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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band.

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sinnliche Bildlichkeit der Worte vielleicht zu sehr die Empfindung verlor. Wenn
der Jesuit zu einem Ketzer aus dem Volke belehrend sagte, beiß der Katechismus
Luthers nicht so gewichtig sei, als die institutionss pied-reif elrristiarmv von
Pater Canisius, so dachte der Mann aus dem Volke bei dem Worte gewichtig
immer noch zunächst an Pfund und Wage, und wenn er ein Schlaukopf war
und zu Eulenspiegelstreichcn aufgelegt, so hatte er sicher die Lacher auf seiner
Seite, wenn er Gewicht und Wagschale aus der Tasche zog und die beiden
Katechismen vor dem geistlichen Herrn gegen einander abwog. Fand sich Luthers
Buch schwerer, so hatte er doch die Worte des Gelehrten widerlegt, obgleich
er und die Zuschauer schon recht gut wußten, daß der geistliche Herr das Wort
nicht in der bildlichen, sondern in der abgezogenen Bedeutung gebraucht hatte.

Zum Beleg für das Gesagte sollen zwei Berichte aus alter Zeit dienen,
in denen die religiöse Ueberzeugung einfacher Menschen sich in ihrer Dialektik
und in ihrem Thun sehr volksmäßig offenbart. Beide Erzähler stehen in Oppo¬
sition gegen die katholische Kirche, an beiden wird die Vertiefung deutlich, welche
die Individuen durch ein selbständiges Denken über die Wahrheiten des Glau¬
bens erlangt haben. Weder Katholiken noch Protestanten mögen in der folgen¬
den Erzählung eine verhüllte Polemik über Glaubenssätze finden. Denn nicht
der Inhalt der Erörterungen, sondern die Art, wie sie geführt wurden, soll
hier zumeist interessiren.

Beide Mittheilungen sind noch nach anderer Richtung merkwürdig. Die
Erstere ist einer kleinen Flugschrift entnommen, welche zu den größten Bücher¬
seltenheiten gehört, und gelehrter Beachtung bis jetzt entgangen scheint. Sie
enthält eine winzige Episode aus der ersten Hälfte des dreißigjährigen Krieges,
und stammt aus Schlesien, der kaiserlichen Landschaft, welche mehr als andere
Provinzen Ferdinand des Zweiten von der Kriegsfurie gelitten hat, ohne daß
es den Beamten und Soldaten des rechtgläubigen Kaisers gelang, die Ketzerei
derselben auszurotten. Im Jahr 1629 war der böhmische Aufstand nieder¬
geschlagen, der Mansfelder. der Braunschweiger, der König von Dänemark be¬
siegt, die Heere Wallensteins hatten die Furcht auch der katholischen ' Stände,
der Franzosen, ja sogar des Papstes erregt, und die hochfliegenden Pläne
Ferdinands wurden durch den drohenden Abfall seiner Bundesgenossen ein wenig
herabgedrückt. Aber in den Ländern seiner Krone arbeiteten die Agenten eifrig,
die Opposition im Glauben niederzuwerfen. Für Schlesien war es das lichten-
steinische Dragoncrregiment, welches die Jesuiten in die protestantischen Städte
und Kirchen einführte, die brutale und grausame Weise der militärischen "Selig-
macher" ist in den Gcbirgsstädten Schlesiens noch heute nicht vergessen. Damals
war unter den Gemeinden, welche sich an den Vorhügeln des Riesengebirges
stattlich heraufgearbeitet hatten, Schweidnitz eine der bedeutendsten, sie war
Hauptstadt eines Fürstenthums, in fruchtbarer Gegend, und ihre Mauern waren


Grenzboten II. 18K4. 23

sinnliche Bildlichkeit der Worte vielleicht zu sehr die Empfindung verlor. Wenn
der Jesuit zu einem Ketzer aus dem Volke belehrend sagte, beiß der Katechismus
Luthers nicht so gewichtig sei, als die institutionss pied-reif elrristiarmv von
Pater Canisius, so dachte der Mann aus dem Volke bei dem Worte gewichtig
immer noch zunächst an Pfund und Wage, und wenn er ein Schlaukopf war
und zu Eulenspiegelstreichcn aufgelegt, so hatte er sicher die Lacher auf seiner
Seite, wenn er Gewicht und Wagschale aus der Tasche zog und die beiden
Katechismen vor dem geistlichen Herrn gegen einander abwog. Fand sich Luthers
Buch schwerer, so hatte er doch die Worte des Gelehrten widerlegt, obgleich
er und die Zuschauer schon recht gut wußten, daß der geistliche Herr das Wort
nicht in der bildlichen, sondern in der abgezogenen Bedeutung gebraucht hatte.

Zum Beleg für das Gesagte sollen zwei Berichte aus alter Zeit dienen,
in denen die religiöse Ueberzeugung einfacher Menschen sich in ihrer Dialektik
und in ihrem Thun sehr volksmäßig offenbart. Beide Erzähler stehen in Oppo¬
sition gegen die katholische Kirche, an beiden wird die Vertiefung deutlich, welche
die Individuen durch ein selbständiges Denken über die Wahrheiten des Glau¬
bens erlangt haben. Weder Katholiken noch Protestanten mögen in der folgen¬
den Erzählung eine verhüllte Polemik über Glaubenssätze finden. Denn nicht
der Inhalt der Erörterungen, sondern die Art, wie sie geführt wurden, soll
hier zumeist interessiren.

Beide Mittheilungen sind noch nach anderer Richtung merkwürdig. Die
Erstere ist einer kleinen Flugschrift entnommen, welche zu den größten Bücher¬
seltenheiten gehört, und gelehrter Beachtung bis jetzt entgangen scheint. Sie
enthält eine winzige Episode aus der ersten Hälfte des dreißigjährigen Krieges,
und stammt aus Schlesien, der kaiserlichen Landschaft, welche mehr als andere
Provinzen Ferdinand des Zweiten von der Kriegsfurie gelitten hat, ohne daß
es den Beamten und Soldaten des rechtgläubigen Kaisers gelang, die Ketzerei
derselben auszurotten. Im Jahr 1629 war der böhmische Aufstand nieder¬
geschlagen, der Mansfelder. der Braunschweiger, der König von Dänemark be¬
siegt, die Heere Wallensteins hatten die Furcht auch der katholischen ' Stände,
der Franzosen, ja sogar des Papstes erregt, und die hochfliegenden Pläne
Ferdinands wurden durch den drohenden Abfall seiner Bundesgenossen ein wenig
herabgedrückt. Aber in den Ländern seiner Krone arbeiteten die Agenten eifrig,
die Opposition im Glauben niederzuwerfen. Für Schlesien war es das lichten-
steinische Dragoncrregiment, welches die Jesuiten in die protestantischen Städte
und Kirchen einführte, die brutale und grausame Weise der militärischen „Selig-
macher" ist in den Gcbirgsstädten Schlesiens noch heute nicht vergessen. Damals
war unter den Gemeinden, welche sich an den Vorhügeln des Riesengebirges
stattlich heraufgearbeitet hatten, Schweidnitz eine der bedeutendsten, sie war
Hauptstadt eines Fürstenthums, in fruchtbarer Gegend, und ihre Mauern waren


Grenzboten II. 18K4. 23
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[0185] sinnliche Bildlichkeit der Worte vielleicht zu sehr die Empfindung verlor. Wenn der Jesuit zu einem Ketzer aus dem Volke belehrend sagte, beiß der Katechismus Luthers nicht so gewichtig sei, als die institutionss pied-reif elrristiarmv von Pater Canisius, so dachte der Mann aus dem Volke bei dem Worte gewichtig immer noch zunächst an Pfund und Wage, und wenn er ein Schlaukopf war und zu Eulenspiegelstreichcn aufgelegt, so hatte er sicher die Lacher auf seiner Seite, wenn er Gewicht und Wagschale aus der Tasche zog und die beiden Katechismen vor dem geistlichen Herrn gegen einander abwog. Fand sich Luthers Buch schwerer, so hatte er doch die Worte des Gelehrten widerlegt, obgleich er und die Zuschauer schon recht gut wußten, daß der geistliche Herr das Wort nicht in der bildlichen, sondern in der abgezogenen Bedeutung gebraucht hatte. Zum Beleg für das Gesagte sollen zwei Berichte aus alter Zeit dienen, in denen die religiöse Ueberzeugung einfacher Menschen sich in ihrer Dialektik und in ihrem Thun sehr volksmäßig offenbart. Beide Erzähler stehen in Oppo¬ sition gegen die katholische Kirche, an beiden wird die Vertiefung deutlich, welche die Individuen durch ein selbständiges Denken über die Wahrheiten des Glau¬ bens erlangt haben. Weder Katholiken noch Protestanten mögen in der folgen¬ den Erzählung eine verhüllte Polemik über Glaubenssätze finden. Denn nicht der Inhalt der Erörterungen, sondern die Art, wie sie geführt wurden, soll hier zumeist interessiren. Beide Mittheilungen sind noch nach anderer Richtung merkwürdig. Die Erstere ist einer kleinen Flugschrift entnommen, welche zu den größten Bücher¬ seltenheiten gehört, und gelehrter Beachtung bis jetzt entgangen scheint. Sie enthält eine winzige Episode aus der ersten Hälfte des dreißigjährigen Krieges, und stammt aus Schlesien, der kaiserlichen Landschaft, welche mehr als andere Provinzen Ferdinand des Zweiten von der Kriegsfurie gelitten hat, ohne daß es den Beamten und Soldaten des rechtgläubigen Kaisers gelang, die Ketzerei derselben auszurotten. Im Jahr 1629 war der böhmische Aufstand nieder¬ geschlagen, der Mansfelder. der Braunschweiger, der König von Dänemark be¬ siegt, die Heere Wallensteins hatten die Furcht auch der katholischen ' Stände, der Franzosen, ja sogar des Papstes erregt, und die hochfliegenden Pläne Ferdinands wurden durch den drohenden Abfall seiner Bundesgenossen ein wenig herabgedrückt. Aber in den Ländern seiner Krone arbeiteten die Agenten eifrig, die Opposition im Glauben niederzuwerfen. Für Schlesien war es das lichten- steinische Dragoncrregiment, welches die Jesuiten in die protestantischen Städte und Kirchen einführte, die brutale und grausame Weise der militärischen „Selig- macher" ist in den Gcbirgsstädten Schlesiens noch heute nicht vergessen. Damals war unter den Gemeinden, welche sich an den Vorhügeln des Riesengebirges stattlich heraufgearbeitet hatten, Schweidnitz eine der bedeutendsten, sie war Hauptstadt eines Fürstenthums, in fruchtbarer Gegend, und ihre Mauern waren Grenzboten II. 18K4. 23

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_188560/185>, abgerufen am 25.08.2024.