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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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hochkaiscrlicher Laune allenthalben mit seiner glänzenden Persönlichfeit vor den
Riß trat, um bei seinem Tode das Reich einer Ernüchterung zu überlassen, die
alle alten Schäden nur empfindlicher hervortreten ließ. Der Sohn dieses Kai¬
sers, den seine Zeitgcnossenschaft in unbewußter Ironie den "Glücklichen" genannt
hat, erbte das Reich in einem Zustande, der bei der ersten Begegnung mit einem
energischen Kaiserwillen dahin führen mußte, die Rebellion in Permanenz zu
erklären. Heinrich der Vierte hat die'Maximen seiner Vorfahren wechselnd be¬
folgt. Erniedrigt und verlassen stützte er sich vorwiegend auf die getreuen geist¬
lichen Vasallen, während er im Kampfe lag mit dem Spiritualen Oberhaupte
derselben, das seinerseits den Brand des Aufruhrs unter die weltlichen Großen
des Reichs geschleudert hatte. Man kennt den Kraftaufwand, mit dem der
empörte Mann, die Verzweiflung, mit welcher der verrathene Greis sich aufrecht
zu halten strebte, aber trotzdem läßt sich nicht läugnen, daß die Theilnahme, die
sein ungeweihtes Grab im Gemüthe des Volkes hervorrief, weitaus der größte
populäre Rückhalt war, den sein Haus sich erworben hat. Was ihm folgte,
beruhte auf einem Comprvmiß der Kaisermacht mit der in der Reichsversamm¬
lung vereinigten Fürstlichkeit, die sich immer entschiedener erblich befestigte.
Freilich sie hatte des Reiches alten Stolz, die Gemeinfreiheit hinweggenommen;
aber trotz oder Dank des nach unten treibenden Anstoßes dieser localen Ver¬
selbständigung war Raum genug gegeben zur individuellen Enfaltung des innern
Lebens der Nation. Im Ritterthum und im Selfgovernment der städtischen
Communen verwirklichten sich neue und große Gedanken. Indem dasselbe Prin¬
cip, welches die realen Grundlagen der Macht des hochfürstlichen Adels der
kaiserlichen Gewalt gegenüber frei gemacht hatte, in immer tiefere Kreise hinab
zum Kanon der politischen Entwicklung ward, bekam jene an sich gefährliche
Richtung eine Art Rechtfertigung. Denn es waren keineswegs Vereinzelungen,
was sich auf diese Weise festsetzte, sondern es bildeten sich corporative Orga¬
nismen, die je untereinander in mehr oder weniger bindender Pflichtbeziehung
und Abhängigkeit standen. Je lockerer auf diesem Wege der materielle Anhalt
der Kaisermacht wurde, desto fester und bewußter wurde ihre ideelle Stellung.
Alle diese Bildungen sind getragen von dem Gefühle, daß sie Pflanzen ähnlich
bei aller Fülle des Bodens, des Wassers und der Luft, woraus sie ihre leibliche
Nahrung ziehn, dennoch verdürsten und vertrocknen müßten, wenn das gemein¬
same göttliche Licht über ihnen zu leuchten aufhörte. "Inmitten der neu wer¬
denden Welt steht noch die Kaisermacht hoch aufrecht, nicht in der alten starren
Unumschränktheit, in der mechanischen Verwaltungseinheit der Christenwelt, aber
noch in der Kraft der Idee, die sie vertritt, in der persönlichen Hoheit, die
mächtige Charaktere in ihr zur Geltung zu bringen wissen. In dieser Zeit
unserer Geschichte ist es, wo in der lebendigsten Spannung des Alten und Neuen
alle Kräfte arbeiten und alle Triebe sich hinausgestalten, innerlich noch genug ge-


hochkaiscrlicher Laune allenthalben mit seiner glänzenden Persönlichfeit vor den
Riß trat, um bei seinem Tode das Reich einer Ernüchterung zu überlassen, die
alle alten Schäden nur empfindlicher hervortreten ließ. Der Sohn dieses Kai¬
sers, den seine Zeitgcnossenschaft in unbewußter Ironie den „Glücklichen" genannt
hat, erbte das Reich in einem Zustande, der bei der ersten Begegnung mit einem
energischen Kaiserwillen dahin führen mußte, die Rebellion in Permanenz zu
erklären. Heinrich der Vierte hat die'Maximen seiner Vorfahren wechselnd be¬
folgt. Erniedrigt und verlassen stützte er sich vorwiegend auf die getreuen geist¬
lichen Vasallen, während er im Kampfe lag mit dem Spiritualen Oberhaupte
derselben, das seinerseits den Brand des Aufruhrs unter die weltlichen Großen
des Reichs geschleudert hatte. Man kennt den Kraftaufwand, mit dem der
empörte Mann, die Verzweiflung, mit welcher der verrathene Greis sich aufrecht
zu halten strebte, aber trotzdem läßt sich nicht läugnen, daß die Theilnahme, die
sein ungeweihtes Grab im Gemüthe des Volkes hervorrief, weitaus der größte
populäre Rückhalt war, den sein Haus sich erworben hat. Was ihm folgte,
beruhte auf einem Comprvmiß der Kaisermacht mit der in der Reichsversamm¬
lung vereinigten Fürstlichkeit, die sich immer entschiedener erblich befestigte.
Freilich sie hatte des Reiches alten Stolz, die Gemeinfreiheit hinweggenommen;
aber trotz oder Dank des nach unten treibenden Anstoßes dieser localen Ver¬
selbständigung war Raum genug gegeben zur individuellen Enfaltung des innern
Lebens der Nation. Im Ritterthum und im Selfgovernment der städtischen
Communen verwirklichten sich neue und große Gedanken. Indem dasselbe Prin¬
cip, welches die realen Grundlagen der Macht des hochfürstlichen Adels der
kaiserlichen Gewalt gegenüber frei gemacht hatte, in immer tiefere Kreise hinab
zum Kanon der politischen Entwicklung ward, bekam jene an sich gefährliche
Richtung eine Art Rechtfertigung. Denn es waren keineswegs Vereinzelungen,
was sich auf diese Weise festsetzte, sondern es bildeten sich corporative Orga¬
nismen, die je untereinander in mehr oder weniger bindender Pflichtbeziehung
und Abhängigkeit standen. Je lockerer auf diesem Wege der materielle Anhalt
der Kaisermacht wurde, desto fester und bewußter wurde ihre ideelle Stellung.
Alle diese Bildungen sind getragen von dem Gefühle, daß sie Pflanzen ähnlich
bei aller Fülle des Bodens, des Wassers und der Luft, woraus sie ihre leibliche
Nahrung ziehn, dennoch verdürsten und vertrocknen müßten, wenn das gemein¬
same göttliche Licht über ihnen zu leuchten aufhörte. „Inmitten der neu wer¬
denden Welt steht noch die Kaisermacht hoch aufrecht, nicht in der alten starren
Unumschränktheit, in der mechanischen Verwaltungseinheit der Christenwelt, aber
noch in der Kraft der Idee, die sie vertritt, in der persönlichen Hoheit, die
mächtige Charaktere in ihr zur Geltung zu bringen wissen. In dieser Zeit
unserer Geschichte ist es, wo in der lebendigsten Spannung des Alten und Neuen
alle Kräfte arbeiten und alle Triebe sich hinausgestalten, innerlich noch genug ge-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/516>, abgerufen am 24.07.2024.