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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band.

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corrigirte. Allmciiig tauchte das Conferenzprojcct am Gesichtskreis auf, um,
nachdem es sich verschiedene Male proteusartig verwandelt, feste Form anzu¬
nehmen, und damit war der Anstoß und der Gegenstand zu einer neuen Be¬
wegung gegeben, die rasch bedeutende Dimensionen gewann und jetzt daS ganze
Land durchwogt.

Die Diplomaten wolle" uns, so hieß es, ungehört zu halber oder ganzer
Wicdcrauslieferung an Dänemark verurtheilen, wolle" uns nach ihrem, nicht
nach unserm Interesse versandet". Wehren wir uns dagegen mit den Waffen,
die uns allein gelassen sind, beanspruchen wir die Stimme, die uns gebührt,
gebrauchen wir sie vorläufig ohne hohe Erlaubniß.

Den ersten Ausdruck gaben dieser Stimmung die Schleswig-holste mischen
Vereine. Am 29. März fand zu Rendsburg eine Versammlung von Dele-
girten derselben statt, die von 81 Vereinen beschickt war, und zu der sich auch
Schleswiger, namentlich aus der Stadt Schleswig, aus Angeln, Eiderstedt und
Nordfriesiand eingefunden hatten. Dieselbe war noch nicht ganz im rechten
Fahrwasser. Doch waltete durchweg eine tüchtige Gesinnung vor, und wenn
die im Verein vertretenen Parteien in einigen ihrer Ziele von einander ab¬
wichen, so waren dies vergleichsweise unwesentliche Fragen. In der Haupt¬
sache war, man einig. Die Resolution, die man schließlich einstimmig beschloß,
war durchaus correct. Man erklärte Angesichts der bevorstehenden Conferenz,
daß das alte Recht der Herzogthümer, nach welchem sie, eng mit einander ver¬
bunden, von Dänemark vollständig getrennt, unter ihrem eignen Fürsten Friedrich
dem Achten zu lebe" befugt scie", mit dem politischen Glaubensbekenntnis^ der
Versammelten und ihrer Auftraggeber zusammenfalle. Man bezeichnete jede
wider den Willen des Schleswig-holsteinischen Volkes über dessen tünfnges
Schicksal getrvffne Entscheidung im Voraus als nichtig, als Gewaltthat und
Verrath. Man erklärte endlich, solcher Gewaltthat den äußersten Widerstand
entgegensetzen zu wollen.

Zu derselben Zeit begannen von Kiel aus die Vorbereitungen zu einem
Act, der eine größere Bedeutung als die einer Demonstration beanspruchte, ja,
der zwar nicht die Form, doch unzweifelhaft die innere Natur und Kraft eines
Staatsacts hatte, und der, wenn irgend die bisherige, durch ein nichts weniger
als liberales Wahlgesetz constituirte iücrtrciung Holsteins die Wünsche der Be¬
völkerung repräsentirt, der Welt im Voraus kundgeben sollte, was hier zu er¬
warten ist, wenn man dem holsteinischen Volke das Recht der Selbstbestimmung
zugesteht.'

Am 6. April versammelten sich, von mehren hervorragenden Mitgliedern
der holsteinischen Provinzialstände eingeladen, vierzig Abgeordnete im Saale des
akademischen Eonsistoriums (Univcrsitätssenats) zu Kiel und beschlossen nach
kurzer Debatte, die sich fast nur auf Nebendinge bezog, einstimmig eine Decka-


corrigirte. Allmciiig tauchte das Conferenzprojcct am Gesichtskreis auf, um,
nachdem es sich verschiedene Male proteusartig verwandelt, feste Form anzu¬
nehmen, und damit war der Anstoß und der Gegenstand zu einer neuen Be¬
wegung gegeben, die rasch bedeutende Dimensionen gewann und jetzt daS ganze
Land durchwogt.

Die Diplomaten wolle» uns, so hieß es, ungehört zu halber oder ganzer
Wicdcrauslieferung an Dänemark verurtheilen, wolle» uns nach ihrem, nicht
nach unserm Interesse versandet». Wehren wir uns dagegen mit den Waffen,
die uns allein gelassen sind, beanspruchen wir die Stimme, die uns gebührt,
gebrauchen wir sie vorläufig ohne hohe Erlaubniß.

Den ersten Ausdruck gaben dieser Stimmung die Schleswig-holste mischen
Vereine. Am 29. März fand zu Rendsburg eine Versammlung von Dele-
girten derselben statt, die von 81 Vereinen beschickt war, und zu der sich auch
Schleswiger, namentlich aus der Stadt Schleswig, aus Angeln, Eiderstedt und
Nordfriesiand eingefunden hatten. Dieselbe war noch nicht ganz im rechten
Fahrwasser. Doch waltete durchweg eine tüchtige Gesinnung vor, und wenn
die im Verein vertretenen Parteien in einigen ihrer Ziele von einander ab¬
wichen, so waren dies vergleichsweise unwesentliche Fragen. In der Haupt¬
sache war, man einig. Die Resolution, die man schließlich einstimmig beschloß,
war durchaus correct. Man erklärte Angesichts der bevorstehenden Conferenz,
daß das alte Recht der Herzogthümer, nach welchem sie, eng mit einander ver¬
bunden, von Dänemark vollständig getrennt, unter ihrem eignen Fürsten Friedrich
dem Achten zu lebe» befugt scie», mit dem politischen Glaubensbekenntnis^ der
Versammelten und ihrer Auftraggeber zusammenfalle. Man bezeichnete jede
wider den Willen des Schleswig-holsteinischen Volkes über dessen tünfnges
Schicksal getrvffne Entscheidung im Voraus als nichtig, als Gewaltthat und
Verrath. Man erklärte endlich, solcher Gewaltthat den äußersten Widerstand
entgegensetzen zu wollen.

Zu derselben Zeit begannen von Kiel aus die Vorbereitungen zu einem
Act, der eine größere Bedeutung als die einer Demonstration beanspruchte, ja,
der zwar nicht die Form, doch unzweifelhaft die innere Natur und Kraft eines
Staatsacts hatte, und der, wenn irgend die bisherige, durch ein nichts weniger
als liberales Wahlgesetz constituirte iücrtrciung Holsteins die Wünsche der Be¬
völkerung repräsentirt, der Welt im Voraus kundgeben sollte, was hier zu er¬
warten ist, wenn man dem holsteinischen Volke das Recht der Selbstbestimmung
zugesteht.'

Am 6. April versammelten sich, von mehren hervorragenden Mitgliedern
der holsteinischen Provinzialstände eingeladen, vierzig Abgeordnete im Saale des
akademischen Eonsistoriums (Univcrsitätssenats) zu Kiel und beschlossen nach
kurzer Debatte, die sich fast nur auf Nebendinge bezog, einstimmig eine Decka-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_188560/114>, abgerufen am 23.07.2024.