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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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mich auf das Schloß, ein großes altes Gebäude, und da fand ich Leidensge¬
fährten! meinen Commandeur, den Major v. S. und noch zwei Offiziere des
Bataillons, auch mehre von den andern Regimentern. F. war nicht darun¬
ter, also glücklich davon gekommen. Es war ein schlechter Trost, aber doch
ein Trost, die Schmach, gefangen zu sein, nicht allein tragen zu dürfen. Trotz
der furchtbaren Ermüdung, des unerträglichen Durstes und auch des Hungers,
-- denn seit dem Frühstück hatte ich nichts gegessen -- faßte ich allmälig wie¬
der Muth. Als ein junges Dienstmädchen vorbeiging, die aus dem Hause zu sein
schien, redete ich sie in ihrer Sprache an, und als sie diese hörte, versprach sie
mir auf meine Bitte, mir etwas Brod und Wasser zu bringen. Sie sah mich
mitleidig an, sagte, ich solle nur da stehen bleiben, damit sie mich wiederfände,
und hielt dann Wort, indem sie mir ein Stück schwarzes Brod und einen Krug
mit Wasser brachte. Ich leerte denselben mit einem Zuge und bat, erquickt,
aber noch immer erschöpft, mit "sireorö!" um noch einen. Sie brachte mir
einen zweiten, den ich ebenfalls sofort leerte, und nun erst konnte ich essen.
Einen solchen fürchterlichen Durst habe ich später nur noch einmal, im Jahre
1849, als ich die Cholera hatte, empfunden. Erfrischt konnte ich nun den
Marsch antreten; denn wir wurden gleich in der Nacht noch weiter transpor-
tirt. Es war tüchtig kalt, und meine Stiefel, in dem durch die schon sehr
warme Februarsonnc aufgethauten und aufgeweichten Boden in- und auswen¬
dig ganz durchnäßt, froren an den Füßen knochenhart. Der Marsch sollte
nicht weit gehen, es wurde langsam marschirt, öfter angehalten, und viele mei¬
ner Mitgefangenen, auch von Durst geplagt, schlugen mit ihren Absätzen Löcher
in den mit Wasser gefüllten zugefrornen Chausseegraben, warfen sich an die
Erde und tranken so, wie die durstigen Thiere, aus einer Pfütze. Wir kamen
an ein Dorf, da rief mich unser Major zu sich; ich solle, sagte er mir, da ich
der Sprache mächtig sei, den unsere Escorte commandirenden Offizier bitten,
einige Minuten halten und ihm ein wenig Wasser geben zu lassen, wobei er
mir einprägte, aber ja recht höflich zu sein. Ich that es, konnte mich jedoch
nicht enthalten, über seine große Demuth innerlich Glossen zu machen, da ich
nach meiner frühern Erfahrung in Betreff seines Charakters ihn einer solchen
plötzlichen Umänderung gar nicht für fähig gehalten hatte. Der Offizier war
menschlich genug, die Bitte zu erfüllen, und so tranken viele meiner Leidens¬
genossen mit und wurden gestärkt.

Wir legten im Ganzen etwa drei Biertelmeilen zurück und kamen bei einem
französischen Bivouak an. wo uns erlaubt wurde, aus Feuer zu treten, um
uns zu erwärmen, wir könnten uns auch niederlegen, hieß es. wenn wir woll¬
ten. Es waren Gebäude in der Nähe, ich bemerkte einen Stall, wie er bei
Wirthshäusern an der Straße zu sein Pflegt, ging hinein, suchte einen Win¬
kel und fand einen, in welchem schon ein Mensch lag. Obwohl ich nicht wußte


mich auf das Schloß, ein großes altes Gebäude, und da fand ich Leidensge¬
fährten! meinen Commandeur, den Major v. S. und noch zwei Offiziere des
Bataillons, auch mehre von den andern Regimentern. F. war nicht darun¬
ter, also glücklich davon gekommen. Es war ein schlechter Trost, aber doch
ein Trost, die Schmach, gefangen zu sein, nicht allein tragen zu dürfen. Trotz
der furchtbaren Ermüdung, des unerträglichen Durstes und auch des Hungers,
— denn seit dem Frühstück hatte ich nichts gegessen — faßte ich allmälig wie¬
der Muth. Als ein junges Dienstmädchen vorbeiging, die aus dem Hause zu sein
schien, redete ich sie in ihrer Sprache an, und als sie diese hörte, versprach sie
mir auf meine Bitte, mir etwas Brod und Wasser zu bringen. Sie sah mich
mitleidig an, sagte, ich solle nur da stehen bleiben, damit sie mich wiederfände,
und hielt dann Wort, indem sie mir ein Stück schwarzes Brod und einen Krug
mit Wasser brachte. Ich leerte denselben mit einem Zuge und bat, erquickt,
aber noch immer erschöpft, mit „sireorö!" um noch einen. Sie brachte mir
einen zweiten, den ich ebenfalls sofort leerte, und nun erst konnte ich essen.
Einen solchen fürchterlichen Durst habe ich später nur noch einmal, im Jahre
1849, als ich die Cholera hatte, empfunden. Erfrischt konnte ich nun den
Marsch antreten; denn wir wurden gleich in der Nacht noch weiter transpor-
tirt. Es war tüchtig kalt, und meine Stiefel, in dem durch die schon sehr
warme Februarsonnc aufgethauten und aufgeweichten Boden in- und auswen¬
dig ganz durchnäßt, froren an den Füßen knochenhart. Der Marsch sollte
nicht weit gehen, es wurde langsam marschirt, öfter angehalten, und viele mei¬
ner Mitgefangenen, auch von Durst geplagt, schlugen mit ihren Absätzen Löcher
in den mit Wasser gefüllten zugefrornen Chausseegraben, warfen sich an die
Erde und tranken so, wie die durstigen Thiere, aus einer Pfütze. Wir kamen
an ein Dorf, da rief mich unser Major zu sich; ich solle, sagte er mir, da ich
der Sprache mächtig sei, den unsere Escorte commandirenden Offizier bitten,
einige Minuten halten und ihm ein wenig Wasser geben zu lassen, wobei er
mir einprägte, aber ja recht höflich zu sein. Ich that es, konnte mich jedoch
nicht enthalten, über seine große Demuth innerlich Glossen zu machen, da ich
nach meiner frühern Erfahrung in Betreff seines Charakters ihn einer solchen
plötzlichen Umänderung gar nicht für fähig gehalten hatte. Der Offizier war
menschlich genug, die Bitte zu erfüllen, und so tranken viele meiner Leidens¬
genossen mit und wurden gestärkt.

Wir legten im Ganzen etwa drei Biertelmeilen zurück und kamen bei einem
französischen Bivouak an. wo uns erlaubt wurde, aus Feuer zu treten, um
uns zu erwärmen, wir könnten uns auch niederlegen, hieß es. wenn wir woll¬
ten. Es waren Gebäude in der Nähe, ich bemerkte einen Stall, wie er bei
Wirthshäusern an der Straße zu sein Pflegt, ging hinein, suchte einen Win¬
kel und fand einen, in welchem schon ein Mensch lag. Obwohl ich nicht wußte


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/60>, abgerufen am 24.07.2024.