen. Er war rathlos, seine Vermögensverhältmssc hatten sich während des Exils abermals verschlechtert; in seiner mißlichen Lage immer mehr sich verbitternd, sann er jetzt auf eine Staatsumänderung. Er entwarf dazu einen ausführlichen Plan, eine Denkschrift, die in der oben erwähnten Zeitschrift Balthasars abgedruckt ist. Hier beklagt er sich namentlich über das damals zu Bern herrschende Familienregiment, in dessen Händen auch das ganze hollän¬ dische Capitulativnsgeschäft als Monopol lag. Bluttram hieß dasselbe beim Volke. Henzi sagt darüber: „keine Obersten, keine Hauptleute, als nur die, so von den Usurpatoren ein Patent haben, dürfen ein Landeskind auf die Schlacht¬ bank führen; ein Bürger darf nicht einmal für seine Person, ohne special^ erlaubniß der Bernischen Nelrutenlammer, sich in einen uut'apilulirten Solddienst

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/231>, abgerufen am 28.09.2024.