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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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fast ganz neue Hemden sowie Stoff zu Uniform, Ueberrock, Beinkleidern und
Mantel, rothes und gelbes Tuch zu Aufschlägen und Kragen bekam. Eins nur
war zu beklagen, außer dem blauen Tuch zur Uniform war nichts nach Vor¬
schrift: das Tuch zu Ueberröcken war anstatt grau meurt kapuzinerbraun meurt, das
Tuch zu Beinkleidern, eine Art Halbkamuck. grünlich grau, das zu den Män¬
teln ebenso. Indeß Noth bricht Eisen und besser eine vorschriftswidrige als
gar keine Kleidung. Ich hatte mit dem Empfange ein paar Stunden zu thun,
und als ich endlich mit den Sachen in meinem Quartier ankam und es ver¬
theilen wollte, waren meine Kameraden fort, weil sie erfahren hatten, daß das
Hauptquartier ausbräche und wir nun nicht mehr sicher wären.

Dies war am 24. Februar. Ich lief nun gleich aus die Mairie, mir einen
Wagen zu besorgen; aber da war alles in der größten Verwirrung. Alle dis¬
poniblen Pferde seien vergeben, hieß es, und nicht ein Huf mehr zu haben.
Da war guter Rath theuer. -- Geld hatte ich zwar in der Tasche, die Menge
des Materials aber konnte ich ohne Wagen durchaus nicht fortschaffen. Doch
wenn die Noth am größten, ist die Hilfe am nächsten. Ein freiwilliger Jäger
sah meine Verzweiflung und sagte: "Herr Lieutenant, ich habe einen großen
Karren mit zwei Pferden; ich kann Sie mitnehmen, ich bin als Offizier zu
den bergischen Truppen versetzt, die im Großherzogthum errichtet werden, und
bin im Begriff, dahin abzureisen." "O," sagte ich, "Sie sind mir ja ein
wahrer Engel vom Himmel, lieber Kamerad, aber ich habe zwei Leute bei
mir und dies Material." "Das kann alles mit fortkommen, und ich bin froh,
daß ich nicht allein reisen muß. Ein Einzelner, wie ich, ist ja nicht sicher
und kann todtgeschlagen werden, er weiß nicht wie." Abgemacht; er kam mit
seinem Karren und zwei tüchtigen Pferden nach meinem Quartier, wo wir erst
noch etwas zu Mittag aßen und dann nach Vendeuvre ausbrachen, zehn Lieues
von Troyes, wohin meine Kameraden gegangen waren. Abends spät kamen
wir an, es gelang mir, zu einem von meinen Kameraden ins Quartier zu
kommen, und des anderen Tages vertheilte ich das mitgebrachte Tuch, welches
sie natürlich mit großer Freude empfingen.

Es lag mir nun daran, mir Kleidungsstücke machen zu lassen, zu welchem
Ende ich eine etwas größere Stadt aufsuchen mußte, die auf der Linie lag,
wohin auch das Hauptquartier kommen würde, wenn der Rückzug weiter fort¬
gesetzt werden sollte. Ich trennte mich daher von meinen Leidensgefährten und
begab mich ohne Aufenthalt nach Bar für Aube, woselbst ich, wenn ich nicht
irre, denselben noch Abend ankam. Ich erhielt mein Quartier bei einem Advocaten
Namens Angenou. Als ich aber am Morgen aufwachte, waren meine Augen
zugeschworen, so daß ich sie erst nach langem Erweichen mit Wasser wieder
öffnen konnte, auch waren sie ganz entzündet. Meine braven Wirthsleute
nahmen den innigsten Antheil und ließen gleich ihren Arzt holen, der mir ein


fast ganz neue Hemden sowie Stoff zu Uniform, Ueberrock, Beinkleidern und
Mantel, rothes und gelbes Tuch zu Aufschlägen und Kragen bekam. Eins nur
war zu beklagen, außer dem blauen Tuch zur Uniform war nichts nach Vor¬
schrift: das Tuch zu Ueberröcken war anstatt grau meurt kapuzinerbraun meurt, das
Tuch zu Beinkleidern, eine Art Halbkamuck. grünlich grau, das zu den Män¬
teln ebenso. Indeß Noth bricht Eisen und besser eine vorschriftswidrige als
gar keine Kleidung. Ich hatte mit dem Empfange ein paar Stunden zu thun,
und als ich endlich mit den Sachen in meinem Quartier ankam und es ver¬
theilen wollte, waren meine Kameraden fort, weil sie erfahren hatten, daß das
Hauptquartier ausbräche und wir nun nicht mehr sicher wären.

Dies war am 24. Februar. Ich lief nun gleich aus die Mairie, mir einen
Wagen zu besorgen; aber da war alles in der größten Verwirrung. Alle dis¬
poniblen Pferde seien vergeben, hieß es, und nicht ein Huf mehr zu haben.
Da war guter Rath theuer. — Geld hatte ich zwar in der Tasche, die Menge
des Materials aber konnte ich ohne Wagen durchaus nicht fortschaffen. Doch
wenn die Noth am größten, ist die Hilfe am nächsten. Ein freiwilliger Jäger
sah meine Verzweiflung und sagte: „Herr Lieutenant, ich habe einen großen
Karren mit zwei Pferden; ich kann Sie mitnehmen, ich bin als Offizier zu
den bergischen Truppen versetzt, die im Großherzogthum errichtet werden, und
bin im Begriff, dahin abzureisen." „O," sagte ich, „Sie sind mir ja ein
wahrer Engel vom Himmel, lieber Kamerad, aber ich habe zwei Leute bei
mir und dies Material." „Das kann alles mit fortkommen, und ich bin froh,
daß ich nicht allein reisen muß. Ein Einzelner, wie ich, ist ja nicht sicher
und kann todtgeschlagen werden, er weiß nicht wie." Abgemacht; er kam mit
seinem Karren und zwei tüchtigen Pferden nach meinem Quartier, wo wir erst
noch etwas zu Mittag aßen und dann nach Vendeuvre ausbrachen, zehn Lieues
von Troyes, wohin meine Kameraden gegangen waren. Abends spät kamen
wir an, es gelang mir, zu einem von meinen Kameraden ins Quartier zu
kommen, und des anderen Tages vertheilte ich das mitgebrachte Tuch, welches
sie natürlich mit großer Freude empfingen.

Es lag mir nun daran, mir Kleidungsstücke machen zu lassen, zu welchem
Ende ich eine etwas größere Stadt aufsuchen mußte, die auf der Linie lag,
wohin auch das Hauptquartier kommen würde, wenn der Rückzug weiter fort¬
gesetzt werden sollte. Ich trennte mich daher von meinen Leidensgefährten und
begab mich ohne Aufenthalt nach Bar für Aube, woselbst ich, wenn ich nicht
irre, denselben noch Abend ankam. Ich erhielt mein Quartier bei einem Advocaten
Namens Angenou. Als ich aber am Morgen aufwachte, waren meine Augen
zugeschworen, so daß ich sie erst nach langem Erweichen mit Wasser wieder
öffnen konnte, auch waren sie ganz entzündet. Meine braven Wirthsleute
nahmen den innigsten Antheil und ließen gleich ihren Arzt holen, der mir ein


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/70>, abgerufen am 24.07.2024.