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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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dem Jahr 1869, von denen das erste eine sehr gelungene Satire auf die poli¬
tischen Philister und Feinriecher ist, sich unter die Fahne des schwäbischen
Dichterbuchs gestellt hat. Sollten etwa selbst diese Episteln, die doch sicher
sehr ungefährlichen Inhalts sind, für die Aufnahme in das Münchener Buch
zu verdächtig gewesen sein? Dann bleibt es nur zu verwundern, daß kürzlich
im Hinblick auf die eben jetzt brennende Frage im Morgenblatt zur bayerischen
Zeitung, das bekanntlich von I. Grosse redigirt wird, die Klage laut wurde:
"Warum sind die Münchener Dichter in dieser patriotischen Sache so stumm,
daß nicht Einer bisher kräftige Klänge ertönen ließ? Ist kein Tyrtäus unter
ihnen?" Die Frage scheint sich uns nach dem Obigen von selbst zu beantworten.
Immerhin aber nehmen wir gern Notiz davon, daß jener Mangel in München
^. selbst gefühlt und diesem Gefühl Ausdruck gegeben worden ist,




Heute vor fünfzig Jahren.
Erinnerungen eines Veteranen aus dem Feldzug von 1814 .
2.
Meine Gefangenschaft und die Befreiung.

Wie unglücklich ich mich fühlte, Gefangener zu sein, wie ich lieber todt
gewesen wäre, brauche ich nicht zu schildern; genug, ich war in Verzweiflung.
Ich hatte in der letzten Zeit viel Mißgeschick erduldet. Im letzten Gefecht, das
wir 1812 in Kurland hatten (1. October, an der Garosse) war ich, eine halbe
Stunde etwa bevor es aufhörte, schwer verwundet worden. Am 17. Septem¬
ber 1813, drei Wochen nach der Schlacht bei Dresden, einer Zeit, wo ich fast
täglich im Gefecht gewesen, war ich wieder verwundet worden, was um so
schlimmer war, als ich dadurch verhindert wurde, der großen Siegesschlacht bei
Leipzig beizuwohnen. Das alles ging mir jetzt durch den Sinn, und nun gar
in der Gewalt des Feindes!

Die Franzosen mißhandelten mich indeß wenigstens nicht. Sie brachten


Grenzboten I. 1864. , 7

dem Jahr 1869, von denen das erste eine sehr gelungene Satire auf die poli¬
tischen Philister und Feinriecher ist, sich unter die Fahne des schwäbischen
Dichterbuchs gestellt hat. Sollten etwa selbst diese Episteln, die doch sicher
sehr ungefährlichen Inhalts sind, für die Aufnahme in das Münchener Buch
zu verdächtig gewesen sein? Dann bleibt es nur zu verwundern, daß kürzlich
im Hinblick auf die eben jetzt brennende Frage im Morgenblatt zur bayerischen
Zeitung, das bekanntlich von I. Grosse redigirt wird, die Klage laut wurde:
„Warum sind die Münchener Dichter in dieser patriotischen Sache so stumm,
daß nicht Einer bisher kräftige Klänge ertönen ließ? Ist kein Tyrtäus unter
ihnen?" Die Frage scheint sich uns nach dem Obigen von selbst zu beantworten.
Immerhin aber nehmen wir gern Notiz davon, daß jener Mangel in München
^. selbst gefühlt und diesem Gefühl Ausdruck gegeben worden ist,




Heute vor fünfzig Jahren.
Erinnerungen eines Veteranen aus dem Feldzug von 1814 .
2.
Meine Gefangenschaft und die Befreiung.

Wie unglücklich ich mich fühlte, Gefangener zu sein, wie ich lieber todt
gewesen wäre, brauche ich nicht zu schildern; genug, ich war in Verzweiflung.
Ich hatte in der letzten Zeit viel Mißgeschick erduldet. Im letzten Gefecht, das
wir 1812 in Kurland hatten (1. October, an der Garosse) war ich, eine halbe
Stunde etwa bevor es aufhörte, schwer verwundet worden. Am 17. Septem¬
ber 1813, drei Wochen nach der Schlacht bei Dresden, einer Zeit, wo ich fast
täglich im Gefecht gewesen, war ich wieder verwundet worden, was um so
schlimmer war, als ich dadurch verhindert wurde, der großen Siegesschlacht bei
Leipzig beizuwohnen. Das alles ging mir jetzt durch den Sinn, und nun gar
in der Gewalt des Feindes!

Die Franzosen mißhandelten mich indeß wenigstens nicht. Sie brachten


Grenzboten I. 1864. , 7
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[0059] dem Jahr 1869, von denen das erste eine sehr gelungene Satire auf die poli¬ tischen Philister und Feinriecher ist, sich unter die Fahne des schwäbischen Dichterbuchs gestellt hat. Sollten etwa selbst diese Episteln, die doch sicher sehr ungefährlichen Inhalts sind, für die Aufnahme in das Münchener Buch zu verdächtig gewesen sein? Dann bleibt es nur zu verwundern, daß kürzlich im Hinblick auf die eben jetzt brennende Frage im Morgenblatt zur bayerischen Zeitung, das bekanntlich von I. Grosse redigirt wird, die Klage laut wurde: „Warum sind die Münchener Dichter in dieser patriotischen Sache so stumm, daß nicht Einer bisher kräftige Klänge ertönen ließ? Ist kein Tyrtäus unter ihnen?" Die Frage scheint sich uns nach dem Obigen von selbst zu beantworten. Immerhin aber nehmen wir gern Notiz davon, daß jener Mangel in München ^. selbst gefühlt und diesem Gefühl Ausdruck gegeben worden ist, Heute vor fünfzig Jahren. Erinnerungen eines Veteranen aus dem Feldzug von 1814 . 2. Meine Gefangenschaft und die Befreiung. Wie unglücklich ich mich fühlte, Gefangener zu sein, wie ich lieber todt gewesen wäre, brauche ich nicht zu schildern; genug, ich war in Verzweiflung. Ich hatte in der letzten Zeit viel Mißgeschick erduldet. Im letzten Gefecht, das wir 1812 in Kurland hatten (1. October, an der Garosse) war ich, eine halbe Stunde etwa bevor es aufhörte, schwer verwundet worden. Am 17. Septem¬ ber 1813, drei Wochen nach der Schlacht bei Dresden, einer Zeit, wo ich fast täglich im Gefecht gewesen, war ich wieder verwundet worden, was um so schlimmer war, als ich dadurch verhindert wurde, der großen Siegesschlacht bei Leipzig beizuwohnen. Das alles ging mir jetzt durch den Sinn, und nun gar in der Gewalt des Feindes! Die Franzosen mißhandelten mich indeß wenigstens nicht. Sie brachten Grenzboten I. 1864. , 7

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/59>, abgerufen am 24.07.2024.