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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band.

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Nur Kohlhase selbst mit einigen seiner Hauptgesellen war dem spähenden
Auge seiner Feinde verborgen geblieben -- wie Burkhardt wiederholt andeutet,
geschützt vom Kurfürsten selbst, der trotz seiner Versicherungen es in Bezug auf
ihn mit der Nachforschung nicht ernst meinte -- und lange noch vielleicht würde
er, der die Fehde gegen Sachsen jetzt aufgegeben hatte, sich auf branden¬
burgischen Territorium gehalten haben, wenn er nicht endlich einen Weg betreten
hätte, der ihn rasch und unausbleiblich ins Verderben führen mußte.

Noch hatte er. so erklärt sich Burkhardt seinen Seelenzustand kurz vor der
Katastrophe (beiläufig nicht mehr auf Grund von Aktenstücken), auf die Ver¬
mittelung Luthers vertraut. Als aber seine Hoffnungen auf einen Vergleich
sich nicht erfüllten, er nirgends mehr Aussicht auf Genugthuung hatte, verlor
er in der Aufregung völlig die Ruhe und Besonnenheit, die ihn lange Zeit
von falschen Wegen ferngehalten und periodisch auf die rechten zurückgeführt
hatte, und in diesem Augenblick gab er den verderblichen Rathschlägen eines
seiner Hauptverbündeten, des Georg Nagelschmidt Gehör, dessen düstre Ver¬
gangenheit uns deutlich zeigt, wie Kohlhase, einst ein ehrsamer und geachteter
Bürgersmann, jetzt in den untersten Schichten des Volkes, unter allerlei aben¬
teuerlichem und ruchlosen Gesindel sich seine Gesellschaft suchte. Nagelschmidt
hatte erst Kriegsdienste in Geldern und Dänemark gethan, dann in verschiedenen
zweideutigen Lagen und mit allerhand üblen Streichen sein Leben gefristet, zu¬
letzt hatte er unter dem Stalllnechtsvolk am brandenburger Hofe seine Nahrung
gefunden, ein elender, tief herabgekommener Gesell. Jetzt rieth er dem ver¬
zweifelnden Kohlhast, den eignen Landesherrn zu befehden, um denselben gegen
Sachsen zu gewinnen. Kurfürst Joachim, so haben wir uns den Plan zu
denken, sollte, indem er selbst Kohlhases Hand fühlte, sich der Geißel dadurch
entledigen, daß er für die Befriedigung des sie schwingenden sorgte, indem er
die Sachsen zwang, Kohlhase gerecht zu werden. Dem letzteren leuchtete das
ein. er war kopflos genug, nicht zu sehen, daß der Gedanke ein Loch hatte,
und daß sein Kurfürst ihn weit bequemer und rascher los wurde, wenn er ihn
einfing und als Verbrecher behandelte, und daß er mit dem ersten Schlag, den
er führte, sich alle Gemüther in der Mark, die bisher an sein Recht geglaubt,
völlig entfremden mußte.

Um ihren Plan ins Werk zu setzen, lauerten die Beiden dem kurfürstlich
brandenburgischen Factor Konrad Dratzieher auf. der mit Silberkuchen aus
den mansfeldischen Bergwerken nach Berlin zurückzukehren im Begriff stand.
Etwa eine halbe Meile südlich von Stolpe führten sie den Ueberfall aus und
versenkten das geraubte Staatsgut unter eine nahe gelegene hölzerne Brücke,
die seitdem den Namen Kohlhasenbrücke führte, bis sie vor einigen Jahren
durch eine steinerne ersetzt wurde, über die jetzt die Eisenbahn nach Potsdam geht.

Das Erstaunen und die Entrüstung, welche diese That in der Mark hervor-


Nur Kohlhase selbst mit einigen seiner Hauptgesellen war dem spähenden
Auge seiner Feinde verborgen geblieben — wie Burkhardt wiederholt andeutet,
geschützt vom Kurfürsten selbst, der trotz seiner Versicherungen es in Bezug auf
ihn mit der Nachforschung nicht ernst meinte — und lange noch vielleicht würde
er, der die Fehde gegen Sachsen jetzt aufgegeben hatte, sich auf branden¬
burgischen Territorium gehalten haben, wenn er nicht endlich einen Weg betreten
hätte, der ihn rasch und unausbleiblich ins Verderben führen mußte.

Noch hatte er. so erklärt sich Burkhardt seinen Seelenzustand kurz vor der
Katastrophe (beiläufig nicht mehr auf Grund von Aktenstücken), auf die Ver¬
mittelung Luthers vertraut. Als aber seine Hoffnungen auf einen Vergleich
sich nicht erfüllten, er nirgends mehr Aussicht auf Genugthuung hatte, verlor
er in der Aufregung völlig die Ruhe und Besonnenheit, die ihn lange Zeit
von falschen Wegen ferngehalten und periodisch auf die rechten zurückgeführt
hatte, und in diesem Augenblick gab er den verderblichen Rathschlägen eines
seiner Hauptverbündeten, des Georg Nagelschmidt Gehör, dessen düstre Ver¬
gangenheit uns deutlich zeigt, wie Kohlhase, einst ein ehrsamer und geachteter
Bürgersmann, jetzt in den untersten Schichten des Volkes, unter allerlei aben¬
teuerlichem und ruchlosen Gesindel sich seine Gesellschaft suchte. Nagelschmidt
hatte erst Kriegsdienste in Geldern und Dänemark gethan, dann in verschiedenen
zweideutigen Lagen und mit allerhand üblen Streichen sein Leben gefristet, zu¬
letzt hatte er unter dem Stalllnechtsvolk am brandenburger Hofe seine Nahrung
gefunden, ein elender, tief herabgekommener Gesell. Jetzt rieth er dem ver¬
zweifelnden Kohlhast, den eignen Landesherrn zu befehden, um denselben gegen
Sachsen zu gewinnen. Kurfürst Joachim, so haben wir uns den Plan zu
denken, sollte, indem er selbst Kohlhases Hand fühlte, sich der Geißel dadurch
entledigen, daß er für die Befriedigung des sie schwingenden sorgte, indem er
die Sachsen zwang, Kohlhase gerecht zu werden. Dem letzteren leuchtete das
ein. er war kopflos genug, nicht zu sehen, daß der Gedanke ein Loch hatte,
und daß sein Kurfürst ihn weit bequemer und rascher los wurde, wenn er ihn
einfing und als Verbrecher behandelte, und daß er mit dem ersten Schlag, den
er führte, sich alle Gemüther in der Mark, die bisher an sein Recht geglaubt,
völlig entfremden mußte.

Um ihren Plan ins Werk zu setzen, lauerten die Beiden dem kurfürstlich
brandenburgischen Factor Konrad Dratzieher auf. der mit Silberkuchen aus
den mansfeldischen Bergwerken nach Berlin zurückzukehren im Begriff stand.
Etwa eine halbe Meile südlich von Stolpe führten sie den Ueberfall aus und
versenkten das geraubte Staatsgut unter eine nahe gelegene hölzerne Brücke,
die seitdem den Namen Kohlhasenbrücke führte, bis sie vor einigen Jahren
durch eine steinerne ersetzt wurde, über die jetzt die Eisenbahn nach Potsdam geht.

Das Erstaunen und die Entrüstung, welche diese That in der Mark hervor-


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[0101] Nur Kohlhase selbst mit einigen seiner Hauptgesellen war dem spähenden Auge seiner Feinde verborgen geblieben — wie Burkhardt wiederholt andeutet, geschützt vom Kurfürsten selbst, der trotz seiner Versicherungen es in Bezug auf ihn mit der Nachforschung nicht ernst meinte — und lange noch vielleicht würde er, der die Fehde gegen Sachsen jetzt aufgegeben hatte, sich auf branden¬ burgischen Territorium gehalten haben, wenn er nicht endlich einen Weg betreten hätte, der ihn rasch und unausbleiblich ins Verderben führen mußte. Noch hatte er. so erklärt sich Burkhardt seinen Seelenzustand kurz vor der Katastrophe (beiläufig nicht mehr auf Grund von Aktenstücken), auf die Ver¬ mittelung Luthers vertraut. Als aber seine Hoffnungen auf einen Vergleich sich nicht erfüllten, er nirgends mehr Aussicht auf Genugthuung hatte, verlor er in der Aufregung völlig die Ruhe und Besonnenheit, die ihn lange Zeit von falschen Wegen ferngehalten und periodisch auf die rechten zurückgeführt hatte, und in diesem Augenblick gab er den verderblichen Rathschlägen eines seiner Hauptverbündeten, des Georg Nagelschmidt Gehör, dessen düstre Ver¬ gangenheit uns deutlich zeigt, wie Kohlhase, einst ein ehrsamer und geachteter Bürgersmann, jetzt in den untersten Schichten des Volkes, unter allerlei aben¬ teuerlichem und ruchlosen Gesindel sich seine Gesellschaft suchte. Nagelschmidt hatte erst Kriegsdienste in Geldern und Dänemark gethan, dann in verschiedenen zweideutigen Lagen und mit allerhand üblen Streichen sein Leben gefristet, zu¬ letzt hatte er unter dem Stalllnechtsvolk am brandenburger Hofe seine Nahrung gefunden, ein elender, tief herabgekommener Gesell. Jetzt rieth er dem ver¬ zweifelnden Kohlhast, den eignen Landesherrn zu befehden, um denselben gegen Sachsen zu gewinnen. Kurfürst Joachim, so haben wir uns den Plan zu denken, sollte, indem er selbst Kohlhases Hand fühlte, sich der Geißel dadurch entledigen, daß er für die Befriedigung des sie schwingenden sorgte, indem er die Sachsen zwang, Kohlhase gerecht zu werden. Dem letzteren leuchtete das ein. er war kopflos genug, nicht zu sehen, daß der Gedanke ein Loch hatte, und daß sein Kurfürst ihn weit bequemer und rascher los wurde, wenn er ihn einfing und als Verbrecher behandelte, und daß er mit dem ersten Schlag, den er führte, sich alle Gemüther in der Mark, die bisher an sein Recht geglaubt, völlig entfremden mußte. Um ihren Plan ins Werk zu setzen, lauerten die Beiden dem kurfürstlich brandenburgischen Factor Konrad Dratzieher auf. der mit Silberkuchen aus den mansfeldischen Bergwerken nach Berlin zurückzukehren im Begriff stand. Etwa eine halbe Meile südlich von Stolpe führten sie den Ueberfall aus und versenkten das geraubte Staatsgut unter eine nahe gelegene hölzerne Brücke, die seitdem den Namen Kohlhasenbrücke führte, bis sie vor einigen Jahren durch eine steinerne ersetzt wurde, über die jetzt die Eisenbahn nach Potsdam geht. Das Erstaunen und die Entrüstung, welche diese That in der Mark hervor-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/101>, abgerufen am 28.09.2024.