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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band.

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Uebergewicht, welches aus der bessern Disciplin erwächst, tritt in der neuesten
Zeit nirgend mehr hervor als bei dem jetzigen Kriege in Nordamerika. Die
Heere der Conföderirten verdanken ihre Erfolge gegen die viel größere, mit weit
intelligenteren Bestandtheilen versehene und mit ungleich größeren Hilfsmitteln
ausgestattete Unionsarmee nur ihrer bessern Disciplin; einer Disciplin, die
allerdings nicht der Zucht eines stehenden Heeres, sondern den in politischer
Hinsicht bedenklichen bürgerlichen Verhältnissen der Südstaaten ihren Ursprung
verdankt. Die Kunst des Befehlens ist unter Aristokraten und Sklavenhaltern
stets geübt und diese Kunst bildet die Basis der Disciplin. So viel vermag
guter Befehl, daß eine Truppe dann gut werden kann, wenn ihre untern Befehls¬
haberstellen gut besetzt sind, wenn der Rahmen nnr fest ist. So konnte Napoleon
1813 und 1814 stets neue Heere hervorzaubern und mit ganz jungen Truppen
große Resultate erlangen, weil er aus den verlorenen Armeen die Offiziere und
Unteroffiziere für seine Massen von jungen Conseribirten rettete. Freilich ist
eine mehr auf Vorzüglichkeit des Befehls, als auf Gewohnheitsdisciplin der
Gehorchenden basirte Truppe sehr theuer, denn sie consumirt viele Mannschaft,
und unsicher, denn ihre Leistungen werden durch den Verlust verhältnißmäßig
weniger Befehlenden völlig vernichtet. Solche Heere sind also doch nur ein
Nothvehelf.

Bei sonst gleich guter Ausbildung ist nach den Lehren der Geschichte die¬
jenige Truppe die beste, welche am meisten in der Hand der Vorgesetzten liegt,
deren Leitung also am meisten gesichert ist. Diesen Gedanken nahm Friedrich
Wilhelm der Erste, der Gründer der heutigen preußischen Armee, als leitend
für seine Schöpfnngc" an. In der sogenannten Gamasche, in der Parade¬
dressur erkannte er das Mittel, den Vorgesetzten zum unumschränkten Herrn
von Körper und Geist seines Untergebenen zu machen und die Siege der berliner
Wachtparade unter Friedrich dem Großen bestätigten die Richtigkeit seiner Theorie
und ließen diese im ganzen gebildeten Europa zur Anwendung kommen.

In der preußischen Armee aber machte man später aus dem Mittel den
Zweck, tödtete dadurch den Geist und führte den Untergang im Jahre 1806
herbei. Die neu geschaffene Armee aber blieb weit mehr, als man jetzt hier
und da annimmt, der alten Erfahrung treu, und gerade der Werth der preu¬
ßischen Disciplin'bestätigte sich in den Kriegen 1813--15. -- In dem langen,
darauf folgenden Frieden entwickelte sich wieder eine so scharfe Exercir- und
Paradeschule, wie sie je vorher bestanden, in einseitiger Tüchtigkeit, aber immer
geistloser und pedantischer. Mit dem Absterben der in der Schule des Unglücks
und des Krieges hart gewordenen Charaktere aus den Reihen der Comman¬
deure aber nahm auch die Schärfe der Exercirdisciplin immer mehr ab, ohne daß
ein anderes Bildungselement ergänzend eintrat, und sie wäre verloren ge¬
gangen, wenn nicht der jetzige König Wilhelm der Erste sie als cvmmandircnder


Uebergewicht, welches aus der bessern Disciplin erwächst, tritt in der neuesten
Zeit nirgend mehr hervor als bei dem jetzigen Kriege in Nordamerika. Die
Heere der Conföderirten verdanken ihre Erfolge gegen die viel größere, mit weit
intelligenteren Bestandtheilen versehene und mit ungleich größeren Hilfsmitteln
ausgestattete Unionsarmee nur ihrer bessern Disciplin; einer Disciplin, die
allerdings nicht der Zucht eines stehenden Heeres, sondern den in politischer
Hinsicht bedenklichen bürgerlichen Verhältnissen der Südstaaten ihren Ursprung
verdankt. Die Kunst des Befehlens ist unter Aristokraten und Sklavenhaltern
stets geübt und diese Kunst bildet die Basis der Disciplin. So viel vermag
guter Befehl, daß eine Truppe dann gut werden kann, wenn ihre untern Befehls¬
haberstellen gut besetzt sind, wenn der Rahmen nnr fest ist. So konnte Napoleon
1813 und 1814 stets neue Heere hervorzaubern und mit ganz jungen Truppen
große Resultate erlangen, weil er aus den verlorenen Armeen die Offiziere und
Unteroffiziere für seine Massen von jungen Conseribirten rettete. Freilich ist
eine mehr auf Vorzüglichkeit des Befehls, als auf Gewohnheitsdisciplin der
Gehorchenden basirte Truppe sehr theuer, denn sie consumirt viele Mannschaft,
und unsicher, denn ihre Leistungen werden durch den Verlust verhältnißmäßig
weniger Befehlenden völlig vernichtet. Solche Heere sind also doch nur ein
Nothvehelf.

Bei sonst gleich guter Ausbildung ist nach den Lehren der Geschichte die¬
jenige Truppe die beste, welche am meisten in der Hand der Vorgesetzten liegt,
deren Leitung also am meisten gesichert ist. Diesen Gedanken nahm Friedrich
Wilhelm der Erste, der Gründer der heutigen preußischen Armee, als leitend
für seine Schöpfnngc» an. In der sogenannten Gamasche, in der Parade¬
dressur erkannte er das Mittel, den Vorgesetzten zum unumschränkten Herrn
von Körper und Geist seines Untergebenen zu machen und die Siege der berliner
Wachtparade unter Friedrich dem Großen bestätigten die Richtigkeit seiner Theorie
und ließen diese im ganzen gebildeten Europa zur Anwendung kommen.

In der preußischen Armee aber machte man später aus dem Mittel den
Zweck, tödtete dadurch den Geist und führte den Untergang im Jahre 1806
herbei. Die neu geschaffene Armee aber blieb weit mehr, als man jetzt hier
und da annimmt, der alten Erfahrung treu, und gerade der Werth der preu¬
ßischen Disciplin'bestätigte sich in den Kriegen 1813—15. — In dem langen,
darauf folgenden Frieden entwickelte sich wieder eine so scharfe Exercir- und
Paradeschule, wie sie je vorher bestanden, in einseitiger Tüchtigkeit, aber immer
geistloser und pedantischer. Mit dem Absterben der in der Schule des Unglücks
und des Krieges hart gewordenen Charaktere aus den Reihen der Comman¬
deure aber nahm auch die Schärfe der Exercirdisciplin immer mehr ab, ohne daß
ein anderes Bildungselement ergänzend eintrat, und sie wäre verloren ge¬
gangen, wenn nicht der jetzige König Wilhelm der Erste sie als cvmmandircnder


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_188560/245>, abgerufen am 22.07.2024.