Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

wir nach Troyes zu gehen, wo das große Hauptquartier und auch das unsers
Königs sein sollte.

Gegen Abend erreichten wir ein ansehnliches Dorf, dessen Namen ich nicht
mehr weiß, wo wir Quartier erhielten und der größern Sicherheit wegen mit
unsern Burschen zusammenblieben. Die erste Frage war nach einem Wund¬
arzt, weil der Lieutenant v. Mikusch und Metzig. seit zwei Tagen nicht ver¬
bunden, große Schmerzen litten. Es war ein solcher im Dorfe vorhanden, und
unser Wirth versprach, daß er am andern Morgen zur Stelle sein solle. Er
kam auch wirtlich und war bereit, die Wunden zu untersuchen und zu ver¬
binden. Es schien ein geschickter Mann zu sein. Einer von uns unterstützte
ihn, indem er ein Gefäß hielt, um den alten Verband aufzunehmen, v. Mi¬
kusch wurde zuerst vorgenommen, die Wunde roch aber so widerlich, daß dem
Assistenten übel wurde. Einem anderen, der an seine Stelle trat, ging es
nicht besser. Zuletzt übernahm ich es, indem ich mich über ihre Weichlichkeit
moquirte: indeß, nachdem ich es etwa zehn Minuten ausgehalten hatte, länger
als jeder andere, wurde mir so eigenthümlich zu Muthe, daß ich beinah um¬
gefallen wäre und kaum das Becken abgeben konnte. Der Lieutenant sah auch
gräßlich aus! es war ihm unter einem der Ohren der Kinnbackenknochen durch¬
gehauen worden und die Wunde klaffte so auseinander, daß man beinah einen
Finger, und nicht etwa blos den kleinen, hineinlegen konnte -- in meinem
Leben hatte ich noch keine solche Verletzung gesehen. Wenn man bedenkt, daß
er die Nacht vom 14. zum 15. auf dem Schlachtfelde liegen geblieben und
jetzt seit dreimal vierundzwanzig Stunden nicht mehr verbunden war, so
ist es zu verwundern, daß er noch lebte.

So setzten wir unsern Marsch fort, und zwar wegen der Verwundeten
sehr langsam. Am 21. oder 22. kamen wir nach 9 Uhr Abends in Troyes
an, wo der Hauptmann und ich. als die mobilsten es übernahmen, zum Com¬
mandanten zu gehen und Quartier für uns zu besorgen. Dies war ein russi¬
scher Capitän. der uns ziemlich unfreundlich empfing und Umstände machte
uns unterzubringen. Der Hauptmann jedoch sagte ihm sehr ernst seine Mei¬
nung und drohte, sofort zum russischen Kaiser zu dringen und sich über seinen
Mangel an Kameradschaft zu beschweren, er sei Commandant und es sei seine
Schuldigkeit, für das Unterkommen jedes Soldaten zu sorgen, um wie viel mehr
für im Elende sich befindende preußische Offiziere. Das half, und er gab uns
für uns und unsere Burschen eine Anweisung, mit welcher wir auf die Mairie
gingen und alle zusammen ein Quartier in einem sehr guten Hotel erhielten.
Wie behaglich es war, nach einem guten Abendessen in einem guten Bette ruhen zu
können, kann nur der begreifen, welcher solche Strapatzen durchgemacht hat wie wir.

Ehe wir uns niederlegten, wurde Rath gehalten, was morgen zu thun
sei, und man kam zu dem Beschluß, daß zwei von uns, Lieutenant Metzig von


Grenzboten I. 1864. 8

wir nach Troyes zu gehen, wo das große Hauptquartier und auch das unsers
Königs sein sollte.

Gegen Abend erreichten wir ein ansehnliches Dorf, dessen Namen ich nicht
mehr weiß, wo wir Quartier erhielten und der größern Sicherheit wegen mit
unsern Burschen zusammenblieben. Die erste Frage war nach einem Wund¬
arzt, weil der Lieutenant v. Mikusch und Metzig. seit zwei Tagen nicht ver¬
bunden, große Schmerzen litten. Es war ein solcher im Dorfe vorhanden, und
unser Wirth versprach, daß er am andern Morgen zur Stelle sein solle. Er
kam auch wirtlich und war bereit, die Wunden zu untersuchen und zu ver¬
binden. Es schien ein geschickter Mann zu sein. Einer von uns unterstützte
ihn, indem er ein Gefäß hielt, um den alten Verband aufzunehmen, v. Mi¬
kusch wurde zuerst vorgenommen, die Wunde roch aber so widerlich, daß dem
Assistenten übel wurde. Einem anderen, der an seine Stelle trat, ging es
nicht besser. Zuletzt übernahm ich es, indem ich mich über ihre Weichlichkeit
moquirte: indeß, nachdem ich es etwa zehn Minuten ausgehalten hatte, länger
als jeder andere, wurde mir so eigenthümlich zu Muthe, daß ich beinah um¬
gefallen wäre und kaum das Becken abgeben konnte. Der Lieutenant sah auch
gräßlich aus! es war ihm unter einem der Ohren der Kinnbackenknochen durch¬
gehauen worden und die Wunde klaffte so auseinander, daß man beinah einen
Finger, und nicht etwa blos den kleinen, hineinlegen konnte — in meinem
Leben hatte ich noch keine solche Verletzung gesehen. Wenn man bedenkt, daß
er die Nacht vom 14. zum 15. auf dem Schlachtfelde liegen geblieben und
jetzt seit dreimal vierundzwanzig Stunden nicht mehr verbunden war, so
ist es zu verwundern, daß er noch lebte.

So setzten wir unsern Marsch fort, und zwar wegen der Verwundeten
sehr langsam. Am 21. oder 22. kamen wir nach 9 Uhr Abends in Troyes
an, wo der Hauptmann und ich. als die mobilsten es übernahmen, zum Com¬
mandanten zu gehen und Quartier für uns zu besorgen. Dies war ein russi¬
scher Capitän. der uns ziemlich unfreundlich empfing und Umstände machte
uns unterzubringen. Der Hauptmann jedoch sagte ihm sehr ernst seine Mei¬
nung und drohte, sofort zum russischen Kaiser zu dringen und sich über seinen
Mangel an Kameradschaft zu beschweren, er sei Commandant und es sei seine
Schuldigkeit, für das Unterkommen jedes Soldaten zu sorgen, um wie viel mehr
für im Elende sich befindende preußische Offiziere. Das half, und er gab uns
für uns und unsere Burschen eine Anweisung, mit welcher wir auf die Mairie
gingen und alle zusammen ein Quartier in einem sehr guten Hotel erhielten.
Wie behaglich es war, nach einem guten Abendessen in einem guten Bette ruhen zu
können, kann nur der begreifen, welcher solche Strapatzen durchgemacht hat wie wir.

Ehe wir uns niederlegten, wurde Rath gehalten, was morgen zu thun
sei, und man kam zu dem Beschluß, daß zwei von uns, Lieutenant Metzig von


Grenzboten I. 1864. 8
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0067" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/116532"/>
          <p xml:id="ID_166" prev="#ID_165"> wir nach Troyes zu gehen, wo das große Hauptquartier und auch das unsers<lb/>
Königs sein sollte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_167"> Gegen Abend erreichten wir ein ansehnliches Dorf, dessen Namen ich nicht<lb/>
mehr weiß, wo wir Quartier erhielten und der größern Sicherheit wegen mit<lb/>
unsern Burschen zusammenblieben. Die erste Frage war nach einem Wund¬<lb/>
arzt, weil der Lieutenant v. Mikusch und Metzig. seit zwei Tagen nicht ver¬<lb/>
bunden, große Schmerzen litten. Es war ein solcher im Dorfe vorhanden, und<lb/>
unser Wirth versprach, daß er am andern Morgen zur Stelle sein solle. Er<lb/>
kam auch wirtlich und war bereit, die Wunden zu untersuchen und zu ver¬<lb/>
binden. Es schien ein geschickter Mann zu sein. Einer von uns unterstützte<lb/>
ihn, indem er ein Gefäß hielt, um den alten Verband aufzunehmen, v. Mi¬<lb/>
kusch wurde zuerst vorgenommen, die Wunde roch aber so widerlich, daß dem<lb/>
Assistenten übel wurde. Einem anderen, der an seine Stelle trat, ging es<lb/>
nicht besser. Zuletzt übernahm ich es, indem ich mich über ihre Weichlichkeit<lb/>
moquirte: indeß, nachdem ich es etwa zehn Minuten ausgehalten hatte, länger<lb/>
als jeder andere, wurde mir so eigenthümlich zu Muthe, daß ich beinah um¬<lb/>
gefallen wäre und kaum das Becken abgeben konnte. Der Lieutenant sah auch<lb/>
gräßlich aus! es war ihm unter einem der Ohren der Kinnbackenknochen durch¬<lb/>
gehauen worden und die Wunde klaffte so auseinander, daß man beinah einen<lb/>
Finger, und nicht etwa blos den kleinen, hineinlegen konnte &#x2014; in meinem<lb/>
Leben hatte ich noch keine solche Verletzung gesehen. Wenn man bedenkt, daß<lb/>
er die Nacht vom 14. zum 15. auf dem Schlachtfelde liegen geblieben und<lb/>
jetzt seit dreimal vierundzwanzig Stunden nicht mehr verbunden war, so<lb/>
ist es zu verwundern, daß er noch lebte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_168"> So setzten wir unsern Marsch fort, und zwar wegen der Verwundeten<lb/>
sehr langsam. Am 21. oder 22. kamen wir nach 9 Uhr Abends in Troyes<lb/>
an, wo der Hauptmann und ich. als die mobilsten es übernahmen, zum Com¬<lb/>
mandanten zu gehen und Quartier für uns zu besorgen. Dies war ein russi¬<lb/>
scher Capitän. der uns ziemlich unfreundlich empfing und Umstände machte<lb/>
uns unterzubringen. Der Hauptmann jedoch sagte ihm sehr ernst seine Mei¬<lb/>
nung und drohte, sofort zum russischen Kaiser zu dringen und sich über seinen<lb/>
Mangel an Kameradschaft zu beschweren, er sei Commandant und es sei seine<lb/>
Schuldigkeit, für das Unterkommen jedes Soldaten zu sorgen, um wie viel mehr<lb/>
für im Elende sich befindende preußische Offiziere. Das half, und er gab uns<lb/>
für uns und unsere Burschen eine Anweisung, mit welcher wir auf die Mairie<lb/>
gingen und alle zusammen ein Quartier in einem sehr guten Hotel erhielten.<lb/>
Wie behaglich es war, nach einem guten Abendessen in einem guten Bette ruhen zu<lb/>
können, kann nur der begreifen, welcher solche Strapatzen durchgemacht hat wie wir.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_169" next="#ID_170"> Ehe wir uns niederlegten, wurde Rath gehalten, was morgen zu thun<lb/>
sei, und man kam zu dem Beschluß, daß zwei von uns, Lieutenant Metzig von</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten I. 1864. 8</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0067] wir nach Troyes zu gehen, wo das große Hauptquartier und auch das unsers Königs sein sollte. Gegen Abend erreichten wir ein ansehnliches Dorf, dessen Namen ich nicht mehr weiß, wo wir Quartier erhielten und der größern Sicherheit wegen mit unsern Burschen zusammenblieben. Die erste Frage war nach einem Wund¬ arzt, weil der Lieutenant v. Mikusch und Metzig. seit zwei Tagen nicht ver¬ bunden, große Schmerzen litten. Es war ein solcher im Dorfe vorhanden, und unser Wirth versprach, daß er am andern Morgen zur Stelle sein solle. Er kam auch wirtlich und war bereit, die Wunden zu untersuchen und zu ver¬ binden. Es schien ein geschickter Mann zu sein. Einer von uns unterstützte ihn, indem er ein Gefäß hielt, um den alten Verband aufzunehmen, v. Mi¬ kusch wurde zuerst vorgenommen, die Wunde roch aber so widerlich, daß dem Assistenten übel wurde. Einem anderen, der an seine Stelle trat, ging es nicht besser. Zuletzt übernahm ich es, indem ich mich über ihre Weichlichkeit moquirte: indeß, nachdem ich es etwa zehn Minuten ausgehalten hatte, länger als jeder andere, wurde mir so eigenthümlich zu Muthe, daß ich beinah um¬ gefallen wäre und kaum das Becken abgeben konnte. Der Lieutenant sah auch gräßlich aus! es war ihm unter einem der Ohren der Kinnbackenknochen durch¬ gehauen worden und die Wunde klaffte so auseinander, daß man beinah einen Finger, und nicht etwa blos den kleinen, hineinlegen konnte — in meinem Leben hatte ich noch keine solche Verletzung gesehen. Wenn man bedenkt, daß er die Nacht vom 14. zum 15. auf dem Schlachtfelde liegen geblieben und jetzt seit dreimal vierundzwanzig Stunden nicht mehr verbunden war, so ist es zu verwundern, daß er noch lebte. So setzten wir unsern Marsch fort, und zwar wegen der Verwundeten sehr langsam. Am 21. oder 22. kamen wir nach 9 Uhr Abends in Troyes an, wo der Hauptmann und ich. als die mobilsten es übernahmen, zum Com¬ mandanten zu gehen und Quartier für uns zu besorgen. Dies war ein russi¬ scher Capitän. der uns ziemlich unfreundlich empfing und Umstände machte uns unterzubringen. Der Hauptmann jedoch sagte ihm sehr ernst seine Mei¬ nung und drohte, sofort zum russischen Kaiser zu dringen und sich über seinen Mangel an Kameradschaft zu beschweren, er sei Commandant und es sei seine Schuldigkeit, für das Unterkommen jedes Soldaten zu sorgen, um wie viel mehr für im Elende sich befindende preußische Offiziere. Das half, und er gab uns für uns und unsere Burschen eine Anweisung, mit welcher wir auf die Mairie gingen und alle zusammen ein Quartier in einem sehr guten Hotel erhielten. Wie behaglich es war, nach einem guten Abendessen in einem guten Bette ruhen zu können, kann nur der begreifen, welcher solche Strapatzen durchgemacht hat wie wir. Ehe wir uns niederlegten, wurde Rath gehalten, was morgen zu thun sei, und man kam zu dem Beschluß, daß zwei von uns, Lieutenant Metzig von Grenzboten I. 1864. 8

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/67
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/67>, abgerufen am 24.07.2024.