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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band.

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er als preußischer Landwehrmann Rekruten gedrillt und als deutscher Student
in physischer Wirklichkeit schwarz-roth-goldenen Tabak geraucht hat, weiß ich
nicht; jedenfalls hat er es geistig gethan, und wer seiner Person wegen neu¬
gierig ist, mag sich daran erinnern, daß auch aus einem Zerrspiegel die
Physiognomie sich erkennen läßt, und diese Physiognomie -- in Herrn Bohne
suchen. -- Was uns Deutsche betrifft, so ist eine neue Generation an die Stelle
der jungdeutschen getreten. Wir haben nicht mehr daS Bedürfniß, uns durch
Pathos oder Ironie aufregen zu lassen, nicht mehr das Bedürfniß, das Un¬
begreifliche metaphysisch zu construiren, nicht mehr das Bedürfniß, uns mit
hypochondrischer Freude an unserer vermeintlichen Hamletnatur zu weiden: --
sondern wir haben das Bedürfniß, die Welt und ihre Kräfte kennen zu lernen,
daran die Grenze unserer Wünsche abzumessen und innerhalb dieser Grenzen
Schritt vor Schritt vorwärts zu gehn. Die Times hat uns den Freibrief ge¬
schrieben: wir sind eine Nation wilder, erobernder Barbaren, und wenn es
damit auch nicht so schlimm aussieht, so dürfen wir doch das Portrait, das in
Herrn Bohne von uns gemacht sein soll, bescheiden als nunmehr unangemessen
zurückweisen.

In einem andern Romane, "Deutsch-amerikanische Wahlverwandtschaften",
scheint Scaisfield von dem löblichen Vorsatz ausgegangen zu sein, die Deutschen
in ein besseres Licht zu stellen; aber gerade wo es angehn soll, bricht er ab.
Als Vertreter der deutschen Aristokratie wird beiläufig ein ncugcadeltcr Banquier¬
sohn vorgeführt.

Völlig jungdeutsch ist er in "Morton". In diesem prophetisch klingenden
Werk wird eine allgemeine Weltrevolution verheißen, geleitet durch ein paar
gewaltige Banquiers in der Art des Grafen Montechristo, die immer eine
Million zu den kleinen Tagesausgaben in der Westentasche bei sich führen.
Ein etwas blasirter junger Nouv wird von dieser Nevolutionsgesellschafl eingeweiht
und erwirbt seinen Freibrief durch eine im halben Rausch gehaltene Rede über
den Zusammenhang des Bankwesens mit der Umwälzung der Menschheit, wie
sie allenfalls auch Gutzkow hätte erfinden können. Man muß an den guten
Herrn Bohne, sein ungewaschenes Hemde und seinen Studentenrvcl! denken,
um diese Gluth zu begreifen, mit weicher das Phantasiegemälde von Millionen
oder Billionen Dollars seine Seele durchdringt.

Auch wir haben von der Macht des Geldes einen solideren Begriff als die
Generation, die uns unmittelbar vorausging; die Volkswirthschaft spielt mit
Recht eine sehr erhebliche Rolle in unserm politischen Treiben. Aber wir wissen,
daß das Geld nur von Werth ist. insofern es vergangene Arbeit darstellt und
künftige Arbeit hervorruft; Wunder zu thun ist es nicht im Stande. Fieber¬
träume wie jene Rede Mortvns würden heute nur noch Gelächter erregen.


er als preußischer Landwehrmann Rekruten gedrillt und als deutscher Student
in physischer Wirklichkeit schwarz-roth-goldenen Tabak geraucht hat, weiß ich
nicht; jedenfalls hat er es geistig gethan, und wer seiner Person wegen neu¬
gierig ist, mag sich daran erinnern, daß auch aus einem Zerrspiegel die
Physiognomie sich erkennen läßt, und diese Physiognomie — in Herrn Bohne
suchen. — Was uns Deutsche betrifft, so ist eine neue Generation an die Stelle
der jungdeutschen getreten. Wir haben nicht mehr daS Bedürfniß, uns durch
Pathos oder Ironie aufregen zu lassen, nicht mehr das Bedürfniß, das Un¬
begreifliche metaphysisch zu construiren, nicht mehr das Bedürfniß, uns mit
hypochondrischer Freude an unserer vermeintlichen Hamletnatur zu weiden: —
sondern wir haben das Bedürfniß, die Welt und ihre Kräfte kennen zu lernen,
daran die Grenze unserer Wünsche abzumessen und innerhalb dieser Grenzen
Schritt vor Schritt vorwärts zu gehn. Die Times hat uns den Freibrief ge¬
schrieben: wir sind eine Nation wilder, erobernder Barbaren, und wenn es
damit auch nicht so schlimm aussieht, so dürfen wir doch das Portrait, das in
Herrn Bohne von uns gemacht sein soll, bescheiden als nunmehr unangemessen
zurückweisen.

In einem andern Romane, „Deutsch-amerikanische Wahlverwandtschaften",
scheint Scaisfield von dem löblichen Vorsatz ausgegangen zu sein, die Deutschen
in ein besseres Licht zu stellen; aber gerade wo es angehn soll, bricht er ab.
Als Vertreter der deutschen Aristokratie wird beiläufig ein ncugcadeltcr Banquier¬
sohn vorgeführt.

Völlig jungdeutsch ist er in „Morton". In diesem prophetisch klingenden
Werk wird eine allgemeine Weltrevolution verheißen, geleitet durch ein paar
gewaltige Banquiers in der Art des Grafen Montechristo, die immer eine
Million zu den kleinen Tagesausgaben in der Westentasche bei sich führen.
Ein etwas blasirter junger Nouv wird von dieser Nevolutionsgesellschafl eingeweiht
und erwirbt seinen Freibrief durch eine im halben Rausch gehaltene Rede über
den Zusammenhang des Bankwesens mit der Umwälzung der Menschheit, wie
sie allenfalls auch Gutzkow hätte erfinden können. Man muß an den guten
Herrn Bohne, sein ungewaschenes Hemde und seinen Studentenrvcl! denken,
um diese Gluth zu begreifen, mit weicher das Phantasiegemälde von Millionen
oder Billionen Dollars seine Seele durchdringt.

Auch wir haben von der Macht des Geldes einen solideren Begriff als die
Generation, die uns unmittelbar vorausging; die Volkswirthschaft spielt mit
Recht eine sehr erhebliche Rolle in unserm politischen Treiben. Aber wir wissen,
daß das Geld nur von Werth ist. insofern es vergangene Arbeit darstellt und
künftige Arbeit hervorruft; Wunder zu thun ist es nicht im Stande. Fieber¬
träume wie jene Rede Mortvns würden heute nur noch Gelächter erregen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_188560/444>, abgerufen am 03.07.2024.