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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band.

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rief, war unglaublich. Im Augenblick erhob sich die öffentliche Meinung gegen
den kecken Frevler, der Fester war zum gemeinen Räuber geworden. Denn
was er beabsichtigte, war der großen Masse verborgen. Auch der Kurfürst wird
das eigentliche Motiv des Streichs nicht erkannt haben, ihm galt es jetzt nur,
eines gefährlichen Menschen habhaft zu werden, um ihn unschädlich zu machen.

"Mit Hilfe des im Rufe eines Schwarzkünstlers stehenden Scharfrichters
Hans," so berichtet der Chronist, "wurde Kohlhaft nach Berlin gelockt." und
als gewisse Kunde über seine Anwesenheit eingelaufen war, ließ der Kurfürst
Haussuchungen anstellen, und durch öffentliche Ausrufer jeden mit dem Tode
bedrohen, der den Kohlhasen bergen würde. Lange suchte man vergeblich. End¬
lich fand man ihn unweit der Nikolaischule, im Hause des Thomas Meißner in
einem Kasten. Als die Häscher den Deckel öffneten, sprang Kohlhase behende
heraus und rief, indem er den Deckel zuschlug, unverzagt! "Hier bin ich und
trage in der Jopen, damit ich büßen und bezahlen kann, was ich mißhandelt."

Nicht lange darauf wurde auch Georg Nagelschmidt entdeckt, der sich beim
Georgenthvr im Hause des Bürgers Putelitz verborgen gehalten hatte. Dagegen
verstand es ein Dritter von der Rotte. Hans Grasmus, ein schlauer und ge¬
wandter Gesell, den die Leute oft wie eine Katze auf den Dächern laufend ge¬
sehen haben wollten, sich dadurch zu salviren, daß er als Bauer verkleidet,
mit verzogenem Gesicht und an einem Hölzchen schnitzelnd durch das Thor der
Stadt entkam.

Der Bürger und seine Frau, welche, unbewußt, dem Nagelschmidt Her¬
berge gewährt hatten, wurden ohne Verzug auf dem neuen Markte durch das
Sckwert hingerichtet. Als man die Frau begnadigen wollte, dankte sie, und
nachdem sie ihren Mann mit einem Kuß gesegnet, fielen die Häupter beider, die
miteinander grau geworden waren.

Ueber Kohlhase aber verhängte der Kurfürst Joachim die peinliche Unter¬
suchung, zu der auch von Wittenberg kurfürstliche Räthe als Beisitzer eintrafen.
Staunen ergriff die Menge, als Kohlhase in dreistündiger gewandter Erzählung
den Hergang seiner Fehde berichtete. Schwerlich war er sich jetzt darüber klar,
daß er damit ein Unrecht begangen, und in der That hatte er, an den Be¬
griffen dieser Zeit gemessen, sich mit Ausnahme des Raubes bei Stolpe, weniger
eines verbrecherischen Treibens schuldig gemacht, als sein adeliger Vorgänger,
der sächsische Raubritter v. Minkwitz.

Nachdem Kohihase noch die traurige Kunde vernommen, daß seine Frau,
die in das tiefste Elend gesunken war, ihm unter dem Schuppen, der dem esti-
mer Rathhaus gegenüber die Feuerleitern verwahrte, zwei todte Kinder geboren,
war für ihn die Stunde des Sterbens gekommen. Auf Betrieb des sächsischen
Urwalds als Landfriedensbrecher zum Tode durch das Rad verurtheilt, fand er
Fürsprecher, die ihn zum Schwerte begnadigt wissen wollten. Da bestimmte


rief, war unglaublich. Im Augenblick erhob sich die öffentliche Meinung gegen
den kecken Frevler, der Fester war zum gemeinen Räuber geworden. Denn
was er beabsichtigte, war der großen Masse verborgen. Auch der Kurfürst wird
das eigentliche Motiv des Streichs nicht erkannt haben, ihm galt es jetzt nur,
eines gefährlichen Menschen habhaft zu werden, um ihn unschädlich zu machen.

„Mit Hilfe des im Rufe eines Schwarzkünstlers stehenden Scharfrichters
Hans," so berichtet der Chronist, „wurde Kohlhaft nach Berlin gelockt." und
als gewisse Kunde über seine Anwesenheit eingelaufen war, ließ der Kurfürst
Haussuchungen anstellen, und durch öffentliche Ausrufer jeden mit dem Tode
bedrohen, der den Kohlhasen bergen würde. Lange suchte man vergeblich. End¬
lich fand man ihn unweit der Nikolaischule, im Hause des Thomas Meißner in
einem Kasten. Als die Häscher den Deckel öffneten, sprang Kohlhase behende
heraus und rief, indem er den Deckel zuschlug, unverzagt! „Hier bin ich und
trage in der Jopen, damit ich büßen und bezahlen kann, was ich mißhandelt."

Nicht lange darauf wurde auch Georg Nagelschmidt entdeckt, der sich beim
Georgenthvr im Hause des Bürgers Putelitz verborgen gehalten hatte. Dagegen
verstand es ein Dritter von der Rotte. Hans Grasmus, ein schlauer und ge¬
wandter Gesell, den die Leute oft wie eine Katze auf den Dächern laufend ge¬
sehen haben wollten, sich dadurch zu salviren, daß er als Bauer verkleidet,
mit verzogenem Gesicht und an einem Hölzchen schnitzelnd durch das Thor der
Stadt entkam.

Der Bürger und seine Frau, welche, unbewußt, dem Nagelschmidt Her¬
berge gewährt hatten, wurden ohne Verzug auf dem neuen Markte durch das
Sckwert hingerichtet. Als man die Frau begnadigen wollte, dankte sie, und
nachdem sie ihren Mann mit einem Kuß gesegnet, fielen die Häupter beider, die
miteinander grau geworden waren.

Ueber Kohlhase aber verhängte der Kurfürst Joachim die peinliche Unter¬
suchung, zu der auch von Wittenberg kurfürstliche Räthe als Beisitzer eintrafen.
Staunen ergriff die Menge, als Kohlhase in dreistündiger gewandter Erzählung
den Hergang seiner Fehde berichtete. Schwerlich war er sich jetzt darüber klar,
daß er damit ein Unrecht begangen, und in der That hatte er, an den Be¬
griffen dieser Zeit gemessen, sich mit Ausnahme des Raubes bei Stolpe, weniger
eines verbrecherischen Treibens schuldig gemacht, als sein adeliger Vorgänger,
der sächsische Raubritter v. Minkwitz.

Nachdem Kohihase noch die traurige Kunde vernommen, daß seine Frau,
die in das tiefste Elend gesunken war, ihm unter dem Schuppen, der dem esti-
mer Rathhaus gegenüber die Feuerleitern verwahrte, zwei todte Kinder geboren,
war für ihn die Stunde des Sterbens gekommen. Auf Betrieb des sächsischen
Urwalds als Landfriedensbrecher zum Tode durch das Rad verurtheilt, fand er
Fürsprecher, die ihn zum Schwerte begnadigt wissen wollten. Da bestimmte


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/102>, abgerufen am 20.10.2024.