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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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Hören dargeboten werden mögen, und daß man sich an die große Reibe der
Schöpfungen halte, welche untadelig schön, tief, inhaltlich und formal vollendet,
geistreich und anmuthig sind. Die Musiker unsrer Tage, so wenig ihrer viele
mit unsrer obigen Auffassung zufrieden sein werden, handeln doch in der That
zumeist darnach. Die Schroffheiten und Absonderlichkeiten sind zwar vielen
gar sehr ans Herz gewachsen, und in den Werken dieser Nachfolger will es
Einen zuweilen bedrücken, als ob nur um der Ueberzeugung, um nicht zu sagen der
Partei willen solche Dinge als besondre Blumen oder Erkennungszeichen in Com-
positionen eingeflochten worden wären, die im Uebrigen ein zwar bescheidenes,
aber doch sehr erfreuliches und selbständiges Talent verrathen. Auch bedeutende
Talente halten sich nicht frei von diesem Fehler, allein im Ganzen ist doch der
schumannsche Einfluß mehr in den Komponisten als in ihren Werken sichtbar.
Das heißt, Schumanns ganze Thätigkeit hat tiefer gepackt, hat auf die ge¬
stimmte Naiur der jüngeren Musiker gewirkt, so daß sie, nicht wie früher, aus
dem alten Menschen heraus ueuklingeude Musik, sondern neukliugende Werke
auch aus einer veränderten Natur und einem umgestalteten Innern schaffen.
Dies ist ein Fortschritt, wenn auch nur ein relativer. Denn es ist damit noch
nichts verbannt, als die hohle Phrase und die Lüge, noch nichts gewonnen
als die Aufrichtigkeit im künstlerischen Schaffen, und man sieht, daß dadurch
noch nicht das Product an sich, sondern nur die Art und Weise seiner Ent¬
stehung gefördert ist. Wir verhehlen es nicht, daß uns scheinen will, als ob
sich das Resultat, das Product oft nicht der ganzen Mühe verlohnte, und auch
hier wieder dürfen und müssen wir den Grund für diese Stockung unsrer
Productivität in dem Zustand der Apathie suchen, in welchem wir seit lange
gegenüber unseren höchsten Interessen leben. Vor Jahren war es anders. Als
das politische Problem noch gar nicht in unser Bewußtsein getreten war, mochten
sich die Interessen des Publikums gar leicht auf andere Punkte concentriren.
Seitdem wir aber vom Baume der Erkenntniß gegessen haben, wird uns nicht
eher wieder wohl zu Sinne werden, als bis wir dem erwachten Bedürfniß der
Nation anch nach dieser Seite hin genügt haben werden. Und auch die Kunst
wird gute Wirkungen spüren, es zeigen sich schon jetzt Vorboten davon.

Freilich werden die Enthusiasten nicht Recht behalten, welche behaupten,
daß man von der directen Einwirkung unsres neuerwachten Volkslebens für das
Gedeihen der Kunst viel zu hoffen habe. Zum mindesten hat bei der Musik
der Erfolg bis jetzt eher das Gegentheil bewiesen. Oder ist etwa aus den
Schützen- und Turnfesten bessre Musik gemacht worden als anderswo, etwa bei
unsern Miiitärmusikchörcn, die bekanntlich auf einer sehr bescheidenen Stufe
musikalischer Geschmacksbildung marschiren? Mau wird die Sängerfeste entgegen¬
halten, in denen Deutschlands Jugend in herrlicher Begeisterung das etwas
magre Repertoir des Männergesangs mit Feuer und massenhafter Kraflver-


Hören dargeboten werden mögen, und daß man sich an die große Reibe der
Schöpfungen halte, welche untadelig schön, tief, inhaltlich und formal vollendet,
geistreich und anmuthig sind. Die Musiker unsrer Tage, so wenig ihrer viele
mit unsrer obigen Auffassung zufrieden sein werden, handeln doch in der That
zumeist darnach. Die Schroffheiten und Absonderlichkeiten sind zwar vielen
gar sehr ans Herz gewachsen, und in den Werken dieser Nachfolger will es
Einen zuweilen bedrücken, als ob nur um der Ueberzeugung, um nicht zu sagen der
Partei willen solche Dinge als besondre Blumen oder Erkennungszeichen in Com-
positionen eingeflochten worden wären, die im Uebrigen ein zwar bescheidenes,
aber doch sehr erfreuliches und selbständiges Talent verrathen. Auch bedeutende
Talente halten sich nicht frei von diesem Fehler, allein im Ganzen ist doch der
schumannsche Einfluß mehr in den Komponisten als in ihren Werken sichtbar.
Das heißt, Schumanns ganze Thätigkeit hat tiefer gepackt, hat auf die ge¬
stimmte Naiur der jüngeren Musiker gewirkt, so daß sie, nicht wie früher, aus
dem alten Menschen heraus ueuklingeude Musik, sondern neukliugende Werke
auch aus einer veränderten Natur und einem umgestalteten Innern schaffen.
Dies ist ein Fortschritt, wenn auch nur ein relativer. Denn es ist damit noch
nichts verbannt, als die hohle Phrase und die Lüge, noch nichts gewonnen
als die Aufrichtigkeit im künstlerischen Schaffen, und man sieht, daß dadurch
noch nicht das Product an sich, sondern nur die Art und Weise seiner Ent¬
stehung gefördert ist. Wir verhehlen es nicht, daß uns scheinen will, als ob
sich das Resultat, das Product oft nicht der ganzen Mühe verlohnte, und auch
hier wieder dürfen und müssen wir den Grund für diese Stockung unsrer
Productivität in dem Zustand der Apathie suchen, in welchem wir seit lange
gegenüber unseren höchsten Interessen leben. Vor Jahren war es anders. Als
das politische Problem noch gar nicht in unser Bewußtsein getreten war, mochten
sich die Interessen des Publikums gar leicht auf andere Punkte concentriren.
Seitdem wir aber vom Baume der Erkenntniß gegessen haben, wird uns nicht
eher wieder wohl zu Sinne werden, als bis wir dem erwachten Bedürfniß der
Nation anch nach dieser Seite hin genügt haben werden. Und auch die Kunst
wird gute Wirkungen spüren, es zeigen sich schon jetzt Vorboten davon.

Freilich werden die Enthusiasten nicht Recht behalten, welche behaupten,
daß man von der directen Einwirkung unsres neuerwachten Volkslebens für das
Gedeihen der Kunst viel zu hoffen habe. Zum mindesten hat bei der Musik
der Erfolg bis jetzt eher das Gegentheil bewiesen. Oder ist etwa aus den
Schützen- und Turnfesten bessre Musik gemacht worden als anderswo, etwa bei
unsern Miiitärmusikchörcn, die bekanntlich auf einer sehr bescheidenen Stufe
musikalischer Geschmacksbildung marschiren? Mau wird die Sängerfeste entgegen¬
halten, in denen Deutschlands Jugend in herrlicher Begeisterung das etwas
magre Repertoir des Männergesangs mit Feuer und massenhafter Kraflver-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/79>, abgerufen am 24.07.2024.