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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band.

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Kirche war die schönste und größte nördlich vom Lymfjord, und das Städtchen
scheint wohlhabend gewesen zu sein, wenigstens erzählt die Chronik, daß die
Norweger, deren Land nur achtzehn Meilen von hier entfernt ist, es einmal
der Mühe werth hielten, Skagen auszuplündern. Aber die Nordsee und der
Westwind litten die Anwesenheit von Menschen hier nicht, mindestens nicht an
der Stelle, wo die ersten Ansiedler sich niedergelassen. Die Fluthen rissen
Strecken von dem Gestade ab, wo die ersten Häuser standen, die Stürme weh¬
ten um andere Häuser Hügel von Flugsand und schonten in unchristlicher Wuth
selbst die Kirche nicht. Die Häuser ließen sich versetzen, die Kirche mußte man
stehen lassen, und so hat der Wind sie allmählig bis an den Dachstuhl im
Sande begraben. Nur der Thurm ragt noch über die Düne empor, die sich
um sie gelagert hat, und dient als Landmarke. Um die Stadt lagen Felder,
Gebüsch und Moor; alles wurde von dem Flugsand zugedeckt. Eine Strecke
von der Kirche befand sich ein großer Teich, der Hofsee, mit Hechten und Kar¬
pfen, an hundert Klaftern breit und fünf Klaftern tief; der Wind füllte ihn
aus, vor fünfzig Jahren waren noch ein paar Lachen von ihm übrig, in denen
man die letzten Fische sing, jetzt erinnert nur noch das Schilf, das hier seine
Halme aus dem Sande emportreibt, daran, daß Skagen einst auch einen
See hatte.

Die große Mehrzahl der Bewohner Altskagens wanderten mit ihren Häu¬
sern von der Nordseeküste nach dem sicherern Gestade der Ostsee. Man mußte
indeß auch hier dahin bauen, wo der Wind und der Sand es gestattete, und
so entstand ein recht wunderliches Oertchen, ohne Gasse, ohne Markt, regellos
wie vom Zufall hingeworfen, aber sehr charakteristisch für die Natur dieser
Gegend.

Gegenwärtig besteht die Stadt, die ungefähr tausend Einwohner haben
mag und sich vorzüglich vom Fisch- und Austernfang nährt, aus drei Theilen:
Westerby, Osterby und Allskagen. Lenken wir von dem Strandwege, der uns
herbrachte, in die erste Lücke in den Sanddünen hinein, so sehen wir zunächst
nichts als einige schwarzgetheerte Holzhütten mit Strohdächern, eine wohl hun¬
dert Schritt von der andern entfernt, die eine den Giebel, die andere eine der
Langseiten dem, was man anderwärts Straße nennen würde, zugekehrt. Wei¬
terhin giebt es ein paar Ziegeldächer. Hier und dort befindet sich zwischen
den Häusern ein Kornfeld, oder ein Gemüsegärtchen. Ein kräftiger Duft von
Theer und getrockneten Seefischen trifft unsre Riechorgane. An einigen Stellen
hat man Torfstücke aufgeschichtet, an andern hängen ganze Reihen von aufge¬
schnittenen Flundern an Schnüren in der Sonne, um für die Aufbewahrung
gedörrt zu werden. Die Schuppen neben den Wohngebäuden haben bisweilen
ein umgestülptes Boot zum Dache, die Schweineställe sind aus Wrackstücken
zusammengesetzt, überall liegen gestrandete Balken und Planken umher. Ein


Kirche war die schönste und größte nördlich vom Lymfjord, und das Städtchen
scheint wohlhabend gewesen zu sein, wenigstens erzählt die Chronik, daß die
Norweger, deren Land nur achtzehn Meilen von hier entfernt ist, es einmal
der Mühe werth hielten, Skagen auszuplündern. Aber die Nordsee und der
Westwind litten die Anwesenheit von Menschen hier nicht, mindestens nicht an
der Stelle, wo die ersten Ansiedler sich niedergelassen. Die Fluthen rissen
Strecken von dem Gestade ab, wo die ersten Häuser standen, die Stürme weh¬
ten um andere Häuser Hügel von Flugsand und schonten in unchristlicher Wuth
selbst die Kirche nicht. Die Häuser ließen sich versetzen, die Kirche mußte man
stehen lassen, und so hat der Wind sie allmählig bis an den Dachstuhl im
Sande begraben. Nur der Thurm ragt noch über die Düne empor, die sich
um sie gelagert hat, und dient als Landmarke. Um die Stadt lagen Felder,
Gebüsch und Moor; alles wurde von dem Flugsand zugedeckt. Eine Strecke
von der Kirche befand sich ein großer Teich, der Hofsee, mit Hechten und Kar¬
pfen, an hundert Klaftern breit und fünf Klaftern tief; der Wind füllte ihn
aus, vor fünfzig Jahren waren noch ein paar Lachen von ihm übrig, in denen
man die letzten Fische sing, jetzt erinnert nur noch das Schilf, das hier seine
Halme aus dem Sande emportreibt, daran, daß Skagen einst auch einen
See hatte.

Die große Mehrzahl der Bewohner Altskagens wanderten mit ihren Häu¬
sern von der Nordseeküste nach dem sicherern Gestade der Ostsee. Man mußte
indeß auch hier dahin bauen, wo der Wind und der Sand es gestattete, und
so entstand ein recht wunderliches Oertchen, ohne Gasse, ohne Markt, regellos
wie vom Zufall hingeworfen, aber sehr charakteristisch für die Natur dieser
Gegend.

Gegenwärtig besteht die Stadt, die ungefähr tausend Einwohner haben
mag und sich vorzüglich vom Fisch- und Austernfang nährt, aus drei Theilen:
Westerby, Osterby und Allskagen. Lenken wir von dem Strandwege, der uns
herbrachte, in die erste Lücke in den Sanddünen hinein, so sehen wir zunächst
nichts als einige schwarzgetheerte Holzhütten mit Strohdächern, eine wohl hun¬
dert Schritt von der andern entfernt, die eine den Giebel, die andere eine der
Langseiten dem, was man anderwärts Straße nennen würde, zugekehrt. Wei¬
terhin giebt es ein paar Ziegeldächer. Hier und dort befindet sich zwischen
den Häusern ein Kornfeld, oder ein Gemüsegärtchen. Ein kräftiger Duft von
Theer und getrockneten Seefischen trifft unsre Riechorgane. An einigen Stellen
hat man Torfstücke aufgeschichtet, an andern hängen ganze Reihen von aufge¬
schnittenen Flundern an Schnüren in der Sonne, um für die Aufbewahrung
gedörrt zu werden. Die Schuppen neben den Wohngebäuden haben bisweilen
ein umgestülptes Boot zum Dache, die Schweineställe sind aus Wrackstücken
zusammengesetzt, überall liegen gestrandete Balken und Planken umher. Ein


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[0184] Kirche war die schönste und größte nördlich vom Lymfjord, und das Städtchen scheint wohlhabend gewesen zu sein, wenigstens erzählt die Chronik, daß die Norweger, deren Land nur achtzehn Meilen von hier entfernt ist, es einmal der Mühe werth hielten, Skagen auszuplündern. Aber die Nordsee und der Westwind litten die Anwesenheit von Menschen hier nicht, mindestens nicht an der Stelle, wo die ersten Ansiedler sich niedergelassen. Die Fluthen rissen Strecken von dem Gestade ab, wo die ersten Häuser standen, die Stürme weh¬ ten um andere Häuser Hügel von Flugsand und schonten in unchristlicher Wuth selbst die Kirche nicht. Die Häuser ließen sich versetzen, die Kirche mußte man stehen lassen, und so hat der Wind sie allmählig bis an den Dachstuhl im Sande begraben. Nur der Thurm ragt noch über die Düne empor, die sich um sie gelagert hat, und dient als Landmarke. Um die Stadt lagen Felder, Gebüsch und Moor; alles wurde von dem Flugsand zugedeckt. Eine Strecke von der Kirche befand sich ein großer Teich, der Hofsee, mit Hechten und Kar¬ pfen, an hundert Klaftern breit und fünf Klaftern tief; der Wind füllte ihn aus, vor fünfzig Jahren waren noch ein paar Lachen von ihm übrig, in denen man die letzten Fische sing, jetzt erinnert nur noch das Schilf, das hier seine Halme aus dem Sande emportreibt, daran, daß Skagen einst auch einen See hatte. Die große Mehrzahl der Bewohner Altskagens wanderten mit ihren Häu¬ sern von der Nordseeküste nach dem sicherern Gestade der Ostsee. Man mußte indeß auch hier dahin bauen, wo der Wind und der Sand es gestattete, und so entstand ein recht wunderliches Oertchen, ohne Gasse, ohne Markt, regellos wie vom Zufall hingeworfen, aber sehr charakteristisch für die Natur dieser Gegend. Gegenwärtig besteht die Stadt, die ungefähr tausend Einwohner haben mag und sich vorzüglich vom Fisch- und Austernfang nährt, aus drei Theilen: Westerby, Osterby und Allskagen. Lenken wir von dem Strandwege, der uns herbrachte, in die erste Lücke in den Sanddünen hinein, so sehen wir zunächst nichts als einige schwarzgetheerte Holzhütten mit Strohdächern, eine wohl hun¬ dert Schritt von der andern entfernt, die eine den Giebel, die andere eine der Langseiten dem, was man anderwärts Straße nennen würde, zugekehrt. Wei¬ terhin giebt es ein paar Ziegeldächer. Hier und dort befindet sich zwischen den Häusern ein Kornfeld, oder ein Gemüsegärtchen. Ein kräftiger Duft von Theer und getrockneten Seefischen trifft unsre Riechorgane. An einigen Stellen hat man Torfstücke aufgeschichtet, an andern hängen ganze Reihen von aufge¬ schnittenen Flundern an Schnüren in der Sonne, um für die Aufbewahrung gedörrt zu werden. Die Schuppen neben den Wohngebäuden haben bisweilen ein umgestülptes Boot zum Dache, die Schweineställe sind aus Wrackstücken zusammengesetzt, überall liegen gestrandete Balken und Planken umher. Ein

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/184>, abgerufen am 28.09.2024.