Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Sealssield in "Morton" vom Dämon des Geldgewinns entwirft, mit dem.
welches Steffens in der "Familie Walseth" von dem Dämon des Spiels giebt,
und man wird wieder völlige Uebereinstimmung finden, wenn auch der Eine
sich dafür begeistert, was den Andern mil Abscheu erfüllt. In den menschlichen
Leidenschaften etwas Magisches, Dämonisches, ja Teuflisches zu suchen, sie als
eine über das menschliche Vermögen hinausreichende. fremde Macht zu entwickeln,
lag tief im Wesen der Romantik,

Wenn diese Beziehungen Sealssields zu der Generation, die ihm unmittel¬
bar vorausging, sich unzweifelhaft herausstellen, so springt die Verwandtschaft
mit der gleichzeitigen jungdeutschen Literatur noch viel deutlicher in die Augen.
Man erinnere sich an die Art und Weise, wie Heine und Börne halb mit
Rührung, halb mit Hohn sich über die Natur des deutschen Volks auslassen,
und stelle damit die Figur des Herrn Bohne in "Süden und Norden" in
Zusammenhang. Herr Bohne ist ein deutscher Flüchtling, der mit einer Zahl
amerikanischer Gentlemen durch Mexico reist und als guter Deutscher sich ge¬
fallen läßt, von ihnen auf jede mögliche Weise maltraitirt zu werden. Herr
Bohne hat als preußischer Landwehrmann Rekruten gedrillt und schwärmt fürs
Dritten. Auf der Universität hat er aus einer Tabakspfeife mit schwarz-roth¬
goldenen Quasten geraucht und ist deshalb zum Tode verurtheilt. Herz und
Kopf sind voll von Idealen politischer Freiheit, und bei jeder Verlegenheit sieht
er sich nach der Polizei um, weil er sich nicht selbst zu helfen weiß. Er trägt
schmutzige Wäsche und einen alten Studentenrock und ist begeistert für die feinen
Sitten der Aristokratie. In allen gemeinen Dingen des Lebens hat er ein schiefes
Urtheil, dagegen imponirt er selbst den unverschämten Yankees durch seine Vir¬
tuosität, jede fremde Erscheinung philosophisch zu begreisen und ihr einen Ort
im System anzuweisen. Er ist tief durchdrungen von der Herrlichkeit des deutschen
Gemüths und spottet über die Willenlosigkeit der deutschen Natur und seine
eigene. -- Wer ist dieser Herr Bohne? -- Die Yankees nehmen ihn mit Hohn
für ein Bild des Deutschen überhaupt, der Verfasser pflichtet ihnen mit Schmerz
bei. -- Einmal sehen die Yankees von der Spitze des Orizava aus das Stern¬
gebilde des südlichen Kreuzes, sie stimmen begeistert den Chor an: "Ehre sei
Gott und seinein Sohn!" welchen sie beständig wiederholen. Herr Bohne, der
dazu kommt, ist über dieses Gebahren zuerst verwundert und fordert sie auf.
aus dem Kalten zu kommen und Punsch zu trinken; als sie ihn aber wegen
dieses Stumpfsinns wiederum greulich maltraitiren und in ihrem Choral fort¬
fahren, geht er in sich und bricht unter Thränen in die Worte aus: "ich danke
Ihnen, dies macht mich wieder zum Christen!" -- Und der Verfasser entläßt
den Leser mit dem beruhigenden Gefühl, daß nun alles in bester Ordnung sei. --

Ob dieser Verfasser wirklich Sealssield heißt, ist mir noch zweifelhaft; ob


55*

Sealssield in „Morton" vom Dämon des Geldgewinns entwirft, mit dem.
welches Steffens in der „Familie Walseth" von dem Dämon des Spiels giebt,
und man wird wieder völlige Uebereinstimmung finden, wenn auch der Eine
sich dafür begeistert, was den Andern mil Abscheu erfüllt. In den menschlichen
Leidenschaften etwas Magisches, Dämonisches, ja Teuflisches zu suchen, sie als
eine über das menschliche Vermögen hinausreichende. fremde Macht zu entwickeln,
lag tief im Wesen der Romantik,

Wenn diese Beziehungen Sealssields zu der Generation, die ihm unmittel¬
bar vorausging, sich unzweifelhaft herausstellen, so springt die Verwandtschaft
mit der gleichzeitigen jungdeutschen Literatur noch viel deutlicher in die Augen.
Man erinnere sich an die Art und Weise, wie Heine und Börne halb mit
Rührung, halb mit Hohn sich über die Natur des deutschen Volks auslassen,
und stelle damit die Figur des Herrn Bohne in „Süden und Norden" in
Zusammenhang. Herr Bohne ist ein deutscher Flüchtling, der mit einer Zahl
amerikanischer Gentlemen durch Mexico reist und als guter Deutscher sich ge¬
fallen läßt, von ihnen auf jede mögliche Weise maltraitirt zu werden. Herr
Bohne hat als preußischer Landwehrmann Rekruten gedrillt und schwärmt fürs
Dritten. Auf der Universität hat er aus einer Tabakspfeife mit schwarz-roth¬
goldenen Quasten geraucht und ist deshalb zum Tode verurtheilt. Herz und
Kopf sind voll von Idealen politischer Freiheit, und bei jeder Verlegenheit sieht
er sich nach der Polizei um, weil er sich nicht selbst zu helfen weiß. Er trägt
schmutzige Wäsche und einen alten Studentenrock und ist begeistert für die feinen
Sitten der Aristokratie. In allen gemeinen Dingen des Lebens hat er ein schiefes
Urtheil, dagegen imponirt er selbst den unverschämten Yankees durch seine Vir¬
tuosität, jede fremde Erscheinung philosophisch zu begreisen und ihr einen Ort
im System anzuweisen. Er ist tief durchdrungen von der Herrlichkeit des deutschen
Gemüths und spottet über die Willenlosigkeit der deutschen Natur und seine
eigene. — Wer ist dieser Herr Bohne? — Die Yankees nehmen ihn mit Hohn
für ein Bild des Deutschen überhaupt, der Verfasser pflichtet ihnen mit Schmerz
bei. — Einmal sehen die Yankees von der Spitze des Orizava aus das Stern¬
gebilde des südlichen Kreuzes, sie stimmen begeistert den Chor an: „Ehre sei
Gott und seinein Sohn!" welchen sie beständig wiederholen. Herr Bohne, der
dazu kommt, ist über dieses Gebahren zuerst verwundert und fordert sie auf.
aus dem Kalten zu kommen und Punsch zu trinken; als sie ihn aber wegen
dieses Stumpfsinns wiederum greulich maltraitiren und in ihrem Choral fort¬
fahren, geht er in sich und bricht unter Thränen in die Worte aus: „ich danke
Ihnen, dies macht mich wieder zum Christen!" — Und der Verfasser entläßt
den Leser mit dem beruhigenden Gefühl, daß nun alles in bester Ordnung sei. —

Ob dieser Verfasser wirklich Sealssield heißt, ist mir noch zweifelhaft; ob


55*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0443" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/189004"/>
          <p xml:id="ID_1506" prev="#ID_1505"> Sealssield in &#x201E;Morton" vom Dämon des Geldgewinns entwirft, mit dem.<lb/>
welches Steffens in der &#x201E;Familie Walseth" von dem Dämon des Spiels giebt,<lb/>
und man wird wieder völlige Uebereinstimmung finden, wenn auch der Eine<lb/>
sich dafür begeistert, was den Andern mil Abscheu erfüllt. In den menschlichen<lb/>
Leidenschaften etwas Magisches, Dämonisches, ja Teuflisches zu suchen, sie als<lb/>
eine über das menschliche Vermögen hinausreichende. fremde Macht zu entwickeln,<lb/>
lag tief im Wesen der Romantik,</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1507"> Wenn diese Beziehungen Sealssields zu der Generation, die ihm unmittel¬<lb/>
bar vorausging, sich unzweifelhaft herausstellen, so springt die Verwandtschaft<lb/>
mit der gleichzeitigen jungdeutschen Literatur noch viel deutlicher in die Augen.<lb/>
Man erinnere sich an die Art und Weise, wie Heine und Börne halb mit<lb/>
Rührung, halb mit Hohn sich über die Natur des deutschen Volks auslassen,<lb/>
und stelle damit die Figur des Herrn Bohne in &#x201E;Süden und Norden" in<lb/>
Zusammenhang. Herr Bohne ist ein deutscher Flüchtling, der mit einer Zahl<lb/>
amerikanischer Gentlemen durch Mexico reist und als guter Deutscher sich ge¬<lb/>
fallen läßt, von ihnen auf jede mögliche Weise maltraitirt zu werden. Herr<lb/>
Bohne hat als preußischer Landwehrmann Rekruten gedrillt und schwärmt fürs<lb/>
Dritten. Auf der Universität hat er aus einer Tabakspfeife mit schwarz-roth¬<lb/>
goldenen Quasten geraucht und ist deshalb zum Tode verurtheilt. Herz und<lb/>
Kopf sind voll von Idealen politischer Freiheit, und bei jeder Verlegenheit sieht<lb/>
er sich nach der Polizei um, weil er sich nicht selbst zu helfen weiß. Er trägt<lb/>
schmutzige Wäsche und einen alten Studentenrock und ist begeistert für die feinen<lb/>
Sitten der Aristokratie. In allen gemeinen Dingen des Lebens hat er ein schiefes<lb/>
Urtheil, dagegen imponirt er selbst den unverschämten Yankees durch seine Vir¬<lb/>
tuosität, jede fremde Erscheinung philosophisch zu begreisen und ihr einen Ort<lb/>
im System anzuweisen. Er ist tief durchdrungen von der Herrlichkeit des deutschen<lb/>
Gemüths und spottet über die Willenlosigkeit der deutschen Natur und seine<lb/>
eigene. &#x2014; Wer ist dieser Herr Bohne? &#x2014; Die Yankees nehmen ihn mit Hohn<lb/>
für ein Bild des Deutschen überhaupt, der Verfasser pflichtet ihnen mit Schmerz<lb/>
bei. &#x2014; Einmal sehen die Yankees von der Spitze des Orizava aus das Stern¬<lb/>
gebilde des südlichen Kreuzes, sie stimmen begeistert den Chor an: &#x201E;Ehre sei<lb/>
Gott und seinein Sohn!" welchen sie beständig wiederholen. Herr Bohne, der<lb/>
dazu kommt, ist über dieses Gebahren zuerst verwundert und fordert sie auf.<lb/>
aus dem Kalten zu kommen und Punsch zu trinken; als sie ihn aber wegen<lb/>
dieses Stumpfsinns wiederum greulich maltraitiren und in ihrem Choral fort¬<lb/>
fahren, geht er in sich und bricht unter Thränen in die Worte aus: &#x201E;ich danke<lb/>
Ihnen, dies macht mich wieder zum Christen!" &#x2014; Und der Verfasser entläßt<lb/>
den Leser mit dem beruhigenden Gefühl, daß nun alles in bester Ordnung sei. &#x2014;</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1508" next="#ID_1509"> Ob dieser Verfasser wirklich Sealssield heißt, ist mir noch zweifelhaft; ob</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> 55*</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0443] Sealssield in „Morton" vom Dämon des Geldgewinns entwirft, mit dem. welches Steffens in der „Familie Walseth" von dem Dämon des Spiels giebt, und man wird wieder völlige Uebereinstimmung finden, wenn auch der Eine sich dafür begeistert, was den Andern mil Abscheu erfüllt. In den menschlichen Leidenschaften etwas Magisches, Dämonisches, ja Teuflisches zu suchen, sie als eine über das menschliche Vermögen hinausreichende. fremde Macht zu entwickeln, lag tief im Wesen der Romantik, Wenn diese Beziehungen Sealssields zu der Generation, die ihm unmittel¬ bar vorausging, sich unzweifelhaft herausstellen, so springt die Verwandtschaft mit der gleichzeitigen jungdeutschen Literatur noch viel deutlicher in die Augen. Man erinnere sich an die Art und Weise, wie Heine und Börne halb mit Rührung, halb mit Hohn sich über die Natur des deutschen Volks auslassen, und stelle damit die Figur des Herrn Bohne in „Süden und Norden" in Zusammenhang. Herr Bohne ist ein deutscher Flüchtling, der mit einer Zahl amerikanischer Gentlemen durch Mexico reist und als guter Deutscher sich ge¬ fallen läßt, von ihnen auf jede mögliche Weise maltraitirt zu werden. Herr Bohne hat als preußischer Landwehrmann Rekruten gedrillt und schwärmt fürs Dritten. Auf der Universität hat er aus einer Tabakspfeife mit schwarz-roth¬ goldenen Quasten geraucht und ist deshalb zum Tode verurtheilt. Herz und Kopf sind voll von Idealen politischer Freiheit, und bei jeder Verlegenheit sieht er sich nach der Polizei um, weil er sich nicht selbst zu helfen weiß. Er trägt schmutzige Wäsche und einen alten Studentenrock und ist begeistert für die feinen Sitten der Aristokratie. In allen gemeinen Dingen des Lebens hat er ein schiefes Urtheil, dagegen imponirt er selbst den unverschämten Yankees durch seine Vir¬ tuosität, jede fremde Erscheinung philosophisch zu begreisen und ihr einen Ort im System anzuweisen. Er ist tief durchdrungen von der Herrlichkeit des deutschen Gemüths und spottet über die Willenlosigkeit der deutschen Natur und seine eigene. — Wer ist dieser Herr Bohne? — Die Yankees nehmen ihn mit Hohn für ein Bild des Deutschen überhaupt, der Verfasser pflichtet ihnen mit Schmerz bei. — Einmal sehen die Yankees von der Spitze des Orizava aus das Stern¬ gebilde des südlichen Kreuzes, sie stimmen begeistert den Chor an: „Ehre sei Gott und seinein Sohn!" welchen sie beständig wiederholen. Herr Bohne, der dazu kommt, ist über dieses Gebahren zuerst verwundert und fordert sie auf. aus dem Kalten zu kommen und Punsch zu trinken; als sie ihn aber wegen dieses Stumpfsinns wiederum greulich maltraitiren und in ihrem Choral fort¬ fahren, geht er in sich und bricht unter Thränen in die Worte aus: „ich danke Ihnen, dies macht mich wieder zum Christen!" — Und der Verfasser entläßt den Leser mit dem beruhigenden Gefühl, daß nun alles in bester Ordnung sei. — Ob dieser Verfasser wirklich Sealssield heißt, ist mir noch zweifelhaft; ob 55*

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_188560
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_188560/443
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_188560/443>, abgerufen am 03.07.2024.