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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band.

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Der neue König von W

Seit fünf Wochen leben wir in einer neuen Aera -- in einer neuen Aera
mit den alten Personen. Bis jetzt ist dem Thronwechsel noch leine Veränderung
in den höchsten Stellen gefolgt; Furcht und Hoffnung haben noch den weitesten
Spielraum. König Karl regiert mit den Räthen des Königs Wilhelm, und
somit ist vor der Hand alles beim Alten.

Die Erwartungen des Volks waren übrigens in erster Linie gar nicht auf
politische Veränderungen gegangen. Das lebhafteste Interesse galt vielmehr der
Persönlichkeit des neuen Monarchen. Es klingt sonderbar, aber der Kronprinz,
der seine 41 Jahre meist in der Hauptstadt zugebracht hatte, war doch beinahe
völlig unbekannt geblieben. Niemand wußte Zuverlässiges über seine Befähigung,
über seine Neigungen, über die Erwartungen, zu denen er berechtigte, an¬
zugeben. Von denjenigen, die in einige Berührung mit ihm gekommen Ware",
hörte man widersprechende Urtheile. So viel ist gewiß, daß der Kronprinz
nirgends weder einen bedeutenden, noch einen besonders gewinnenden Eindruck
gemacht hatte. Man glaubte Mangel an Sicherheit, an Geistesgegenwart an
ihm zu bemerken, er schien schüchtern und eher ein Freund der Zurückgezogen-
heit als öffentlichen Auftretens. Noch in Kissingen, wo er zur Zeit des Todes
seines Vaters eben verweilte, contrastirte das fast scheue Wesen des Kronprinzen
von Würtenrberg lebhaft mit dem jugendlich unbefangenen, ungezwungenen Be¬
nehmen des jungen Königs von Bayern. Dies war nun freilich zum Theil Fami-
lieneigenschast oder Tradition des würtembergischen Hauses. Eigentliche Populari¬
tät war an unsrem Hofe nie zu Hause. Der verstorbene König besaß zwar Welt-
klugheit und Welterfahrenheit genug, um überall seine Stelle auszufüllen, er
hatte etwas Schlichtes, Bürgerliches, das ihn, wo er wollte, mit jedermann
leicht verkehren ließ. Allein jenen herzlichen Ton zwischen Fürst und Volk, wie
er den Fremden z. B. in München so angenehm berührte, suchte man doch
hier vergebens. Die Etikette wurde hier strenger gehandhabt als an manchem
größeren Hof, so daß dies selbst den russischen Verwandten aufzufallen pflegte.
Und eher mochte es auswärts. Fremden geaenüber, vorkommen, daß König
Wilhelm auf Augenblicke die fürstliche Stellung vergaß, als gegenüber den
eigenen Unterthanen. Diese waren also nicht eben verwvhwt, wemr es dem
Kronprinzen an der Gabe der Popularität gebrach. Allein es kam noch ein
Anderes hinzu, was jene Richtung, wenn sie dem Kronprinzen angeboren war,
noch steigern mußte. König Wilhelm wahrte streng seine königliche Prärogative


Der neue König von W

Seit fünf Wochen leben wir in einer neuen Aera — in einer neuen Aera
mit den alten Personen. Bis jetzt ist dem Thronwechsel noch leine Veränderung
in den höchsten Stellen gefolgt; Furcht und Hoffnung haben noch den weitesten
Spielraum. König Karl regiert mit den Räthen des Königs Wilhelm, und
somit ist vor der Hand alles beim Alten.

Die Erwartungen des Volks waren übrigens in erster Linie gar nicht auf
politische Veränderungen gegangen. Das lebhafteste Interesse galt vielmehr der
Persönlichkeit des neuen Monarchen. Es klingt sonderbar, aber der Kronprinz,
der seine 41 Jahre meist in der Hauptstadt zugebracht hatte, war doch beinahe
völlig unbekannt geblieben. Niemand wußte Zuverlässiges über seine Befähigung,
über seine Neigungen, über die Erwartungen, zu denen er berechtigte, an¬
zugeben. Von denjenigen, die in einige Berührung mit ihm gekommen Ware»,
hörte man widersprechende Urtheile. So viel ist gewiß, daß der Kronprinz
nirgends weder einen bedeutenden, noch einen besonders gewinnenden Eindruck
gemacht hatte. Man glaubte Mangel an Sicherheit, an Geistesgegenwart an
ihm zu bemerken, er schien schüchtern und eher ein Freund der Zurückgezogen-
heit als öffentlichen Auftretens. Noch in Kissingen, wo er zur Zeit des Todes
seines Vaters eben verweilte, contrastirte das fast scheue Wesen des Kronprinzen
von Würtenrberg lebhaft mit dem jugendlich unbefangenen, ungezwungenen Be¬
nehmen des jungen Königs von Bayern. Dies war nun freilich zum Theil Fami-
lieneigenschast oder Tradition des würtembergischen Hauses. Eigentliche Populari¬
tät war an unsrem Hofe nie zu Hause. Der verstorbene König besaß zwar Welt-
klugheit und Welterfahrenheit genug, um überall seine Stelle auszufüllen, er
hatte etwas Schlichtes, Bürgerliches, das ihn, wo er wollte, mit jedermann
leicht verkehren ließ. Allein jenen herzlichen Ton zwischen Fürst und Volk, wie
er den Fremden z. B. in München so angenehm berührte, suchte man doch
hier vergebens. Die Etikette wurde hier strenger gehandhabt als an manchem
größeren Hof, so daß dies selbst den russischen Verwandten aufzufallen pflegte.
Und eher mochte es auswärts. Fremden geaenüber, vorkommen, daß König
Wilhelm auf Augenblicke die fürstliche Stellung vergaß, als gegenüber den
eigenen Unterthanen. Diese waren also nicht eben verwvhwt, wemr es dem
Kronprinzen an der Gabe der Popularität gebrach. Allein es kam noch ein
Anderes hinzu, was jene Richtung, wenn sie dem Kronprinzen angeboren war,
noch steigern mußte. König Wilhelm wahrte streng seine königliche Prärogative


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[0222] Der neue König von W Seit fünf Wochen leben wir in einer neuen Aera — in einer neuen Aera mit den alten Personen. Bis jetzt ist dem Thronwechsel noch leine Veränderung in den höchsten Stellen gefolgt; Furcht und Hoffnung haben noch den weitesten Spielraum. König Karl regiert mit den Räthen des Königs Wilhelm, und somit ist vor der Hand alles beim Alten. Die Erwartungen des Volks waren übrigens in erster Linie gar nicht auf politische Veränderungen gegangen. Das lebhafteste Interesse galt vielmehr der Persönlichkeit des neuen Monarchen. Es klingt sonderbar, aber der Kronprinz, der seine 41 Jahre meist in der Hauptstadt zugebracht hatte, war doch beinahe völlig unbekannt geblieben. Niemand wußte Zuverlässiges über seine Befähigung, über seine Neigungen, über die Erwartungen, zu denen er berechtigte, an¬ zugeben. Von denjenigen, die in einige Berührung mit ihm gekommen Ware», hörte man widersprechende Urtheile. So viel ist gewiß, daß der Kronprinz nirgends weder einen bedeutenden, noch einen besonders gewinnenden Eindruck gemacht hatte. Man glaubte Mangel an Sicherheit, an Geistesgegenwart an ihm zu bemerken, er schien schüchtern und eher ein Freund der Zurückgezogen- heit als öffentlichen Auftretens. Noch in Kissingen, wo er zur Zeit des Todes seines Vaters eben verweilte, contrastirte das fast scheue Wesen des Kronprinzen von Würtenrberg lebhaft mit dem jugendlich unbefangenen, ungezwungenen Be¬ nehmen des jungen Königs von Bayern. Dies war nun freilich zum Theil Fami- lieneigenschast oder Tradition des würtembergischen Hauses. Eigentliche Populari¬ tät war an unsrem Hofe nie zu Hause. Der verstorbene König besaß zwar Welt- klugheit und Welterfahrenheit genug, um überall seine Stelle auszufüllen, er hatte etwas Schlichtes, Bürgerliches, das ihn, wo er wollte, mit jedermann leicht verkehren ließ. Allein jenen herzlichen Ton zwischen Fürst und Volk, wie er den Fremden z. B. in München so angenehm berührte, suchte man doch hier vergebens. Die Etikette wurde hier strenger gehandhabt als an manchem größeren Hof, so daß dies selbst den russischen Verwandten aufzufallen pflegte. Und eher mochte es auswärts. Fremden geaenüber, vorkommen, daß König Wilhelm auf Augenblicke die fürstliche Stellung vergaß, als gegenüber den eigenen Unterthanen. Diese waren also nicht eben verwvhwt, wemr es dem Kronprinzen an der Gabe der Popularität gebrach. Allein es kam noch ein Anderes hinzu, was jene Richtung, wenn sie dem Kronprinzen angeboren war, noch steigern mußte. König Wilhelm wahrte streng seine königliche Prärogative

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/222>, abgerufen am 28.09.2024.