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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band.

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fast nur scheinbar legen durften, jeden Augenblick gestört durch die ab und zu¬
gehenden Adjutanten, Kammerherren, Evan6ausscbüsse, Lakaien und andere ge¬
schäftig sich Umhertreibende. Equipage um Equipage, meist Staatstarossen langten
vor dem Bahnhofe an, um welchen eine sein große Menge von Polizeisoldaten Spalier
gebildet hatte. Auch die Lakaien und Kutscher trugen die Fcsttagslivrec. Immer
zahlreicher wurde die Schaar der "patriotischen Wohlthäter", welche sich --
selbstverständlich in größter Galla und mit allen ihren Orden geziert in zwei
genau nach den Vorschriften der Hofetiquette formirter Gruppen aufstellten.
Endlich -- nach sechs Uhr -- erfolgte die Ankunft der "Allerhöchsten", und die
Parade, diesen Namen verdiente die ganze'Scene eher als den eines Kranken¬
besuches, nahm ihren Anfang. Die fast ganz Gesunden waren neben dem Ein¬
gange des Saales ausgestellt und mußten die üblichen militärischen Honneurs
erweisen, die noch in der Reconvalescenz Befindlichen saßen auf ihren Betten,
von welchen sie auf einen Wink des vorangehenden dienstthuenden Adjutanten
wie durch einen elektrischen Schlag getroffen in die Höhe schnellten und auf
einen zweiten Wink sich wieder scheinbar der Ruhe überließen, die schwerer
Bciwundetcn aber mußten einige sichtbare Versuche machen, sich aufzurichten
oder mußten wenigstens eine Hand in die Höhe strecken, .gleichsam als ob die
Freude über den beglückenden Besuch sie zur Aufbietung ihrer letzten Kräfte ge¬
trieben hätte. Alle aver mußten in das obligate dreimalige "Vivat" einstimmen
und bei der nun folgenden Einzclbesichtignng auf die etwaige Frage "ach ihrem
Befinden mit dem ihnen vorher eingeprägten "D a ille ge h v rs a nöt, sehr gut"
antworten, wenn auch der auf ihren Mienen ausgeprägte Schmerz ihre Worte
gewaltig Lügen strafte. Nun kam ein Hvflakai. welcher den Verwundeten,
einem wie dem andern aus seiner großen Tasche eine genau vorgezählte Partie
Cigarren einhändigte. Es war ein Glück, daß diese kaiserlichen Cigarren keine
kaiserlich - östreichischen, sondern gute Havanna-Cigarren waren.

Nun machten auch "och die ,,patriotische" Wohlthäter", die in dem Gefolge
befindlichen Generäle, Hofbeamte und andere die Runde, wobei es natürlich,
an einer Fluth von Frage" "icht fehlte. Besonders Wißbegierige betasteten
auch wohl einen oder den andern Verwundeten. Endlich suchten sich die Wohl¬
thäter ihre Schützlinge aus, wobei jedoch thunlichst die Leichtverwundeten aus¬
gewählt wurden. Die Schwerverletzten wurden ganz einfach i" das Spital ge¬
schickt. Darauf setzte sich der Zug in Bewegung, natürlich wieder möglichst
affectvoll. Je ein Wohlthäter oder eine Wohlthäterin an der Seite el"es der
verwundeten Krieger und hintendrein -- wieder nach den A"ort"ungen des
Ceremonienmeisters geordnet -- die festlich geschmückte Schaar der begleitenden
Herren und Damen. Abermalige Verbeugungen und Vivatrufc u"d die Wohl¬
thäter u"d Wohlthäterinnen stiegen mit ihren Pflegebefohlenen in die -- wie¬
der nach der Rangordnung ihrer Besitzer vorfahrenden -- Equipagen und fuh-


fast nur scheinbar legen durften, jeden Augenblick gestört durch die ab und zu¬
gehenden Adjutanten, Kammerherren, Evan6ausscbüsse, Lakaien und andere ge¬
schäftig sich Umhertreibende. Equipage um Equipage, meist Staatstarossen langten
vor dem Bahnhofe an, um welchen eine sein große Menge von Polizeisoldaten Spalier
gebildet hatte. Auch die Lakaien und Kutscher trugen die Fcsttagslivrec. Immer
zahlreicher wurde die Schaar der „patriotischen Wohlthäter", welche sich —
selbstverständlich in größter Galla und mit allen ihren Orden geziert in zwei
genau nach den Vorschriften der Hofetiquette formirter Gruppen aufstellten.
Endlich — nach sechs Uhr — erfolgte die Ankunft der „Allerhöchsten", und die
Parade, diesen Namen verdiente die ganze'Scene eher als den eines Kranken¬
besuches, nahm ihren Anfang. Die fast ganz Gesunden waren neben dem Ein¬
gange des Saales ausgestellt und mußten die üblichen militärischen Honneurs
erweisen, die noch in der Reconvalescenz Befindlichen saßen auf ihren Betten,
von welchen sie auf einen Wink des vorangehenden dienstthuenden Adjutanten
wie durch einen elektrischen Schlag getroffen in die Höhe schnellten und auf
einen zweiten Wink sich wieder scheinbar der Ruhe überließen, die schwerer
Bciwundetcn aber mußten einige sichtbare Versuche machen, sich aufzurichten
oder mußten wenigstens eine Hand in die Höhe strecken, .gleichsam als ob die
Freude über den beglückenden Besuch sie zur Aufbietung ihrer letzten Kräfte ge¬
trieben hätte. Alle aver mußten in das obligate dreimalige „Vivat" einstimmen
und bei der nun folgenden Einzclbesichtignng auf die etwaige Frage »ach ihrem
Befinden mit dem ihnen vorher eingeprägten „D a ille ge h v rs a nöt, sehr gut"
antworten, wenn auch der auf ihren Mienen ausgeprägte Schmerz ihre Worte
gewaltig Lügen strafte. Nun kam ein Hvflakai. welcher den Verwundeten,
einem wie dem andern aus seiner großen Tasche eine genau vorgezählte Partie
Cigarren einhändigte. Es war ein Glück, daß diese kaiserlichen Cigarren keine
kaiserlich - östreichischen, sondern gute Havanna-Cigarren waren.

Nun machten auch »och die ,,patriotische» Wohlthäter", die in dem Gefolge
befindlichen Generäle, Hofbeamte und andere die Runde, wobei es natürlich,
an einer Fluth von Frage» »icht fehlte. Besonders Wißbegierige betasteten
auch wohl einen oder den andern Verwundeten. Endlich suchten sich die Wohl¬
thäter ihre Schützlinge aus, wobei jedoch thunlichst die Leichtverwundeten aus¬
gewählt wurden. Die Schwerverletzten wurden ganz einfach i» das Spital ge¬
schickt. Darauf setzte sich der Zug in Bewegung, natürlich wieder möglichst
affectvoll. Je ein Wohlthäter oder eine Wohlthäterin an der Seite el»es der
verwundeten Krieger und hintendrein — wieder nach den A»ort»ungen des
Ceremonienmeisters geordnet — die festlich geschmückte Schaar der begleitenden
Herren und Damen. Abermalige Verbeugungen und Vivatrufc u»d die Wohl¬
thäter u»d Wohlthäterinnen stiegen mit ihren Pflegebefohlenen in die — wie¬
der nach der Rangordnung ihrer Besitzer vorfahrenden — Equipagen und fuh-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_188560/240>, abgerufen am 23.07.2024.