Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

noch eins der Schlachtfelder des siebenjährigen Krieges mit eigenen Augen ge¬
sehen zu haben. Wenigstens findet sich in den kleinen Bildchen zu Basedows
Erziehungswerk die Darstellung eines solchen nach dem Kampf, in welcher eine
Menge nicht zu erfindender Motive von überraschender Naturwahrheit auf
eigne Anschauung der Wirklichkeit durch den Zeichner hindeuten.

Mit den großen französischen Revolutions-, Consulats- und Kaiserkriegen
nehmen die Künstler dieser Nation denn auch wieder die Aufgabe ihrer male¬
rischen Schilderung und Verherrlichung in die Hand. Schade nur, daß der
naive Blick ihres Malcrauges bereits in zarter Jugend durch die akademische
und später die davidsche Schuldressur so gründlich verwirrt und um seine Un¬
befangenheit gebracht war, daß er für die sich ihnen bietende reichste echt male¬
rische Erscheinungswelt alle natürliche Auffassungsgabe eingebüßt hatte. .So
half es ihnen wenig, wenn sie den Krieg von Angesicht zu Angesicht sahen:
sie brachten bereits ihr fertiges Kriegerideai mit und statt nach der von Freund
Merck dem jungen Goethe, als er ihn vor den Stolbergs warnte, so prächtig
präcisirtcn Weise des letztern, aus der Wirklichkeit deren eigenste Poesie und
Schönheit herauszuentwickcln, hervorblühen zu lassen, reckten und dehnten und
completirten sie die Natur vor ihnen, bis dieselbe auf das Maß ihres Ideals
paßte, über welcher Tortur sie dann freilich auch ihren ursprünglichen Geist
ausgehaucht hatte. So giebt es nicht ein Bild, nicht einen Stich aus jener
kriegerischen Epoche, dessen Gestalten uns eine nur annähernd treue Anschauung
des wirklichen Aussehens jener heroischen Besieger des coalirtcn Europa gäben,
und erst einem Künstler der vierziger Jahre, einem der größten Darsteller der
Wirklichkeit, den die moderne Kunst aufweist, dem herrlichen Raffel, war es
vorbehalten, mit dem wunderbar inspirirter Blick des Genies jenes Geschlecht
der großen Vergangenheit in voller Klarheit anzuschauen und es zu einer sol¬
chen Leibhaftigkeit wieder heraufzubeschwören, daß man das directe Abbild des
unmittelbar Gesehenen zu empfangen meint. Bei Gros, dem gefeierten offi-
ciellen Maler kaiserlicher Großthaten, bricht zuweilen wohl der gesunde Zug
seiner Künstlernatur mit naiver Großheit durch den Zwang der classischen
Disciplin, und läßt ihn seine Helden hier und da zum wirtlichen Bilde ihrer
Erscheinung gestalten. Im Allgemeine" aber schwellen auch bei ihm, wie bei
David, Girodet, G6rard und Tutiiquanti unter der Lederhose des französischen
Ehasscurs die Schenkel des Antinous und unter dem Collet jedes Offiziers die
Brustmuskeln des Discuswersers. Jenes wunderliche Heldengcschlecht, wie es
Goethe aus dem überwundenen Mainz unter den düstern Klängen des "Mar-
seiller Marsches" langsam herausziehen sah, für den reinlichen Blick des Goethe
der neunziger Jahre, der "lieber eine Ungerechtigkeit begehen, als eine Unord¬
nung dulden" mochte, unbequem und widerwärtig genug, und doch so unab-
weislich imponirend in seiner ernsten, und furchtbaren Größe, -- jene Jäger zu


noch eins der Schlachtfelder des siebenjährigen Krieges mit eigenen Augen ge¬
sehen zu haben. Wenigstens findet sich in den kleinen Bildchen zu Basedows
Erziehungswerk die Darstellung eines solchen nach dem Kampf, in welcher eine
Menge nicht zu erfindender Motive von überraschender Naturwahrheit auf
eigne Anschauung der Wirklichkeit durch den Zeichner hindeuten.

Mit den großen französischen Revolutions-, Consulats- und Kaiserkriegen
nehmen die Künstler dieser Nation denn auch wieder die Aufgabe ihrer male¬
rischen Schilderung und Verherrlichung in die Hand. Schade nur, daß der
naive Blick ihres Malcrauges bereits in zarter Jugend durch die akademische
und später die davidsche Schuldressur so gründlich verwirrt und um seine Un¬
befangenheit gebracht war, daß er für die sich ihnen bietende reichste echt male¬
rische Erscheinungswelt alle natürliche Auffassungsgabe eingebüßt hatte. .So
half es ihnen wenig, wenn sie den Krieg von Angesicht zu Angesicht sahen:
sie brachten bereits ihr fertiges Kriegerideai mit und statt nach der von Freund
Merck dem jungen Goethe, als er ihn vor den Stolbergs warnte, so prächtig
präcisirtcn Weise des letztern, aus der Wirklichkeit deren eigenste Poesie und
Schönheit herauszuentwickcln, hervorblühen zu lassen, reckten und dehnten und
completirten sie die Natur vor ihnen, bis dieselbe auf das Maß ihres Ideals
paßte, über welcher Tortur sie dann freilich auch ihren ursprünglichen Geist
ausgehaucht hatte. So giebt es nicht ein Bild, nicht einen Stich aus jener
kriegerischen Epoche, dessen Gestalten uns eine nur annähernd treue Anschauung
des wirklichen Aussehens jener heroischen Besieger des coalirtcn Europa gäben,
und erst einem Künstler der vierziger Jahre, einem der größten Darsteller der
Wirklichkeit, den die moderne Kunst aufweist, dem herrlichen Raffel, war es
vorbehalten, mit dem wunderbar inspirirter Blick des Genies jenes Geschlecht
der großen Vergangenheit in voller Klarheit anzuschauen und es zu einer sol¬
chen Leibhaftigkeit wieder heraufzubeschwören, daß man das directe Abbild des
unmittelbar Gesehenen zu empfangen meint. Bei Gros, dem gefeierten offi-
ciellen Maler kaiserlicher Großthaten, bricht zuweilen wohl der gesunde Zug
seiner Künstlernatur mit naiver Großheit durch den Zwang der classischen
Disciplin, und läßt ihn seine Helden hier und da zum wirtlichen Bilde ihrer
Erscheinung gestalten. Im Allgemeine» aber schwellen auch bei ihm, wie bei
David, Girodet, G6rard und Tutiiquanti unter der Lederhose des französischen
Ehasscurs die Schenkel des Antinous und unter dem Collet jedes Offiziers die
Brustmuskeln des Discuswersers. Jenes wunderliche Heldengcschlecht, wie es
Goethe aus dem überwundenen Mainz unter den düstern Klängen des „Mar-
seiller Marsches" langsam herausziehen sah, für den reinlichen Blick des Goethe
der neunziger Jahre, der „lieber eine Ungerechtigkeit begehen, als eine Unord¬
nung dulden" mochte, unbequem und widerwärtig genug, und doch so unab-
weislich imponirend in seiner ernsten, und furchtbaren Größe, — jene Jäger zu


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0498" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/189059"/>
          <p xml:id="ID_1695" prev="#ID_1694"> noch eins der Schlachtfelder des siebenjährigen Krieges mit eigenen Augen ge¬<lb/>
sehen zu haben. Wenigstens findet sich in den kleinen Bildchen zu Basedows<lb/>
Erziehungswerk die Darstellung eines solchen nach dem Kampf, in welcher eine<lb/>
Menge nicht zu erfindender Motive von überraschender Naturwahrheit auf<lb/>
eigne Anschauung der Wirklichkeit durch den Zeichner hindeuten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1696" next="#ID_1697"> Mit den großen französischen Revolutions-, Consulats- und Kaiserkriegen<lb/>
nehmen die Künstler dieser Nation denn auch wieder die Aufgabe ihrer male¬<lb/>
rischen Schilderung und Verherrlichung in die Hand. Schade nur, daß der<lb/>
naive Blick ihres Malcrauges bereits in zarter Jugend durch die akademische<lb/>
und später die davidsche Schuldressur so gründlich verwirrt und um seine Un¬<lb/>
befangenheit gebracht war, daß er für die sich ihnen bietende reichste echt male¬<lb/>
rische Erscheinungswelt alle natürliche Auffassungsgabe eingebüßt hatte. .So<lb/>
half es ihnen wenig, wenn sie den Krieg von Angesicht zu Angesicht sahen:<lb/>
sie brachten bereits ihr fertiges Kriegerideai mit und statt nach der von Freund<lb/>
Merck dem jungen Goethe, als er ihn vor den Stolbergs warnte, so prächtig<lb/>
präcisirtcn Weise des letztern, aus der Wirklichkeit deren eigenste Poesie und<lb/>
Schönheit herauszuentwickcln, hervorblühen zu lassen, reckten und dehnten und<lb/>
completirten sie die Natur vor ihnen, bis dieselbe auf das Maß ihres Ideals<lb/>
paßte, über welcher Tortur sie dann freilich auch ihren ursprünglichen Geist<lb/>
ausgehaucht hatte. So giebt es nicht ein Bild, nicht einen Stich aus jener<lb/>
kriegerischen Epoche, dessen Gestalten uns eine nur annähernd treue Anschauung<lb/>
des wirklichen Aussehens jener heroischen Besieger des coalirtcn Europa gäben,<lb/>
und erst einem Künstler der vierziger Jahre, einem der größten Darsteller der<lb/>
Wirklichkeit, den die moderne Kunst aufweist, dem herrlichen Raffel, war es<lb/>
vorbehalten, mit dem wunderbar inspirirter Blick des Genies jenes Geschlecht<lb/>
der großen Vergangenheit in voller Klarheit anzuschauen und es zu einer sol¬<lb/>
chen Leibhaftigkeit wieder heraufzubeschwören, daß man das directe Abbild des<lb/>
unmittelbar Gesehenen zu empfangen meint. Bei Gros, dem gefeierten offi-<lb/>
ciellen Maler kaiserlicher Großthaten, bricht zuweilen wohl der gesunde Zug<lb/>
seiner Künstlernatur mit naiver Großheit durch den Zwang der classischen<lb/>
Disciplin, und läßt ihn seine Helden hier und da zum wirtlichen Bilde ihrer<lb/>
Erscheinung gestalten. Im Allgemeine» aber schwellen auch bei ihm, wie bei<lb/>
David, Girodet, G6rard und Tutiiquanti unter der Lederhose des französischen<lb/>
Ehasscurs die Schenkel des Antinous und unter dem Collet jedes Offiziers die<lb/>
Brustmuskeln des Discuswersers. Jenes wunderliche Heldengcschlecht, wie es<lb/>
Goethe aus dem überwundenen Mainz unter den düstern Klängen des &#x201E;Mar-<lb/>
seiller Marsches" langsam herausziehen sah, für den reinlichen Blick des Goethe<lb/>
der neunziger Jahre, der &#x201E;lieber eine Ungerechtigkeit begehen, als eine Unord¬<lb/>
nung dulden" mochte, unbequem und widerwärtig genug, und doch so unab-<lb/>
weislich imponirend in seiner ernsten, und furchtbaren Größe, &#x2014; jene Jäger zu</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0498] noch eins der Schlachtfelder des siebenjährigen Krieges mit eigenen Augen ge¬ sehen zu haben. Wenigstens findet sich in den kleinen Bildchen zu Basedows Erziehungswerk die Darstellung eines solchen nach dem Kampf, in welcher eine Menge nicht zu erfindender Motive von überraschender Naturwahrheit auf eigne Anschauung der Wirklichkeit durch den Zeichner hindeuten. Mit den großen französischen Revolutions-, Consulats- und Kaiserkriegen nehmen die Künstler dieser Nation denn auch wieder die Aufgabe ihrer male¬ rischen Schilderung und Verherrlichung in die Hand. Schade nur, daß der naive Blick ihres Malcrauges bereits in zarter Jugend durch die akademische und später die davidsche Schuldressur so gründlich verwirrt und um seine Un¬ befangenheit gebracht war, daß er für die sich ihnen bietende reichste echt male¬ rische Erscheinungswelt alle natürliche Auffassungsgabe eingebüßt hatte. .So half es ihnen wenig, wenn sie den Krieg von Angesicht zu Angesicht sahen: sie brachten bereits ihr fertiges Kriegerideai mit und statt nach der von Freund Merck dem jungen Goethe, als er ihn vor den Stolbergs warnte, so prächtig präcisirtcn Weise des letztern, aus der Wirklichkeit deren eigenste Poesie und Schönheit herauszuentwickcln, hervorblühen zu lassen, reckten und dehnten und completirten sie die Natur vor ihnen, bis dieselbe auf das Maß ihres Ideals paßte, über welcher Tortur sie dann freilich auch ihren ursprünglichen Geist ausgehaucht hatte. So giebt es nicht ein Bild, nicht einen Stich aus jener kriegerischen Epoche, dessen Gestalten uns eine nur annähernd treue Anschauung des wirklichen Aussehens jener heroischen Besieger des coalirtcn Europa gäben, und erst einem Künstler der vierziger Jahre, einem der größten Darsteller der Wirklichkeit, den die moderne Kunst aufweist, dem herrlichen Raffel, war es vorbehalten, mit dem wunderbar inspirirter Blick des Genies jenes Geschlecht der großen Vergangenheit in voller Klarheit anzuschauen und es zu einer sol¬ chen Leibhaftigkeit wieder heraufzubeschwören, daß man das directe Abbild des unmittelbar Gesehenen zu empfangen meint. Bei Gros, dem gefeierten offi- ciellen Maler kaiserlicher Großthaten, bricht zuweilen wohl der gesunde Zug seiner Künstlernatur mit naiver Großheit durch den Zwang der classischen Disciplin, und läßt ihn seine Helden hier und da zum wirtlichen Bilde ihrer Erscheinung gestalten. Im Allgemeine» aber schwellen auch bei ihm, wie bei David, Girodet, G6rard und Tutiiquanti unter der Lederhose des französischen Ehasscurs die Schenkel des Antinous und unter dem Collet jedes Offiziers die Brustmuskeln des Discuswersers. Jenes wunderliche Heldengcschlecht, wie es Goethe aus dem überwundenen Mainz unter den düstern Klängen des „Mar- seiller Marsches" langsam herausziehen sah, für den reinlichen Blick des Goethe der neunziger Jahre, der „lieber eine Ungerechtigkeit begehen, als eine Unord¬ nung dulden" mochte, unbequem und widerwärtig genug, und doch so unab- weislich imponirend in seiner ernsten, und furchtbaren Größe, — jene Jäger zu

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_188560
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_188560/498
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_188560/498>, abgerufen am 23.07.2024.