Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

suchen, so gut es geht, für die Infanterie ein Bild hiervon zu geben und
dann in unserm nächsten Schreiben die Frage beantworten, wie weit eine Ver¬
minderung der Dienstzeiten der preußischen Armee zulässig ist, ohne eine Ver¬
minderung der Tüchtigkeit herbeizuführen.

Die Ausbildung der Truppen umfaßt folgende drei Gebiete: die Technik,
die Disciplin und den kriegerischen Geist.

Unter Technik versteht man den ganzen militärischen Mechanismus, bestehend
in dem Gebrauch der Waffen, in der Kunst zu marschiren, zu reiten und zu
fahren, in der elementaren taktischen Formenlehre, in der Verschanzungskunst
u. f. w. soweit jeder Soldat desselben bedarf, um in allen Lagen des Krieges
zur Erfüllung seiner Pflichten befähigt zu sein. -- Zur Disciplin wird gerech¬
net nicht nur der unbedingte Gehorsam, sondern auch die Gewöhnung der ge¬
stimmten Körper- und Geisteskräfte, sich einfachem Befehl sofort zu spannen und
hinzugeben und endlich die treueste Erfüllung der Pflichten bis zum letzten
Blutstropfen -- Der kriegerische Geist äußert sich in der Lust zur körperlichen
Leistung, in der Freude an der Gefahr und in der Einfachheit und Klarheit
des jedem Unternehmen gesteckten Zieles.

Als das wichtigste dieser drei Gebiete wird gemeiniglich das erstere, die
Technik, angesehen und deshalb lesen wir so häufig die Ansicht, daß die mili¬
tärischen Uebungen schon in der Schule beginnen müßten, damit man die Dienst¬
zeit im stehenden Heere abkürzen könne. Demnächst wird die größte Bedeutung
dem kriegerischen Geiste zugeschrieben und die Begeisterung höher im Werthe
gestellt, als das militärische Pflichtgefühl. Die Disciplin des Exercierplatzes
und der Garnison glaubt man wohl noch am ersten für den Krieg entbehren
und durch Nützlichkeitsprincip, durch Ueberzeugung des Untergebenen, durch
Begeisterung u. f. w. ersetzen zu können. Wenn man diese Urtheile an der
Erfahrung prüft, so stellt sich die Sache anders.

Eine gute Disciplin ist der entschieden wichtigste Ausbildungszweig. Die
Geschichte lehrt, daß disciplinirte Truppen zu allen Zeiten die mit den besten
Waffen versehenen und in deren Handhabung vorzüglich bewanderten, aber un-
disciplinirtcn Truppen besiegt haben. Dies zeigt am vollständigsten der Kampf
europäischer Cavallerie gegen die in jeder Beziehung vorzügliche aber zügellose
orientalische Reiterei. Dies lehrt der polnische Rcvolutionskrieg im Jahre 1831,
wo die damalige russisch-polnische jArmce zur Jnsurrection übertrat und ihren
Untergang nicht den Leistungen ihrer Gegner, sondern der Auflösung in den
eignen Reihen verdankte. Auch der große Aufstand in Ostindien gewährt die¬
selbe Lehre, die eingebornen Regimenter verlieren mit dem Verlassen der eng--
lischen Reihen die Kraft, die sie vorher gegen ihre eignen Landsleute gehabt
hatten, sie behalten ihre Technik, ihr kriegerischer Geist ^vird noch gesteigert --
Haß gegen fremde Unterdrücker -- aber ihre Disciplin erschlafft; dies große


suchen, so gut es geht, für die Infanterie ein Bild hiervon zu geben und
dann in unserm nächsten Schreiben die Frage beantworten, wie weit eine Ver¬
minderung der Dienstzeiten der preußischen Armee zulässig ist, ohne eine Ver¬
minderung der Tüchtigkeit herbeizuführen.

Die Ausbildung der Truppen umfaßt folgende drei Gebiete: die Technik,
die Disciplin und den kriegerischen Geist.

Unter Technik versteht man den ganzen militärischen Mechanismus, bestehend
in dem Gebrauch der Waffen, in der Kunst zu marschiren, zu reiten und zu
fahren, in der elementaren taktischen Formenlehre, in der Verschanzungskunst
u. f. w. soweit jeder Soldat desselben bedarf, um in allen Lagen des Krieges
zur Erfüllung seiner Pflichten befähigt zu sein. — Zur Disciplin wird gerech¬
net nicht nur der unbedingte Gehorsam, sondern auch die Gewöhnung der ge¬
stimmten Körper- und Geisteskräfte, sich einfachem Befehl sofort zu spannen und
hinzugeben und endlich die treueste Erfüllung der Pflichten bis zum letzten
Blutstropfen — Der kriegerische Geist äußert sich in der Lust zur körperlichen
Leistung, in der Freude an der Gefahr und in der Einfachheit und Klarheit
des jedem Unternehmen gesteckten Zieles.

Als das wichtigste dieser drei Gebiete wird gemeiniglich das erstere, die
Technik, angesehen und deshalb lesen wir so häufig die Ansicht, daß die mili¬
tärischen Uebungen schon in der Schule beginnen müßten, damit man die Dienst¬
zeit im stehenden Heere abkürzen könne. Demnächst wird die größte Bedeutung
dem kriegerischen Geiste zugeschrieben und die Begeisterung höher im Werthe
gestellt, als das militärische Pflichtgefühl. Die Disciplin des Exercierplatzes
und der Garnison glaubt man wohl noch am ersten für den Krieg entbehren
und durch Nützlichkeitsprincip, durch Ueberzeugung des Untergebenen, durch
Begeisterung u. f. w. ersetzen zu können. Wenn man diese Urtheile an der
Erfahrung prüft, so stellt sich die Sache anders.

Eine gute Disciplin ist der entschieden wichtigste Ausbildungszweig. Die
Geschichte lehrt, daß disciplinirte Truppen zu allen Zeiten die mit den besten
Waffen versehenen und in deren Handhabung vorzüglich bewanderten, aber un-
disciplinirtcn Truppen besiegt haben. Dies zeigt am vollständigsten der Kampf
europäischer Cavallerie gegen die in jeder Beziehung vorzügliche aber zügellose
orientalische Reiterei. Dies lehrt der polnische Rcvolutionskrieg im Jahre 1831,
wo die damalige russisch-polnische jArmce zur Jnsurrection übertrat und ihren
Untergang nicht den Leistungen ihrer Gegner, sondern der Auflösung in den
eignen Reihen verdankte. Auch der große Aufstand in Ostindien gewährt die¬
selbe Lehre, die eingebornen Regimenter verlieren mit dem Verlassen der eng--
lischen Reihen die Kraft, die sie vorher gegen ihre eignen Landsleute gehabt
hatten, sie behalten ihre Technik, ihr kriegerischer Geist ^vird noch gesteigert —
Haß gegen fremde Unterdrücker — aber ihre Disciplin erschlafft; dies große


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0244" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/188805"/>
          <p xml:id="ID_823" prev="#ID_822"> suchen, so gut es geht, für die Infanterie ein Bild hiervon zu geben und<lb/>
dann in unserm nächsten Schreiben die Frage beantworten, wie weit eine Ver¬<lb/>
minderung der Dienstzeiten der preußischen Armee zulässig ist, ohne eine Ver¬<lb/>
minderung der Tüchtigkeit herbeizuführen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_824"> Die Ausbildung der Truppen umfaßt folgende drei Gebiete: die Technik,<lb/>
die Disciplin und den kriegerischen Geist.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_825"> Unter Technik versteht man den ganzen militärischen Mechanismus, bestehend<lb/>
in dem Gebrauch der Waffen, in der Kunst zu marschiren, zu reiten und zu<lb/>
fahren, in der elementaren taktischen Formenlehre, in der Verschanzungskunst<lb/>
u. f. w. soweit jeder Soldat desselben bedarf, um in allen Lagen des Krieges<lb/>
zur Erfüllung seiner Pflichten befähigt zu sein. &#x2014; Zur Disciplin wird gerech¬<lb/>
net nicht nur der unbedingte Gehorsam, sondern auch die Gewöhnung der ge¬<lb/>
stimmten Körper- und Geisteskräfte, sich einfachem Befehl sofort zu spannen und<lb/>
hinzugeben und endlich die treueste Erfüllung der Pflichten bis zum letzten<lb/>
Blutstropfen &#x2014; Der kriegerische Geist äußert sich in der Lust zur körperlichen<lb/>
Leistung, in der Freude an der Gefahr und in der Einfachheit und Klarheit<lb/>
des jedem Unternehmen gesteckten Zieles.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_826"> Als das wichtigste dieser drei Gebiete wird gemeiniglich das erstere, die<lb/>
Technik, angesehen und deshalb lesen wir so häufig die Ansicht, daß die mili¬<lb/>
tärischen Uebungen schon in der Schule beginnen müßten, damit man die Dienst¬<lb/>
zeit im stehenden Heere abkürzen könne. Demnächst wird die größte Bedeutung<lb/>
dem kriegerischen Geiste zugeschrieben und die Begeisterung höher im Werthe<lb/>
gestellt, als das militärische Pflichtgefühl. Die Disciplin des Exercierplatzes<lb/>
und der Garnison glaubt man wohl noch am ersten für den Krieg entbehren<lb/>
und durch Nützlichkeitsprincip, durch Ueberzeugung des Untergebenen, durch<lb/>
Begeisterung u. f. w. ersetzen zu können. Wenn man diese Urtheile an der<lb/>
Erfahrung prüft, so stellt sich die Sache anders.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_827" next="#ID_828"> Eine gute Disciplin ist der entschieden wichtigste Ausbildungszweig. Die<lb/>
Geschichte lehrt, daß disciplinirte Truppen zu allen Zeiten die mit den besten<lb/>
Waffen versehenen und in deren Handhabung vorzüglich bewanderten, aber un-<lb/>
disciplinirtcn Truppen besiegt haben. Dies zeigt am vollständigsten der Kampf<lb/>
europäischer Cavallerie gegen die in jeder Beziehung vorzügliche aber zügellose<lb/>
orientalische Reiterei. Dies lehrt der polnische Rcvolutionskrieg im Jahre 1831,<lb/>
wo die damalige russisch-polnische jArmce zur Jnsurrection übertrat und ihren<lb/>
Untergang nicht den Leistungen ihrer Gegner, sondern der Auflösung in den<lb/>
eignen Reihen verdankte. Auch der große Aufstand in Ostindien gewährt die¬<lb/>
selbe Lehre, die eingebornen Regimenter verlieren mit dem Verlassen der eng--<lb/>
lischen Reihen die Kraft, die sie vorher gegen ihre eignen Landsleute gehabt<lb/>
hatten, sie behalten ihre Technik, ihr kriegerischer Geist ^vird noch gesteigert &#x2014;<lb/>
Haß gegen fremde Unterdrücker &#x2014; aber ihre Disciplin erschlafft; dies große</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0244] suchen, so gut es geht, für die Infanterie ein Bild hiervon zu geben und dann in unserm nächsten Schreiben die Frage beantworten, wie weit eine Ver¬ minderung der Dienstzeiten der preußischen Armee zulässig ist, ohne eine Ver¬ minderung der Tüchtigkeit herbeizuführen. Die Ausbildung der Truppen umfaßt folgende drei Gebiete: die Technik, die Disciplin und den kriegerischen Geist. Unter Technik versteht man den ganzen militärischen Mechanismus, bestehend in dem Gebrauch der Waffen, in der Kunst zu marschiren, zu reiten und zu fahren, in der elementaren taktischen Formenlehre, in der Verschanzungskunst u. f. w. soweit jeder Soldat desselben bedarf, um in allen Lagen des Krieges zur Erfüllung seiner Pflichten befähigt zu sein. — Zur Disciplin wird gerech¬ net nicht nur der unbedingte Gehorsam, sondern auch die Gewöhnung der ge¬ stimmten Körper- und Geisteskräfte, sich einfachem Befehl sofort zu spannen und hinzugeben und endlich die treueste Erfüllung der Pflichten bis zum letzten Blutstropfen — Der kriegerische Geist äußert sich in der Lust zur körperlichen Leistung, in der Freude an der Gefahr und in der Einfachheit und Klarheit des jedem Unternehmen gesteckten Zieles. Als das wichtigste dieser drei Gebiete wird gemeiniglich das erstere, die Technik, angesehen und deshalb lesen wir so häufig die Ansicht, daß die mili¬ tärischen Uebungen schon in der Schule beginnen müßten, damit man die Dienst¬ zeit im stehenden Heere abkürzen könne. Demnächst wird die größte Bedeutung dem kriegerischen Geiste zugeschrieben und die Begeisterung höher im Werthe gestellt, als das militärische Pflichtgefühl. Die Disciplin des Exercierplatzes und der Garnison glaubt man wohl noch am ersten für den Krieg entbehren und durch Nützlichkeitsprincip, durch Ueberzeugung des Untergebenen, durch Begeisterung u. f. w. ersetzen zu können. Wenn man diese Urtheile an der Erfahrung prüft, so stellt sich die Sache anders. Eine gute Disciplin ist der entschieden wichtigste Ausbildungszweig. Die Geschichte lehrt, daß disciplinirte Truppen zu allen Zeiten die mit den besten Waffen versehenen und in deren Handhabung vorzüglich bewanderten, aber un- disciplinirtcn Truppen besiegt haben. Dies zeigt am vollständigsten der Kampf europäischer Cavallerie gegen die in jeder Beziehung vorzügliche aber zügellose orientalische Reiterei. Dies lehrt der polnische Rcvolutionskrieg im Jahre 1831, wo die damalige russisch-polnische jArmce zur Jnsurrection übertrat und ihren Untergang nicht den Leistungen ihrer Gegner, sondern der Auflösung in den eignen Reihen verdankte. Auch der große Aufstand in Ostindien gewährt die¬ selbe Lehre, die eingebornen Regimenter verlieren mit dem Verlassen der eng-- lischen Reihen die Kraft, die sie vorher gegen ihre eignen Landsleute gehabt hatten, sie behalten ihre Technik, ihr kriegerischer Geist ^vird noch gesteigert — Haß gegen fremde Unterdrücker — aber ihre Disciplin erschlafft; dies große

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_188560
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_188560/244
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_188560/244>, abgerufen am 03.07.2024.