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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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unserm Regiment und ich, früh spätestens um neun Ubr uns aufmachen und beim
Commandanten des königlichen Hauptquartiers, Hauptmann v. Pi .. . . o uns
melden und um Mittel petitioniren sollten, uns zu kleiden und weiter zu
kommen. Dies wurde denn auch ausgeführt. Wir wurden bei dem Herrn
Hauptmann vorgelassen und brachten unser Gesuch an. Allein trotzdem, daß
Metzig in seiner einfachen Uniform ohne Ueberrock oder Mantel, mit dem kreuz¬
weis verbundenen Kopfe, über und über mit Blut befleckt erschien und ich den
französischen weißen Kürassiermantel, den ich in Montmirail, als wir befreit
waren, einem Franzosen abgenommen hatte, auseinanderschlug und meine de-
fecten, zerrissenen Jnexprcssiblcs, meine verbundenen kranken Füße zeigte, wur¬
den wir mit wenig Theilnahme empfangen. Der Hauptmann bedeutete uns,
wir möchten sehen, wie wir uns selbst halfen; er könne nichts für uns thun;
es sei hier alles so im Wirrwarr, daß an Geld und Kleidungsstücke nickt zu
denken sei. Empört verließen wir den Herrn Kameraden und beschlossen, vor dem
Hause stehen zu bleiben und irgend einen Adjutanten des Königs zu erwarten.

Da siel mir ein. daß mein Hauptmann aus der Campagne von 1806/7,
nun Oberst und Flügeladjutant des Königs, sick hier befinden müsse, und ich
sagte dies Metzig mit dem Bemerken: er möge warten, ick wolle zu dem Ober¬
sten gehen. Sein Quartier war neben dem Sr. Majestät; ick fand ihn bald
und bat um seinen Rath. Cr schoß mir zwei Friedrichsdor vor, indem er
hinzufügte, er habe in dieser Noth selbst keine großen Mittel, wolle aber mit
dem Könige sprechen und ihm unsere Lage vortragen. Ich kam zu Metzig zu¬
rück, fand ihn im Gespräch mit einem jungen Prinzen, unserm jetzigen König
Wilhelm, und hörte, wie dieser zu dem Lieutenant sagte: "Bleiben Sie hier
und warten Sie; ich werde es dem Bater sagen." Damit lief er ins Haus
zurück. Ich fragte meinen Kameraden: "Wer war das?" -- "Ich weiß nicht,
es muß einer unserer Prinzen sein", sagte er. "Ich bleibe nicht hier; das
könnte uns schlecht bekommen." -- "Warum denn?" fragte ich. -- "Nein, ich habe
den Hauptmann verklagt, und da kann es uns schleckt gehen." Trotz meines
Zuredens war er nicht zu bewegen, zu warten, und da er ein älterer Offizier
war, -- er war früher Feldwebel gewesen und ein erfahrnerer Mann -- fügte
ich mich, und wir begaben uns weg. Ich ging nun, um ein paar gute Strümpfe
zu suchen, die ich auch von schönster Qualität fand, die aber so lang waren,
daß sie mir weit übers Knie gingen, auch waren sie theuer; denn sie kosteten
fünfzehn Franken, da ich aber keine anderen bekommen konnte, mußten sie mir
recht sein. Ferner besorgte ich mir ein paar bequeme Schuhe, welche ich ohne
große Schmerzen an meinen wunden Füßen tragen konnte. Nun besah ich mir
die Stadt, die nicht unbedeutend ist, und da begegnete mir der Hauptmann und
Commandant des Hauptquartiers, der miet wahrscheinlich an meinem französischen
Mantel sofort wieder erkannte, aus mich zutrat und sehr artig fragte: "Sie


unserm Regiment und ich, früh spätestens um neun Ubr uns aufmachen und beim
Commandanten des königlichen Hauptquartiers, Hauptmann v. Pi .. . . o uns
melden und um Mittel petitioniren sollten, uns zu kleiden und weiter zu
kommen. Dies wurde denn auch ausgeführt. Wir wurden bei dem Herrn
Hauptmann vorgelassen und brachten unser Gesuch an. Allein trotzdem, daß
Metzig in seiner einfachen Uniform ohne Ueberrock oder Mantel, mit dem kreuz¬
weis verbundenen Kopfe, über und über mit Blut befleckt erschien und ich den
französischen weißen Kürassiermantel, den ich in Montmirail, als wir befreit
waren, einem Franzosen abgenommen hatte, auseinanderschlug und meine de-
fecten, zerrissenen Jnexprcssiblcs, meine verbundenen kranken Füße zeigte, wur¬
den wir mit wenig Theilnahme empfangen. Der Hauptmann bedeutete uns,
wir möchten sehen, wie wir uns selbst halfen; er könne nichts für uns thun;
es sei hier alles so im Wirrwarr, daß an Geld und Kleidungsstücke nickt zu
denken sei. Empört verließen wir den Herrn Kameraden und beschlossen, vor dem
Hause stehen zu bleiben und irgend einen Adjutanten des Königs zu erwarten.

Da siel mir ein. daß mein Hauptmann aus der Campagne von 1806/7,
nun Oberst und Flügeladjutant des Königs, sick hier befinden müsse, und ich
sagte dies Metzig mit dem Bemerken: er möge warten, ick wolle zu dem Ober¬
sten gehen. Sein Quartier war neben dem Sr. Majestät; ick fand ihn bald
und bat um seinen Rath. Cr schoß mir zwei Friedrichsdor vor, indem er
hinzufügte, er habe in dieser Noth selbst keine großen Mittel, wolle aber mit
dem Könige sprechen und ihm unsere Lage vortragen. Ich kam zu Metzig zu¬
rück, fand ihn im Gespräch mit einem jungen Prinzen, unserm jetzigen König
Wilhelm, und hörte, wie dieser zu dem Lieutenant sagte: „Bleiben Sie hier
und warten Sie; ich werde es dem Bater sagen." Damit lief er ins Haus
zurück. Ich fragte meinen Kameraden: „Wer war das?" — „Ich weiß nicht,
es muß einer unserer Prinzen sein", sagte er. „Ich bleibe nicht hier; das
könnte uns schlecht bekommen." — „Warum denn?" fragte ich. — „Nein, ich habe
den Hauptmann verklagt, und da kann es uns schleckt gehen." Trotz meines
Zuredens war er nicht zu bewegen, zu warten, und da er ein älterer Offizier
war, — er war früher Feldwebel gewesen und ein erfahrnerer Mann — fügte
ich mich, und wir begaben uns weg. Ich ging nun, um ein paar gute Strümpfe
zu suchen, die ich auch von schönster Qualität fand, die aber so lang waren,
daß sie mir weit übers Knie gingen, auch waren sie theuer; denn sie kosteten
fünfzehn Franken, da ich aber keine anderen bekommen konnte, mußten sie mir
recht sein. Ferner besorgte ich mir ein paar bequeme Schuhe, welche ich ohne
große Schmerzen an meinen wunden Füßen tragen konnte. Nun besah ich mir
die Stadt, die nicht unbedeutend ist, und da begegnete mir der Hauptmann und
Commandant des Hauptquartiers, der miet wahrscheinlich an meinem französischen
Mantel sofort wieder erkannte, aus mich zutrat und sehr artig fragte: „Sie


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/68>, abgerufen am 24.07.2024.