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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band.

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einzige war, so ist es vollkommen erklärlich, daß die Sache jetzt diese Wendung
nahm. Anders bei Johannes, der Jesu Von Anfang an Jerusalem als Schau¬
platz seiner Wirksamkeit anweist. Bei ihm war ein neuer Hebel, ein außer¬
ordentliches Dazwischentreten nöthig, um die Eudkatastrvphe zu motiviren, und
so wurde an dieser Stelle die einzige Todtenerweckung, welche Johannes er¬
zählt, die Erwcct'ung des Lazarus eingeschoben, die, aus zerstreuten Elementen
des synoptischen Erzählungsstvsfcs componirt, die beiden in den andern Evan¬
gelien erzählten ErweclungSgeschichten ebenso weit hinter sich läßt, als über¬
haupt die Wunder bei Johannes stets in höchster Steigerung, im Superlativ
des Undenkbaren erscheinen.

Endlich der Todestag Jesu und das letzte Mahl. Nach den drei ersten
Evangelien hält Jesus mit seinen Jüngern am 14. Nisan (Freitag) das übliche
Passahmahl und wird am 15., dem Tag des Festes, verurtheilt und hingerichtet.
Bei Johannes wird er am 14., also am Tag des Passahmahles hingerichtet,
während er das letzte Mahl mit den Jüngern schon am 13., also nicht am Tag
des jüdischen Festmahls hielt. Hier scheint nun der Bericht des Johannes
insofern geschichtlich wahrscheinlicher, als die Berurtheilung und Hin.richtung
Jesu am Festtage einigermaßen stutzig macht. Allein daß am Festtage Gericht
gehalten wurde, erklärt sich aus der Dringlichkeit des Falls, und die Hinrich¬
tung geschah nicht durch die Juden, sondern durch die Römer, die auf jüdische
Feste keine Rücksicht zu nehmen hatten. In jedem Falle wäre es nicht erklär¬
lich, wie die Synoptiker, wenn die johanneische Darstellung die historische ist,
zu ihrer Darstellung kommen konnten, deren Widerspruch mit den jüdischen
Sitten ihnen unmöglich entgehen konnte. Um so begreiflicher dagegen ist es.
wie der Verfasser des Evangeliums zu seiner abweichenden Darstellung kam. Das
letzte Mahl ist bei ihm wesentlich verschieden von demjenigen, welches die
Synoptiker erzählen. Diese lassen zum Gedächtniß an diese Feier das Abend¬
mahl eingesetzt werden, Johannes weiß kein Wort von dieser Stiftung. Jene
beschreiben es ganz als das Passahmahl, dieser will es ausdrücklich nicht als
solches betrachtet wissen. Warum dies? der vierte Evangelist kann Jesus nicht
das Passahmahl halten lassen, weil er -- eine in ihren Grundzügen schon vom
Apostel Paulus herrührende Lehre vollendend -- Jesus selbst als das wahre
Passahlamm darstellt. Ist Jesus selbst das Passahlamm, so kann er nicht am
14. Nisan das Passahmahl mit den Jüngern gehalten haben, sondern eben an
diesem Tag mußte er als Passahlamm sterben. In dem Moment, da das
jüdische Fest seinen Anfang nahm, war schon alles vollendet, was der Passah¬
feier vom christlichen Standpunkt aus Bedeutung geben konnte. Eben damit
singt es zusammen, daß sich gerade bei Johannes im Moment des Todes Jesu
die Hinweisungen auf die Erfüllung alttestamentlicher Weissagungen häufen. Es
ist vollendet, so ruft noch der Sterbende am Kreuz, ein Wort, das nur dieser


einzige war, so ist es vollkommen erklärlich, daß die Sache jetzt diese Wendung
nahm. Anders bei Johannes, der Jesu Von Anfang an Jerusalem als Schau¬
platz seiner Wirksamkeit anweist. Bei ihm war ein neuer Hebel, ein außer¬
ordentliches Dazwischentreten nöthig, um die Eudkatastrvphe zu motiviren, und
so wurde an dieser Stelle die einzige Todtenerweckung, welche Johannes er¬
zählt, die Erwcct'ung des Lazarus eingeschoben, die, aus zerstreuten Elementen
des synoptischen Erzählungsstvsfcs componirt, die beiden in den andern Evan¬
gelien erzählten ErweclungSgeschichten ebenso weit hinter sich läßt, als über¬
haupt die Wunder bei Johannes stets in höchster Steigerung, im Superlativ
des Undenkbaren erscheinen.

Endlich der Todestag Jesu und das letzte Mahl. Nach den drei ersten
Evangelien hält Jesus mit seinen Jüngern am 14. Nisan (Freitag) das übliche
Passahmahl und wird am 15., dem Tag des Festes, verurtheilt und hingerichtet.
Bei Johannes wird er am 14., also am Tag des Passahmahles hingerichtet,
während er das letzte Mahl mit den Jüngern schon am 13., also nicht am Tag
des jüdischen Festmahls hielt. Hier scheint nun der Bericht des Johannes
insofern geschichtlich wahrscheinlicher, als die Berurtheilung und Hin.richtung
Jesu am Festtage einigermaßen stutzig macht. Allein daß am Festtage Gericht
gehalten wurde, erklärt sich aus der Dringlichkeit des Falls, und die Hinrich¬
tung geschah nicht durch die Juden, sondern durch die Römer, die auf jüdische
Feste keine Rücksicht zu nehmen hatten. In jedem Falle wäre es nicht erklär¬
lich, wie die Synoptiker, wenn die johanneische Darstellung die historische ist,
zu ihrer Darstellung kommen konnten, deren Widerspruch mit den jüdischen
Sitten ihnen unmöglich entgehen konnte. Um so begreiflicher dagegen ist es.
wie der Verfasser des Evangeliums zu seiner abweichenden Darstellung kam. Das
letzte Mahl ist bei ihm wesentlich verschieden von demjenigen, welches die
Synoptiker erzählen. Diese lassen zum Gedächtniß an diese Feier das Abend¬
mahl eingesetzt werden, Johannes weiß kein Wort von dieser Stiftung. Jene
beschreiben es ganz als das Passahmahl, dieser will es ausdrücklich nicht als
solches betrachtet wissen. Warum dies? der vierte Evangelist kann Jesus nicht
das Passahmahl halten lassen, weil er — eine in ihren Grundzügen schon vom
Apostel Paulus herrührende Lehre vollendend — Jesus selbst als das wahre
Passahlamm darstellt. Ist Jesus selbst das Passahlamm, so kann er nicht am
14. Nisan das Passahmahl mit den Jüngern gehalten haben, sondern eben an
diesem Tag mußte er als Passahlamm sterben. In dem Moment, da das
jüdische Fest seinen Anfang nahm, war schon alles vollendet, was der Passah¬
feier vom christlichen Standpunkt aus Bedeutung geben konnte. Eben damit
singt es zusammen, daß sich gerade bei Johannes im Moment des Todes Jesu
die Hinweisungen auf die Erfüllung alttestamentlicher Weissagungen häufen. Es
ist vollendet, so ruft noch der Sterbende am Kreuz, ein Wort, das nur dieser


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_188560/392>, abgerufen am 23.07.2024.