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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band.

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fachsten, fehlt diese Form der Fortpflanzung. Die ausnahmslose Nothwendigkeit
des Zusammenwirkens der beiderlei Organe zur Hervorbringung eines neuen
Keimes bietet uns die schlagendste Analogie mit der thierischen Zeugung, und
es verdient diese Vermchrungsweisc der Gewächse mit vollstem Recht die all¬
gemein ihr, beigelegte Bezeichnung der geschlechtlichen.

Wir stehen hier vor einem der tiefsten Geheimnisse der organischen Natur.
Wozu die umständliche, in ihrem Gelingen nur zu häufig von Zufälligkeiten ab¬
hängige geschlechtliche Befruchtung, da doch die Pflanze so oft auch andere
einfachere Mittel und Wege der Fortpflanzung besitzt? Wäre das Ergebniß der
Befruchtung lediglich die Vermehrung der Individuenzahl, so müßte sie uns
bei vielen Pflanzen als eine überflüssige Einrichtung erscheinen. Fern sei uns
der vermessene Versuch, durch bodenlose Vermuthungen die weit gähnende Lücke
unserer Kenntniß auszufüllen. Unsere Aufgabe soll eine bescheidnere sein. Wir
wollen in raschem Ueberblick die wesentlichen Erscheinungen der mannigfaltig
verschiedenen Formen geschlechtlicher Fortpflanzung der Vegetabilien nebenein¬
anderstellen, und so einige allgemeinere Gesichtspunkte für die Betrachtung des
verwickelten Gegenstandes zu gewinnen suchen.

Wir können die Thätigkeit der Organe geschlechtlicher Fortpflanzung der
Gewächse zurückführen auf das Zusammenwirken einer Zelle des befruchtenden
Organes mit einer Zelle des keimbercitenden: auf das Zusammenwirken zweier
der Hohlkörper mit für Flüssigkeiten und Gase durchdringbarer Wänden und
wasserhaltigen, flüssigem und festem Inhalte, aus denen die Pflanzen aufgebaut
sind. Bei den blüthentragenden Pflanzen sind jene Befruchtungswerkzeuge in
Form und innerem Baue von den übrigen nicht allzusehr abweichende Blätter.
Die Anhäufungen solcher Blätter, einer oder beider Arten, und der in Kreisen
sie umstehenden durch Form und Farbe von den Laubblättern verschiedenen
Hüllblätter an den Enden bestimmter Zweige stellen das dar, was wir die
Blüthen der Pflanze zu nennen gewohnt sind. Diejenigen Blätter, welche die
befruchtenden Zellen in sich erzeugen, führen die Namen der Staubblätter, Staub¬
gefäße, Stamina. Bestimmte Zellen der inneren Gewebe dieser Blätter treten
aus dem organischen Zusammenhange mit den übrigen; sie sind, bei der völligen
Ausbildung, der Reise des Staubblattes, frei liegende einzelne Zellen oder
Zellengruppen, denen durch die Entstehung von Oeffnungen in den äußeren,
oberflächlichen Zellschichten des Staubblattes die Möglichkeit gegeben wird, ihre
Bildungsstätte zu verlassen. Mit seltenen Ausnahmen ist der Entwickelungsgang
der Art, daß in dem oberen, anschwellenden Theile des Staubblattes, welcher
Anthere oder Staubbeutel genannt wird, vier parallele Längsreihen von größeren
Zellen sich aussondern; daß dann der Zusammenhalt dieser Zellen unter sich
und mit den übrigen Geweben der Anthere gelockert wird. Darauf entstehen
in jeder der frei gewordenen Zellen durch Theilung ihres Innenraumes vier


fachsten, fehlt diese Form der Fortpflanzung. Die ausnahmslose Nothwendigkeit
des Zusammenwirkens der beiderlei Organe zur Hervorbringung eines neuen
Keimes bietet uns die schlagendste Analogie mit der thierischen Zeugung, und
es verdient diese Vermchrungsweisc der Gewächse mit vollstem Recht die all¬
gemein ihr, beigelegte Bezeichnung der geschlechtlichen.

Wir stehen hier vor einem der tiefsten Geheimnisse der organischen Natur.
Wozu die umständliche, in ihrem Gelingen nur zu häufig von Zufälligkeiten ab¬
hängige geschlechtliche Befruchtung, da doch die Pflanze so oft auch andere
einfachere Mittel und Wege der Fortpflanzung besitzt? Wäre das Ergebniß der
Befruchtung lediglich die Vermehrung der Individuenzahl, so müßte sie uns
bei vielen Pflanzen als eine überflüssige Einrichtung erscheinen. Fern sei uns
der vermessene Versuch, durch bodenlose Vermuthungen die weit gähnende Lücke
unserer Kenntniß auszufüllen. Unsere Aufgabe soll eine bescheidnere sein. Wir
wollen in raschem Ueberblick die wesentlichen Erscheinungen der mannigfaltig
verschiedenen Formen geschlechtlicher Fortpflanzung der Vegetabilien nebenein¬
anderstellen, und so einige allgemeinere Gesichtspunkte für die Betrachtung des
verwickelten Gegenstandes zu gewinnen suchen.

Wir können die Thätigkeit der Organe geschlechtlicher Fortpflanzung der
Gewächse zurückführen auf das Zusammenwirken einer Zelle des befruchtenden
Organes mit einer Zelle des keimbercitenden: auf das Zusammenwirken zweier
der Hohlkörper mit für Flüssigkeiten und Gase durchdringbarer Wänden und
wasserhaltigen, flüssigem und festem Inhalte, aus denen die Pflanzen aufgebaut
sind. Bei den blüthentragenden Pflanzen sind jene Befruchtungswerkzeuge in
Form und innerem Baue von den übrigen nicht allzusehr abweichende Blätter.
Die Anhäufungen solcher Blätter, einer oder beider Arten, und der in Kreisen
sie umstehenden durch Form und Farbe von den Laubblättern verschiedenen
Hüllblätter an den Enden bestimmter Zweige stellen das dar, was wir die
Blüthen der Pflanze zu nennen gewohnt sind. Diejenigen Blätter, welche die
befruchtenden Zellen in sich erzeugen, führen die Namen der Staubblätter, Staub¬
gefäße, Stamina. Bestimmte Zellen der inneren Gewebe dieser Blätter treten
aus dem organischen Zusammenhange mit den übrigen; sie sind, bei der völligen
Ausbildung, der Reise des Staubblattes, frei liegende einzelne Zellen oder
Zellengruppen, denen durch die Entstehung von Oeffnungen in den äußeren,
oberflächlichen Zellschichten des Staubblattes die Möglichkeit gegeben wird, ihre
Bildungsstätte zu verlassen. Mit seltenen Ausnahmen ist der Entwickelungsgang
der Art, daß in dem oberen, anschwellenden Theile des Staubblattes, welcher
Anthere oder Staubbeutel genannt wird, vier parallele Längsreihen von größeren
Zellen sich aussondern; daß dann der Zusammenhalt dieser Zellen unter sich
und mit den übrigen Geweben der Anthere gelockert wird. Darauf entstehen
in jeder der frei gewordenen Zellen durch Theilung ihres Innenraumes vier


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_188560/60>, abgerufen am 25.08.2024.