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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band.

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gegen Jedermann, auch gegen den Thronerben. Dieser wurde in einer Ab¬
hängigkeit gehalten, die mit den zunehmenden Jahren unnatürlich wurde. Mit
einer Art von Eifersucht wachte der Bater darüber, daß der Sohn nicht an
etwas rühre, was ihm zukam. Er selbst hatte in seiner Jugend es bitter
empfinden müssen, von einem harten despotischen Bater mit Ungunst und offen¬
barer Zurücksetzung behandelt zu werden. Freilich hatte nun König Wilhelm
nicht die gewaltthätige Art seines Borgängers. Gleichwohl verfiel er seinem
Sohne gegenüber mehr und mehr in denselben Fehler, unter dem er einst selbst
hatte leiden müssen. Es war dem Kronprinzen nicht vergönnt, irgendwie in
die Oeffentlichkeit herauszutreten, im Boraus die Bande zu knüpfen, auf deren
Festigkeit denn doch zumeist die Sicherheit der Throne ruht, oder gar an den
Swapgeschäften einen Antheil zu nehmen. Letzteres hätte zumal in den nächst-
verflvssenen Jahren nahe gelegen, als König Wilhelm die Schwächen des Alters
empfand und mehrmals einen längeren Aufenthalt außer Landes nehmen mußte.
Aber gerade dann sorgte er ängstlich dafür, daß dem Thronerben so wenig Ein¬
fluß als möglich auf die Staatsgeschäfte eingeräumt wurde. So lebte dieser
in einer Zurückgezogenheit, die mit den Jahren peinlich werden mußte. Zu
seiner natürlichen Scheu gesellte sich die begründete Sorge, nicht in irgendeiner
Weise hervorzutreten, die vom Vater mißdeutet werden konnte. Er blieb seinem
Lande fremd, und nirgends sah man dem Thronwechsel, auf den man seit
längerer Zeit gefaßt sein mußte, mit besonderen Erwartungen entgegen.

Man darf sagen, daß die wenigen Wochen der neuen Negierung hin¬
gereicht haben, um die ungünstigen Vorurtheile, die dem neuen König entgegen¬
standen, zum großen Theil zu beseitigen. Seine Persönlichkeit hat, wo er bis
jetzt Gelegenheit hatte sich zeigen, einen guten Eindruck gemacht. Man findet
sein Auftreten natürlich, taktvoll, selbständig. Eine aufrichtige Natur, wohl¬
wollend, von guten Absichten beseelt, männlich, wenn auch nicht eben imponirend,
dies ist der allgemeine Eindruck. Dabei findet man, daß er in den langen
Jahren seiner kronprinzlichen Muße seine Kenntnisse tüchtig erweitert und vo"
den Zuständen des Landes ein eingehendes Verständniß erworben hat, wie man
es kaum erwartet hatte. Was freilich bis jetzt noch nicht hervorgetreten ist oder
sich bewährt hat, ist seine politische Gesinnung.

So lange er Kronprinz war, herrschte die Meinung, seine Gemahlin, be¬
kanntlich eine Tochter des Kaiser Nikolaus, übe bestimmenden Einfluß auf ihn
aus, und mit seinem Regierungsantritt werde russischer Einfluß ans Nuder
kommen. Allein es war dies mehr eine Sage, die in Aller Munde war, aber
sich aus keine positiven Thatsachen stützen konnte, und bis jetzt auch durch nichts
bestätigt worden ist. Einen Schluß auf die politische Nichtung des Königs
kann man bis jetzt nur aus seinen politischen Rathgebern ziehen, und dieser
Schluß lautet allerdings nicht sehr günstig. Schon dem Kronprinzen stand


gegen Jedermann, auch gegen den Thronerben. Dieser wurde in einer Ab¬
hängigkeit gehalten, die mit den zunehmenden Jahren unnatürlich wurde. Mit
einer Art von Eifersucht wachte der Bater darüber, daß der Sohn nicht an
etwas rühre, was ihm zukam. Er selbst hatte in seiner Jugend es bitter
empfinden müssen, von einem harten despotischen Bater mit Ungunst und offen¬
barer Zurücksetzung behandelt zu werden. Freilich hatte nun König Wilhelm
nicht die gewaltthätige Art seines Borgängers. Gleichwohl verfiel er seinem
Sohne gegenüber mehr und mehr in denselben Fehler, unter dem er einst selbst
hatte leiden müssen. Es war dem Kronprinzen nicht vergönnt, irgendwie in
die Oeffentlichkeit herauszutreten, im Boraus die Bande zu knüpfen, auf deren
Festigkeit denn doch zumeist die Sicherheit der Throne ruht, oder gar an den
Swapgeschäften einen Antheil zu nehmen. Letzteres hätte zumal in den nächst-
verflvssenen Jahren nahe gelegen, als König Wilhelm die Schwächen des Alters
empfand und mehrmals einen längeren Aufenthalt außer Landes nehmen mußte.
Aber gerade dann sorgte er ängstlich dafür, daß dem Thronerben so wenig Ein¬
fluß als möglich auf die Staatsgeschäfte eingeräumt wurde. So lebte dieser
in einer Zurückgezogenheit, die mit den Jahren peinlich werden mußte. Zu
seiner natürlichen Scheu gesellte sich die begründete Sorge, nicht in irgendeiner
Weise hervorzutreten, die vom Vater mißdeutet werden konnte. Er blieb seinem
Lande fremd, und nirgends sah man dem Thronwechsel, auf den man seit
längerer Zeit gefaßt sein mußte, mit besonderen Erwartungen entgegen.

Man darf sagen, daß die wenigen Wochen der neuen Negierung hin¬
gereicht haben, um die ungünstigen Vorurtheile, die dem neuen König entgegen¬
standen, zum großen Theil zu beseitigen. Seine Persönlichkeit hat, wo er bis
jetzt Gelegenheit hatte sich zeigen, einen guten Eindruck gemacht. Man findet
sein Auftreten natürlich, taktvoll, selbständig. Eine aufrichtige Natur, wohl¬
wollend, von guten Absichten beseelt, männlich, wenn auch nicht eben imponirend,
dies ist der allgemeine Eindruck. Dabei findet man, daß er in den langen
Jahren seiner kronprinzlichen Muße seine Kenntnisse tüchtig erweitert und vo»
den Zuständen des Landes ein eingehendes Verständniß erworben hat, wie man
es kaum erwartet hatte. Was freilich bis jetzt noch nicht hervorgetreten ist oder
sich bewährt hat, ist seine politische Gesinnung.

So lange er Kronprinz war, herrschte die Meinung, seine Gemahlin, be¬
kanntlich eine Tochter des Kaiser Nikolaus, übe bestimmenden Einfluß auf ihn
aus, und mit seinem Regierungsantritt werde russischer Einfluß ans Nuder
kommen. Allein es war dies mehr eine Sage, die in Aller Munde war, aber
sich aus keine positiven Thatsachen stützen konnte, und bis jetzt auch durch nichts
bestätigt worden ist. Einen Schluß auf die politische Nichtung des Königs
kann man bis jetzt nur aus seinen politischen Rathgebern ziehen, und dieser
Schluß lautet allerdings nicht sehr günstig. Schon dem Kronprinzen stand


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/223>, abgerufen am 20.10.2024.