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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band.

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der Kaiser nie eingehen, ein solcher Schritt würde ihm Thron und Leben
kosten.

Im spanischen Lager bedauerte man die Marokkaner und mißbilligte die
Forderungen des madrider Hoses, die den Frieden, den der Soldat vom unter¬
sten Tambour bis zum obersten Befehlshaber wünschte, unmöglich machten. Es
zeigte sich darin ein merkwürdiger Zwiespalt in den Ansichten der Bevölkerung
des Mutterlandes und der Armee. In Spanien, wie die preußischen Offiziere
während ihrer Durchreise vielfach Gelegenheit hatten, in Erfahrung zubringen,
war man vielfach entschieden für den Krieg, für den sich die Masse um so
leichter begeisterte, als sie die nachtheiligen politischen und socialen Folgen lang¬
fortgesetzter Kriege nicht zu ermessen versteht; und der militärische Ruhm war
für die Spanier, die ihn se> lange hatten entbehren müssen, ein doppelt ver¬
führerischer Genuß. Andere, an ihrer Spitze die Königin, trieb Glaubenseifer
zu dem Kriege, welchen sie als einen Kreuzzug gegen die Ungläubigen auffaßten.
Die Armee dagegen war der Meinung, daß man den Krieg nur führe, um die
der spanischen Flagge von den Marokkanern angethane Schmach zu rächen.
Und dieses sei erreicht, auch wenn man ohne Erwerbung von Tetuan Frieden
schließe. Eine Fortsetzung des Krieges dagegen könne keinerlei Gewinn, wohl
aber mancherlei Nachtheil bringen.

Diese Anschauung unterstützten die höher stehenden Offiziere mit folgenden
Gründen: Spanien sei nach langer Erniedrigung wieder im Aufschwung be¬
griffen. Der Krieg selbst sei ein Beweis dafür; denn vor wenigen Jahren
noch wäre es dem Lande unmöglich gewesen, ihn so kräftig und glorreich durch¬
zuführen. Aber immer sei dies nur ein Anfang der Besserung, und eine zu
starke Anspannung könne die kaum erst wieder gesammelten Kräfte des Landes
von Neuem zerrütten. Friede sei Spanien durchaus nothwendig; denn nur im
Frieden könne es seine so lange vernachlässigten Hilfsmittel gehörig entwickeln.
Dagegen lege die Erwerbung Tetuans, möge sie nun gleich jetzt im Frieden
geschehen oder erst später nach länger fortgesetztem Kriege, dem Lande unabseh¬
bare Opfer auf. Im Falle des Kriegs müßte mit Aufwendung vieler Millionen
die Armee bedeutend verstärkt und der Feldzug mit zweifelhaftem Erfolge im
Innern des Landes fortgeführt werden, wo sich die Verhältnisse für die Marok¬
kaner mit jedem Schritt weiter viel günstiger, für die Spanier dagegen viel
ungünstiger gestalten würden. Bei einem Friedensschluß mit Erwerbung Tetuans
würde Spanien einen bloßen militärischen Posten gewinnen, ohne jede.andere
Bedeutung; denn Tetuan würde im spanischen Besitz aufhören ein blühender
Handelsplatz zu sein, da die Marokkaner alle Verbindungen mit der Stadt ab¬
brechen würden. So sänke sie zu einem bloßen Waffenplatz herab, dessen Be¬
sitz nur fortwährende Reibungen mit den Marokkanern und schließlich Anlaß
zu neuen kostspieligen Kriegen geben würde.


der Kaiser nie eingehen, ein solcher Schritt würde ihm Thron und Leben
kosten.

Im spanischen Lager bedauerte man die Marokkaner und mißbilligte die
Forderungen des madrider Hoses, die den Frieden, den der Soldat vom unter¬
sten Tambour bis zum obersten Befehlshaber wünschte, unmöglich machten. Es
zeigte sich darin ein merkwürdiger Zwiespalt in den Ansichten der Bevölkerung
des Mutterlandes und der Armee. In Spanien, wie die preußischen Offiziere
während ihrer Durchreise vielfach Gelegenheit hatten, in Erfahrung zubringen,
war man vielfach entschieden für den Krieg, für den sich die Masse um so
leichter begeisterte, als sie die nachtheiligen politischen und socialen Folgen lang¬
fortgesetzter Kriege nicht zu ermessen versteht; und der militärische Ruhm war
für die Spanier, die ihn se> lange hatten entbehren müssen, ein doppelt ver¬
führerischer Genuß. Andere, an ihrer Spitze die Königin, trieb Glaubenseifer
zu dem Kriege, welchen sie als einen Kreuzzug gegen die Ungläubigen auffaßten.
Die Armee dagegen war der Meinung, daß man den Krieg nur führe, um die
der spanischen Flagge von den Marokkanern angethane Schmach zu rächen.
Und dieses sei erreicht, auch wenn man ohne Erwerbung von Tetuan Frieden
schließe. Eine Fortsetzung des Krieges dagegen könne keinerlei Gewinn, wohl
aber mancherlei Nachtheil bringen.

Diese Anschauung unterstützten die höher stehenden Offiziere mit folgenden
Gründen: Spanien sei nach langer Erniedrigung wieder im Aufschwung be¬
griffen. Der Krieg selbst sei ein Beweis dafür; denn vor wenigen Jahren
noch wäre es dem Lande unmöglich gewesen, ihn so kräftig und glorreich durch¬
zuführen. Aber immer sei dies nur ein Anfang der Besserung, und eine zu
starke Anspannung könne die kaum erst wieder gesammelten Kräfte des Landes
von Neuem zerrütten. Friede sei Spanien durchaus nothwendig; denn nur im
Frieden könne es seine so lange vernachlässigten Hilfsmittel gehörig entwickeln.
Dagegen lege die Erwerbung Tetuans, möge sie nun gleich jetzt im Frieden
geschehen oder erst später nach länger fortgesetztem Kriege, dem Lande unabseh¬
bare Opfer auf. Im Falle des Kriegs müßte mit Aufwendung vieler Millionen
die Armee bedeutend verstärkt und der Feldzug mit zweifelhaftem Erfolge im
Innern des Landes fortgeführt werden, wo sich die Verhältnisse für die Marok¬
kaner mit jedem Schritt weiter viel günstiger, für die Spanier dagegen viel
ungünstiger gestalten würden. Bei einem Friedensschluß mit Erwerbung Tetuans
würde Spanien einen bloßen militärischen Posten gewinnen, ohne jede.andere
Bedeutung; denn Tetuan würde im spanischen Besitz aufhören ein blühender
Handelsplatz zu sein, da die Marokkaner alle Verbindungen mit der Stadt ab¬
brechen würden. So sänke sie zu einem bloßen Waffenplatz herab, dessen Be¬
sitz nur fortwährende Reibungen mit den Marokkanern und schließlich Anlaß
zu neuen kostspieligen Kriegen geben würde.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/118>, abgerufen am 28.09.2024.