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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band.

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Frage auferlegt wurden, waren es, welche ihn endlich in direkte Opposition gegen
Sigismund versetzten, sondern weil er erfahren mußte, daß des Kaisers Politik
mit der wachsenden Noth immer undeutscher und unkaiserlicher wurde. Er be¬
handelte die Angelegenheiten des Reiches lediglich nach dem Maßstabe seines
augenblicklichen Vortheils. Der alte heillose Wucher mit der höchsten Rechts-
autvrität kam wieder in Schwang. Friedrich fühlte das Recht und die Pflicht
kaiserlicher zu sein als der Kaiser. Auf dem nürnberger Reichstage von 1422
fühlte Sigismund zuerst den Gegendruck der markgräflichcn Politik. Den Mittel¬
punkt der Verhandlungen bildete die Angelegenheit der Reichskriegssteuer, ein Pro-
ject, welches nicht blos darauf angelegt war, die über alle Borstellung verkommene
militärische Verfassung des Reiches durch die Revision der Matrikel zu heben, son¬
dern man wollte überhaupt den unmittelbaren Kriegsdienst theilweise durch Geld¬
leistung ersetzen. Der Manndienst auf Zeit hatte niemals mehr als einzelne Feld¬
züge möglich gemacht. Die Lehnsmiliz kam unpünktlich und ging wieder, wenn sie,
es an der Zeit hielt oder wenn Mißgeschick entmuthigt hatte. An wirklich einheitliche
Leitung war ohnehin nicht zu denken; dasRcichsheer war eben eine Summe be¬
waffneter Haufen, aber kein militärisches Ganzes. Mit Hilfe der Neichstriegssteuer,
welche für einen großen Theil der Rcichsverwandten nur das Budget festsetzen,
aber die Wahl des Materials freigeben sollte, dachte man einen sogenannten
"täglichen Krieg" in Gang zu bringen, d. h. das Heer sollte im Felde bleiben
und dadurch Kriegsübung erlangen, was bei jedes Mal neu zusammenlaufenden
Truppen nicht zu erreichen war. Man erkennt auf den ersten Blick, von wel¬
cher Wichtigkeit diese Neuerung damals sein mußte, wo die alte faule Neichs-
kriegsconfusion sich mit einer Kraft zu messen hatte, die aller Berechnung
spottete; haben diese Zizkaschen Bauerncvhortcn es doch dahin gebracht, daß
"und bei noch so überlegener Zahl alle die periodischen Invasionen, welche die
Kreuzzüge gegen Böhmen vorstellten, in Wirklichkeit höchstens zu ganz unglück¬
lichen Vertheidigungen führten. Mehr aber noch als auf die Reorganisation
des Kriegswesens im Allgemeinen kam es besonders dem Markgrafen jetzt darauf
an, daß der Sache des Kaisers nicht anders als von Neichswegen gedient
werde. Mit außerordentlicher Rührigkeit warb er, diesmal von der Mehrheit
der Fürsten unterstützt, in dieser Richtung. Die Absicht, so natürlich und
loyal sie war, bedeutete bei der gegenwärtigen Lage der Dinge für Sigismund
eine empfindliche Einschränkung. Das gründliche Mittel, die Erhebung des
hundertsten Pfennigs zum Behuf der Organisation eines Svldheercs, blieb im
Project wie alle umfassenden Ncsormcntwürfe. Es scheiterte vornehmlich am
Widerwillen der Städte, denen die Steuernase hier besonders fatal sein durfte,
da durch die Taxation des Einkommens ihrer geheimen Prosperität eine kost¬
spielige Beleuchtung drohte. Nur der principielle Zweck Friedrichs ward er¬
reicht: der Krieg gegen Böhmen wurde als Neichstrieg beschlossen und er er-


Frage auferlegt wurden, waren es, welche ihn endlich in direkte Opposition gegen
Sigismund versetzten, sondern weil er erfahren mußte, daß des Kaisers Politik
mit der wachsenden Noth immer undeutscher und unkaiserlicher wurde. Er be¬
handelte die Angelegenheiten des Reiches lediglich nach dem Maßstabe seines
augenblicklichen Vortheils. Der alte heillose Wucher mit der höchsten Rechts-
autvrität kam wieder in Schwang. Friedrich fühlte das Recht und die Pflicht
kaiserlicher zu sein als der Kaiser. Auf dem nürnberger Reichstage von 1422
fühlte Sigismund zuerst den Gegendruck der markgräflichcn Politik. Den Mittel¬
punkt der Verhandlungen bildete die Angelegenheit der Reichskriegssteuer, ein Pro-
ject, welches nicht blos darauf angelegt war, die über alle Borstellung verkommene
militärische Verfassung des Reiches durch die Revision der Matrikel zu heben, son¬
dern man wollte überhaupt den unmittelbaren Kriegsdienst theilweise durch Geld¬
leistung ersetzen. Der Manndienst auf Zeit hatte niemals mehr als einzelne Feld¬
züge möglich gemacht. Die Lehnsmiliz kam unpünktlich und ging wieder, wenn sie,
es an der Zeit hielt oder wenn Mißgeschick entmuthigt hatte. An wirklich einheitliche
Leitung war ohnehin nicht zu denken; dasRcichsheer war eben eine Summe be¬
waffneter Haufen, aber kein militärisches Ganzes. Mit Hilfe der Neichstriegssteuer,
welche für einen großen Theil der Rcichsverwandten nur das Budget festsetzen,
aber die Wahl des Materials freigeben sollte, dachte man einen sogenannten
„täglichen Krieg" in Gang zu bringen, d. h. das Heer sollte im Felde bleiben
und dadurch Kriegsübung erlangen, was bei jedes Mal neu zusammenlaufenden
Truppen nicht zu erreichen war. Man erkennt auf den ersten Blick, von wel¬
cher Wichtigkeit diese Neuerung damals sein mußte, wo die alte faule Neichs-
kriegsconfusion sich mit einer Kraft zu messen hatte, die aller Berechnung
spottete; haben diese Zizkaschen Bauerncvhortcn es doch dahin gebracht, daß
«und bei noch so überlegener Zahl alle die periodischen Invasionen, welche die
Kreuzzüge gegen Böhmen vorstellten, in Wirklichkeit höchstens zu ganz unglück¬
lichen Vertheidigungen führten. Mehr aber noch als auf die Reorganisation
des Kriegswesens im Allgemeinen kam es besonders dem Markgrafen jetzt darauf
an, daß der Sache des Kaisers nicht anders als von Neichswegen gedient
werde. Mit außerordentlicher Rührigkeit warb er, diesmal von der Mehrheit
der Fürsten unterstützt, in dieser Richtung. Die Absicht, so natürlich und
loyal sie war, bedeutete bei der gegenwärtigen Lage der Dinge für Sigismund
eine empfindliche Einschränkung. Das gründliche Mittel, die Erhebung des
hundertsten Pfennigs zum Behuf der Organisation eines Svldheercs, blieb im
Project wie alle umfassenden Ncsormcntwürfe. Es scheiterte vornehmlich am
Widerwillen der Städte, denen die Steuernase hier besonders fatal sein durfte,
da durch die Taxation des Einkommens ihrer geheimen Prosperität eine kost¬
spielige Beleuchtung drohte. Nur der principielle Zweck Friedrichs ward er¬
reicht: der Krieg gegen Böhmen wurde als Neichstrieg beschlossen und er er-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_188560/30>, abgerufen am 23.07.2024.