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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band.

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weil die Autorität des Hermas einem seiner Lehrsätze entgegengehalten wird,
mit leidenschaftlicher Bitterkeit über das, wie er sagt, apokryphe und gefälschte
Büchlein her. Gleichwohl finden wir es noch bei Clemens von Alexandrie"
und Origenes, also bis in die Mitte des dritten Jahrhunderts im Gebrauch,
und erst um diese Zeit ward es ganz aus dem Kanon verbannt. Das verloren
gegangene Hebräcrevangelium, in welchem man die älteste Evangelienschrist, unsrem
Matthäus verwandt, vermuthet, war beiden sogenannten apostolischen Väter", bei
Justinus und Hegcsippus im Gebrauch; später wurde es unter die Apokryphen ge¬
setzt , doch finden wir es noch von Clemens von Alexandrien und Origenes mit
benutzt. Das Evangelium des Petrus, gleichfalls verloren gegangen, war
sogar "och im fünften Jahrhundert in morgenländischen Gemeinden im Ge¬
brauch. Die Briefe des Barnabas und des römischen Clemens gelten noch dem
Clemens von Alexandria als apostolische Schriften. Die Predigt des Petrus,
von Eusebius und Hieronymus unter die Apokryphen gestellt, wird noch von
Origenes wenigstens als ein Buch behandelt, dessen Unechtheit fraglich ist. Die
Offenbarung des Petrus wird noch in einem, dem Ende des zweiten Jahr¬
hunderts angehörigen Verzeichnis;, das nach seinem ersten Herausgeber der
muratorische Kanon genannt wird, der des Johannes als gleich kanonisch zur
Seite gestellt. Und so finden sich überhaupt Nachrichten von einer Menge von
Evangelien, Apostelgeschichten, Offenbarungen und Briefen, die erst allmälig
aus dem kirchlichen Gebrauch verdrängt wurden.

Setzt man die Zerstörung Jerusalems als den Endpunkt des apostolischen
Zeitalters, so sind es nur fünf Schriften, von welchen man zuverlässig be¬
haupten kann, daß sie vor jenem Zeitpunkt geschrieben sind: die aus bestimm¬
ten persönlichen Veranlassungen geschriebenen vier Briefe des Apostels Paulus
(an die Römer, Galater und Korinther) und die Offenbarung des Johannes,
deren Abfassung im Jahre 69 aus ihrem Inhalt evident ist. Ueberhaupt wird
man sich das Erwachen einer eigentlichen schriftstellerischen Thätigkeit nicht zu
frühe vorstellen dürfen. Weder in erbaulicher noch in dogmatischer Beziehung
lag hierfür in jener Zeit eine Veranlassung vor, und ebensowenig kann von
einem frühzeitigen Interesse, historische Aufzeichnungen zu machen, die Rede
sein. Für die Zwecke der Erbauung genügten die Schriften des alten Bundes,
die wir in der That bei der ältesten Gemeinde als einzige Religionsbücher im
Gebrauch finden. Die Dogmatik der ersten Bekenner concentrirte sich auf den
einen Satz, daß Jesus der verheißene Messias ist, und in Bezug auf das Leben
des Erlösers genügte das, was sich in der Ueberlieferung von Mund zu Mund
fortpflanzte. Diese Tradition schriftlich zu fixiren. lag um so ferner, je mehr
das irdische Leben Jesu für das religiöse Bewußtsein der Gemeinde zurückstand
gegen sein künftiges Wiedererscheinen. Die Augen waren nach vorwärts gerich¬
tet, nach dem Moment der Erfüllung, nach dem Kommen Jesu auf den Wolken


weil die Autorität des Hermas einem seiner Lehrsätze entgegengehalten wird,
mit leidenschaftlicher Bitterkeit über das, wie er sagt, apokryphe und gefälschte
Büchlein her. Gleichwohl finden wir es noch bei Clemens von Alexandrie»
und Origenes, also bis in die Mitte des dritten Jahrhunderts im Gebrauch,
und erst um diese Zeit ward es ganz aus dem Kanon verbannt. Das verloren
gegangene Hebräcrevangelium, in welchem man die älteste Evangelienschrist, unsrem
Matthäus verwandt, vermuthet, war beiden sogenannten apostolischen Väter», bei
Justinus und Hegcsippus im Gebrauch; später wurde es unter die Apokryphen ge¬
setzt , doch finden wir es noch von Clemens von Alexandrien und Origenes mit
benutzt. Das Evangelium des Petrus, gleichfalls verloren gegangen, war
sogar »och im fünften Jahrhundert in morgenländischen Gemeinden im Ge¬
brauch. Die Briefe des Barnabas und des römischen Clemens gelten noch dem
Clemens von Alexandria als apostolische Schriften. Die Predigt des Petrus,
von Eusebius und Hieronymus unter die Apokryphen gestellt, wird noch von
Origenes wenigstens als ein Buch behandelt, dessen Unechtheit fraglich ist. Die
Offenbarung des Petrus wird noch in einem, dem Ende des zweiten Jahr¬
hunderts angehörigen Verzeichnis;, das nach seinem ersten Herausgeber der
muratorische Kanon genannt wird, der des Johannes als gleich kanonisch zur
Seite gestellt. Und so finden sich überhaupt Nachrichten von einer Menge von
Evangelien, Apostelgeschichten, Offenbarungen und Briefen, die erst allmälig
aus dem kirchlichen Gebrauch verdrängt wurden.

Setzt man die Zerstörung Jerusalems als den Endpunkt des apostolischen
Zeitalters, so sind es nur fünf Schriften, von welchen man zuverlässig be¬
haupten kann, daß sie vor jenem Zeitpunkt geschrieben sind: die aus bestimm¬
ten persönlichen Veranlassungen geschriebenen vier Briefe des Apostels Paulus
(an die Römer, Galater und Korinther) und die Offenbarung des Johannes,
deren Abfassung im Jahre 69 aus ihrem Inhalt evident ist. Ueberhaupt wird
man sich das Erwachen einer eigentlichen schriftstellerischen Thätigkeit nicht zu
frühe vorstellen dürfen. Weder in erbaulicher noch in dogmatischer Beziehung
lag hierfür in jener Zeit eine Veranlassung vor, und ebensowenig kann von
einem frühzeitigen Interesse, historische Aufzeichnungen zu machen, die Rede
sein. Für die Zwecke der Erbauung genügten die Schriften des alten Bundes,
die wir in der That bei der ältesten Gemeinde als einzige Religionsbücher im
Gebrauch finden. Die Dogmatik der ersten Bekenner concentrirte sich auf den
einen Satz, daß Jesus der verheißene Messias ist, und in Bezug auf das Leben
des Erlösers genügte das, was sich in der Ueberlieferung von Mund zu Mund
fortpflanzte. Diese Tradition schriftlich zu fixiren. lag um so ferner, je mehr
das irdische Leben Jesu für das religiöse Bewußtsein der Gemeinde zurückstand
gegen sein künftiges Wiedererscheinen. Die Augen waren nach vorwärts gerich¬
tet, nach dem Moment der Erfüllung, nach dem Kommen Jesu auf den Wolken


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_188560/253>, abgerufen am 29.06.2024.