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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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Wendung abhinge, vom Ständchen zum Trinklied, vom Vaterlandsliebe bis zum
süßesten Frühlingsgcsange. Aber so energisch aus all diesen Liedertafeln, Sänger-
kreiscn und Gausä'ngcrbunden ein gewisser Drang nach Vereinigung hervorsteht,
so gewiß ist es auch, das; der Musik herzlich wenig damit genützt wird, und
daß besonders der Gesang patriotischer Lieder gar oft nichts weiter ist, als mehr¬
stimmig gesungenes politisches Kannegießern, dessen wir nunmehr billig über¬
drüssig sein könnten. Wein dieses Urtheil zu hart erscheinen sollte, den ver¬
weisen wir auf die Männergesangsleistungen, welche uns das Fest der leipziger
Schlacht gebracht hat. Wer es mit uns gehört hat, wie man am !8. October
Nachmittags auf offnem Markte, nachdem die herrlichen weverschen Freiheitslieder
verklungen waren, der Volksstimmung keinen würdigeren Ausdruck und Abschluß
zu geben wußte, als daß man das "treue deutsche Herz" von Julius Otto, ein
ganz erbärmliches altes Machwerk, nebst zwei ebenso schlechten neuen Liedern von
C. Kunize (Leipziger Siegeslied) und dem bekannten Schwalbensänger Abt
(Schlachtlied) singen ließ, der wird uns beipflichten, wenn wir auf diesem Boden
wenig von der Zukunft des Männergesanges in nächster Zeit erwarten können.

Ferner hat die überhandnehmende Pflege des Männcrgcsanges einen Nach¬
theil, der allerdings unter besonders günstigen Umständen fast gar nicht, desto
mehr aber vorzüglich da hervortritt, wo nicht eine energische Persönlichkeit ist,
die zu größeren Zwecken auch getrennte Elemente zu vereinigen vermag. Die
Männerstimmen werden immer mehr dem gemischten Chorgesang entfremdet,
der denn doch ganz Anderes zu leisten vermag, alH selbst der beste Männerchor.
Kein Einsichtiger wird dies verkennen, schon manche Klage ist darüber aus¬
gesprochen worden, und es ist nicht zu läugnen, daß die Pflege des gemischten
Chorgesanges an vielen Orten wesentlich durch den Männcrgesang verkümmert
und beeinträchtigt worden ist. -- Und doch erscheinen gerade die gut geleiteten
Männergesangvereine als sehr nützliche Vorschulen für die Männerstimmen,
welche nachher bei Aufführung größerer allgemeiner Chorwerke tüchtig geübt
und eingesungen sind. Möchte allerorten das rühmliche Beispiel des kölner
Männergesangvercines und des leipziger (akademischen) Paulinervereines Nach¬
ahmung finden, welche die auf die Ausbildung des Männergesanges gewendete
Sorgfalt und Liebe anch dem gemischten Chor zu gute kommen lassen und
seit langen Jahren eifrige und verläßliche Stützen der Männerstimmen in den
Choraufführungen, jener des Gürzenich, dieser des Gewandhauses sind. Un¬
bestritten sind die Männergesangvereine in der Stadt und auf dem Lande ein
löbliches und dem Edlen zugewendetes Bildungselement, und wir wollen den
großen Vorzug nicht verkennen, den das Hineintragen eines künstlerischen Elements
in die Geselligkeit vor anderen Beschäftigungen hat. Insbesondere der Jugend
steht es wohl an, einige Mußestunden der Pflege eines Kunstzweiges zu wid¬
men, der zwar nicht groß und bedeutend, darum aber gerade geeignet ist, einen


Wendung abhinge, vom Ständchen zum Trinklied, vom Vaterlandsliebe bis zum
süßesten Frühlingsgcsange. Aber so energisch aus all diesen Liedertafeln, Sänger-
kreiscn und Gausä'ngcrbunden ein gewisser Drang nach Vereinigung hervorsteht,
so gewiß ist es auch, das; der Musik herzlich wenig damit genützt wird, und
daß besonders der Gesang patriotischer Lieder gar oft nichts weiter ist, als mehr¬
stimmig gesungenes politisches Kannegießern, dessen wir nunmehr billig über¬
drüssig sein könnten. Wein dieses Urtheil zu hart erscheinen sollte, den ver¬
weisen wir auf die Männergesangsleistungen, welche uns das Fest der leipziger
Schlacht gebracht hat. Wer es mit uns gehört hat, wie man am !8. October
Nachmittags auf offnem Markte, nachdem die herrlichen weverschen Freiheitslieder
verklungen waren, der Volksstimmung keinen würdigeren Ausdruck und Abschluß
zu geben wußte, als daß man das „treue deutsche Herz" von Julius Otto, ein
ganz erbärmliches altes Machwerk, nebst zwei ebenso schlechten neuen Liedern von
C. Kunize (Leipziger Siegeslied) und dem bekannten Schwalbensänger Abt
(Schlachtlied) singen ließ, der wird uns beipflichten, wenn wir auf diesem Boden
wenig von der Zukunft des Männergesanges in nächster Zeit erwarten können.

Ferner hat die überhandnehmende Pflege des Männcrgcsanges einen Nach¬
theil, der allerdings unter besonders günstigen Umständen fast gar nicht, desto
mehr aber vorzüglich da hervortritt, wo nicht eine energische Persönlichkeit ist,
die zu größeren Zwecken auch getrennte Elemente zu vereinigen vermag. Die
Männerstimmen werden immer mehr dem gemischten Chorgesang entfremdet,
der denn doch ganz Anderes zu leisten vermag, alH selbst der beste Männerchor.
Kein Einsichtiger wird dies verkennen, schon manche Klage ist darüber aus¬
gesprochen worden, und es ist nicht zu läugnen, daß die Pflege des gemischten
Chorgesanges an vielen Orten wesentlich durch den Männcrgesang verkümmert
und beeinträchtigt worden ist. — Und doch erscheinen gerade die gut geleiteten
Männergesangvereine als sehr nützliche Vorschulen für die Männerstimmen,
welche nachher bei Aufführung größerer allgemeiner Chorwerke tüchtig geübt
und eingesungen sind. Möchte allerorten das rühmliche Beispiel des kölner
Männergesangvercines und des leipziger (akademischen) Paulinervereines Nach¬
ahmung finden, welche die auf die Ausbildung des Männergesanges gewendete
Sorgfalt und Liebe anch dem gemischten Chor zu gute kommen lassen und
seit langen Jahren eifrige und verläßliche Stützen der Männerstimmen in den
Choraufführungen, jener des Gürzenich, dieser des Gewandhauses sind. Un¬
bestritten sind die Männergesangvereine in der Stadt und auf dem Lande ein
löbliches und dem Edlen zugewendetes Bildungselement, und wir wollen den
großen Vorzug nicht verkennen, den das Hineintragen eines künstlerischen Elements
in die Geselligkeit vor anderen Beschäftigungen hat. Insbesondere der Jugend
steht es wohl an, einige Mußestunden der Pflege eines Kunstzweiges zu wid¬
men, der zwar nicht groß und bedeutend, darum aber gerade geeignet ist, einen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/80>, abgerufen am 24.07.2024.