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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band.

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Pferde, "Männer in gewissen Jahren", einzeln "dem Don Quixote zu verglei¬
chen, in Massen doch so höchst ehrwürdig", sie, deren Anblick jedes unbefan¬
gene Malerauge mit Entzücken füllen müßte, haben unter ihren künstlerischen
Zeitgenossen auch nicht einen treuen Darsteller gefunden.

Aber zu einer Sammlung von Illustrationen haben die .Kaiserkriege Ver¬
anlassung gegeben, bei deren Entwerfen der Anblick der furchtbarsten Wahr¬
heit über jedes an die Wirklichkeit mit herangetragene künstlerische Vorurtheil
bald den vollen Sieg gewonnen hat. Nicht den glänzenden Siegesthaten
der großen Armee gilt diese grausige Verherrlichung, nicht auf den Sicgcszügcn
durch die niedergeworfene Welt ist diese merkwürdige künstlerische Blüthe er¬
wachsen, sondern auf den blutgetränkten Eisfeldern Rußlands, aus all dem
namenlosen Entsetzen des Rückzugs von 1812. Es ist jenes illustrirte Tage¬
buch, wie mau es nennen könnte, das der würtenbergische Hauptmann von
Faber, ein sehr geschickter Zeichner, der in der französischen Jnvasionsarmee
diente, während des ganzen Feldzugs geführt hat. Später ist es in getreu
den Charakter der Originalskizzen nachahmenden großen Steinzeicbnungcn er¬
schienen, aber seltsamerweise bei uns noch immer wenig gekannt. Mit schlichter,
schmuckloser Treue zeichnet dieser Offizier von Woche zu Woche, oft von Tag
zu Tag, alles nieder, was er auf jenem Zuge nach und ebenso auch von
Moskau an militärischen Scenen, an Episoden des Lagers, des Marsches, des
Schlachtfeldes, und dann des sich immer steigernden Grausens und haarsträu¬
benden Entsetzens gesehen hat. Er thut das mit einer fast unbegreiflichen küh¬
nen Objectivität. Die Skizzen sind so gänzlich naiv, er hat aus dem Gesehenen
so wenig noch etwas machen und arrangiren wollen, die aufgefaßten Züge
sind so gänzlich unersindbar, daß man sich gezwungen fühlt, sie als wirkliches
Bild der Wahrheit hinzunehmen. Bei den jede Vorstellung überbietendem,
wahnsinnigen Grauenscencn der letzten Nückzugswochen, während welcher das
Skizziren wohl zur praktischen Unmöglichkeit werden mußte, kann und muß man
einen so unauslöschlich tiefen Eindruck auf seine lebhafte und festhaltende Phan¬
tasie annehmen, daß er ihn auch nach erfolgter Rettung noch in voller Treue
zu skizziren vermochte.

Uns Deutschen ist es mit unsern neuen nationalen Heldenthaten und ihren
begeisterten Vollbringen: nicht anders ergangen als den Franzosen mit ihrer
Sieg- und Ruhmcszeit. Es hat mancher später berühmt gewordene Maler die
Schlachten der Freiheitskriege angeschlagen, aber kein einziger hat es nur ver¬
sucht, uns ein ihrer Wirklichkeit einigermaßen entsprechendes Bild von ihnen
und ihren Kämpfern zu geben. Auch sie stehen völlig unter der Macht der
davidschen classischen Lehre, und nicht ohne Lachen und Bedauern kann man
die Kriegs- und Kriegerbilder, wie sie jene Zeit erzeugte und wie sie z. B. im
vorigen Jubiläumsjahr der letztern wieder vielfach ans Tageslicht traten, heute


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Pferde, „Männer in gewissen Jahren", einzeln „dem Don Quixote zu verglei¬
chen, in Massen doch so höchst ehrwürdig", sie, deren Anblick jedes unbefan¬
gene Malerauge mit Entzücken füllen müßte, haben unter ihren künstlerischen
Zeitgenossen auch nicht einen treuen Darsteller gefunden.

Aber zu einer Sammlung von Illustrationen haben die .Kaiserkriege Ver¬
anlassung gegeben, bei deren Entwerfen der Anblick der furchtbarsten Wahr¬
heit über jedes an die Wirklichkeit mit herangetragene künstlerische Vorurtheil
bald den vollen Sieg gewonnen hat. Nicht den glänzenden Siegesthaten
der großen Armee gilt diese grausige Verherrlichung, nicht auf den Sicgcszügcn
durch die niedergeworfene Welt ist diese merkwürdige künstlerische Blüthe er¬
wachsen, sondern auf den blutgetränkten Eisfeldern Rußlands, aus all dem
namenlosen Entsetzen des Rückzugs von 1812. Es ist jenes illustrirte Tage¬
buch, wie mau es nennen könnte, das der würtenbergische Hauptmann von
Faber, ein sehr geschickter Zeichner, der in der französischen Jnvasionsarmee
diente, während des ganzen Feldzugs geführt hat. Später ist es in getreu
den Charakter der Originalskizzen nachahmenden großen Steinzeicbnungcn er¬
schienen, aber seltsamerweise bei uns noch immer wenig gekannt. Mit schlichter,
schmuckloser Treue zeichnet dieser Offizier von Woche zu Woche, oft von Tag
zu Tag, alles nieder, was er auf jenem Zuge nach und ebenso auch von
Moskau an militärischen Scenen, an Episoden des Lagers, des Marsches, des
Schlachtfeldes, und dann des sich immer steigernden Grausens und haarsträu¬
benden Entsetzens gesehen hat. Er thut das mit einer fast unbegreiflichen küh¬
nen Objectivität. Die Skizzen sind so gänzlich naiv, er hat aus dem Gesehenen
so wenig noch etwas machen und arrangiren wollen, die aufgefaßten Züge
sind so gänzlich unersindbar, daß man sich gezwungen fühlt, sie als wirkliches
Bild der Wahrheit hinzunehmen. Bei den jede Vorstellung überbietendem,
wahnsinnigen Grauenscencn der letzten Nückzugswochen, während welcher das
Skizziren wohl zur praktischen Unmöglichkeit werden mußte, kann und muß man
einen so unauslöschlich tiefen Eindruck auf seine lebhafte und festhaltende Phan¬
tasie annehmen, daß er ihn auch nach erfolgter Rettung noch in voller Treue
zu skizziren vermochte.

Uns Deutschen ist es mit unsern neuen nationalen Heldenthaten und ihren
begeisterten Vollbringen: nicht anders ergangen als den Franzosen mit ihrer
Sieg- und Ruhmcszeit. Es hat mancher später berühmt gewordene Maler die
Schlachten der Freiheitskriege angeschlagen, aber kein einziger hat es nur ver¬
sucht, uns ein ihrer Wirklichkeit einigermaßen entsprechendes Bild von ihnen
und ihren Kämpfern zu geben. Auch sie stehen völlig unter der Macht der
davidschen classischen Lehre, und nicht ohne Lachen und Bedauern kann man
die Kriegs- und Kriegerbilder, wie sie jene Zeit erzeugte und wie sie z. B. im
vorigen Jubiläumsjahr der letztern wieder vielfach ans Tageslicht traten, heute


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[0499] Pferde, „Männer in gewissen Jahren", einzeln „dem Don Quixote zu verglei¬ chen, in Massen doch so höchst ehrwürdig", sie, deren Anblick jedes unbefan¬ gene Malerauge mit Entzücken füllen müßte, haben unter ihren künstlerischen Zeitgenossen auch nicht einen treuen Darsteller gefunden. Aber zu einer Sammlung von Illustrationen haben die .Kaiserkriege Ver¬ anlassung gegeben, bei deren Entwerfen der Anblick der furchtbarsten Wahr¬ heit über jedes an die Wirklichkeit mit herangetragene künstlerische Vorurtheil bald den vollen Sieg gewonnen hat. Nicht den glänzenden Siegesthaten der großen Armee gilt diese grausige Verherrlichung, nicht auf den Sicgcszügcn durch die niedergeworfene Welt ist diese merkwürdige künstlerische Blüthe er¬ wachsen, sondern auf den blutgetränkten Eisfeldern Rußlands, aus all dem namenlosen Entsetzen des Rückzugs von 1812. Es ist jenes illustrirte Tage¬ buch, wie mau es nennen könnte, das der würtenbergische Hauptmann von Faber, ein sehr geschickter Zeichner, der in der französischen Jnvasionsarmee diente, während des ganzen Feldzugs geführt hat. Später ist es in getreu den Charakter der Originalskizzen nachahmenden großen Steinzeicbnungcn er¬ schienen, aber seltsamerweise bei uns noch immer wenig gekannt. Mit schlichter, schmuckloser Treue zeichnet dieser Offizier von Woche zu Woche, oft von Tag zu Tag, alles nieder, was er auf jenem Zuge nach und ebenso auch von Moskau an militärischen Scenen, an Episoden des Lagers, des Marsches, des Schlachtfeldes, und dann des sich immer steigernden Grausens und haarsträu¬ benden Entsetzens gesehen hat. Er thut das mit einer fast unbegreiflichen küh¬ nen Objectivität. Die Skizzen sind so gänzlich naiv, er hat aus dem Gesehenen so wenig noch etwas machen und arrangiren wollen, die aufgefaßten Züge sind so gänzlich unersindbar, daß man sich gezwungen fühlt, sie als wirkliches Bild der Wahrheit hinzunehmen. Bei den jede Vorstellung überbietendem, wahnsinnigen Grauenscencn der letzten Nückzugswochen, während welcher das Skizziren wohl zur praktischen Unmöglichkeit werden mußte, kann und muß man einen so unauslöschlich tiefen Eindruck auf seine lebhafte und festhaltende Phan¬ tasie annehmen, daß er ihn auch nach erfolgter Rettung noch in voller Treue zu skizziren vermochte. Uns Deutschen ist es mit unsern neuen nationalen Heldenthaten und ihren begeisterten Vollbringen: nicht anders ergangen als den Franzosen mit ihrer Sieg- und Ruhmcszeit. Es hat mancher später berühmt gewordene Maler die Schlachten der Freiheitskriege angeschlagen, aber kein einziger hat es nur ver¬ sucht, uns ein ihrer Wirklichkeit einigermaßen entsprechendes Bild von ihnen und ihren Kämpfern zu geben. Auch sie stehen völlig unter der Macht der davidschen classischen Lehre, und nicht ohne Lachen und Bedauern kann man die Kriegs- und Kriegerbilder, wie sie jene Zeit erzeugte und wie sie z. B. im vorigen Jubiläumsjahr der letztern wieder vielfach ans Tageslicht traten, heute 62*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_188560/499>, abgerufen am 23.07.2024.