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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band.

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hielt den Oberbefehl mit ziemlich vollmächtigen Befugnissen zur Unterhandlung.
Den traurigen Erfolg zu verhüten war er trotzdem außer Stande. Die Elen¬
digkeit der deutschen 'Militärverfassung erhielt in der "Husserei" ein noch deut¬
licheres und wirksameres Brandmal als das gewesen war. welches die schwei¬
zerische Bauernkeule dem Harnisch der östreichischen Rittergeschwader aufgedrückt
hatte.

Die diplomatische Niederlage Sigismunds hatte zur Folge, daß der Ge¬
danke eines oligarchischen Reichsregimentö unter den Kurfürsten von neuem nach
einer bestimmten Form trachtete. Damals konnte ein Mittel, welches der alles
durchfressenden Anarchie, dem wüsten GewaltfreVel. wie er wieder gäng und
gebe geworden war. wenigstens äußerlich einen Damm entgegensetzte, nur will¬
kommen geheißen werden; nichtsdestoweniger will es als ein völliger Gesinnungs¬
wechsel des Markgrafen erscheinen, daß er der Kurfürsteneinung beitrat. Aber
mit Nichten war es an dem. Als erste Aufgabe mußte, wie wir sahen, dre
Abwehr gegen die Konsequenzen der ausländischem Angelegenheiten gelten,
welche der Politik des Königs die Richtung gaben. "Mußte man innerhalb
der Verfassung und der allgemeinen Rechtsüberzeugung bleiben, um dem Gegner
die Schwäche des Unrechts zuzuschieben, so blieb kein anderer Weg. als d,e
Kraft und das Interesse derer, welche so lange die monarchische Energie der
Reichsgewalt bekämpft hatten, jetzt gegen ihren Mißbrauch in Thätigkeit zu
setzen, die Schwerkraft des Reiches von dem Haupt auf die Föderation der vor¬
nehmsten Glieder zu übertragen." Es ist damals so wenig, wie später zur
Zeit des dahier Conciles. wo die factische Neutralität in der Frage des neuen
Kirchenschismas dem Reiche die Gelegenheit und Muße bot. sich zu constituiren,
zu verfassungsrechtlichen Bestimmungen über diese Abschließung des Reiches ge¬
kommen, die doch eine äußerlich nationale war, wenn sie auch nicht mehr zu
leisten vermochte, als daß durch sie der "Brei" der Zustände conservirt wurde.
Denn in der Zeit, wo alles aus den Fugen zu gehen drohte, gerade damals
geschah alles nur für den nächsten Zweck. Es fehlte nicht an Vorschlägen, an
Mahnrufen und drohenden Forderungen, aber nur um so mehr am Gefühle der
Pflicht, daß der Nothwendigkeit gehorcht werden müsse. Wie klar und über¬
zeugend hat Nikolaus von Cusa der Kirchen- und Reichsreform in ihrer Wechsel¬
beziehung den Weg vorgezeichnet und die Gesichtspunkte angegeben: es war
denen, die Hand anlegen sollten, ein tönendes Erz und eine klingende Schelle.

So klein die Menschen waren, welche diese große Zeit Vorhand, die sich
in den Gemüthern der Masse, hier doctrinär, dort in beschaulicher Abkehr, dort
convulsivisch verkündigte, ganz ohne Wirkung konnten ihre Erfahrungen nicht
bleiben. Aber, was im politischen Leben Deutschlands durch sie gewirkt hat,
war nicht ihre sittliche Seite, sondern das Gesetz der Schwere und des Falls.
Die hussitische Revolution und alles, was ideell und zeitlich mit ihr zusammen-


hielt den Oberbefehl mit ziemlich vollmächtigen Befugnissen zur Unterhandlung.
Den traurigen Erfolg zu verhüten war er trotzdem außer Stande. Die Elen¬
digkeit der deutschen 'Militärverfassung erhielt in der „Husserei" ein noch deut¬
licheres und wirksameres Brandmal als das gewesen war. welches die schwei¬
zerische Bauernkeule dem Harnisch der östreichischen Rittergeschwader aufgedrückt
hatte.

Die diplomatische Niederlage Sigismunds hatte zur Folge, daß der Ge¬
danke eines oligarchischen Reichsregimentö unter den Kurfürsten von neuem nach
einer bestimmten Form trachtete. Damals konnte ein Mittel, welches der alles
durchfressenden Anarchie, dem wüsten GewaltfreVel. wie er wieder gäng und
gebe geworden war. wenigstens äußerlich einen Damm entgegensetzte, nur will¬
kommen geheißen werden; nichtsdestoweniger will es als ein völliger Gesinnungs¬
wechsel des Markgrafen erscheinen, daß er der Kurfürsteneinung beitrat. Aber
mit Nichten war es an dem. Als erste Aufgabe mußte, wie wir sahen, dre
Abwehr gegen die Konsequenzen der ausländischem Angelegenheiten gelten,
welche der Politik des Königs die Richtung gaben. „Mußte man innerhalb
der Verfassung und der allgemeinen Rechtsüberzeugung bleiben, um dem Gegner
die Schwäche des Unrechts zuzuschieben, so blieb kein anderer Weg. als d,e
Kraft und das Interesse derer, welche so lange die monarchische Energie der
Reichsgewalt bekämpft hatten, jetzt gegen ihren Mißbrauch in Thätigkeit zu
setzen, die Schwerkraft des Reiches von dem Haupt auf die Föderation der vor¬
nehmsten Glieder zu übertragen." Es ist damals so wenig, wie später zur
Zeit des dahier Conciles. wo die factische Neutralität in der Frage des neuen
Kirchenschismas dem Reiche die Gelegenheit und Muße bot. sich zu constituiren,
zu verfassungsrechtlichen Bestimmungen über diese Abschließung des Reiches ge¬
kommen, die doch eine äußerlich nationale war, wenn sie auch nicht mehr zu
leisten vermochte, als daß durch sie der „Brei" der Zustände conservirt wurde.
Denn in der Zeit, wo alles aus den Fugen zu gehen drohte, gerade damals
geschah alles nur für den nächsten Zweck. Es fehlte nicht an Vorschlägen, an
Mahnrufen und drohenden Forderungen, aber nur um so mehr am Gefühle der
Pflicht, daß der Nothwendigkeit gehorcht werden müsse. Wie klar und über¬
zeugend hat Nikolaus von Cusa der Kirchen- und Reichsreform in ihrer Wechsel¬
beziehung den Weg vorgezeichnet und die Gesichtspunkte angegeben: es war
denen, die Hand anlegen sollten, ein tönendes Erz und eine klingende Schelle.

So klein die Menschen waren, welche diese große Zeit Vorhand, die sich
in den Gemüthern der Masse, hier doctrinär, dort in beschaulicher Abkehr, dort
convulsivisch verkündigte, ganz ohne Wirkung konnten ihre Erfahrungen nicht
bleiben. Aber, was im politischen Leben Deutschlands durch sie gewirkt hat,
war nicht ihre sittliche Seite, sondern das Gesetz der Schwere und des Falls.
Die hussitische Revolution und alles, was ideell und zeitlich mit ihr zusammen-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_188560/31>, abgerufen am 23.07.2024.